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Zwischen der Nation und Europa

Das neue Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig ist zur Bühne der Auseinandersetzung zwischen Nationalisten und Anhängern eines liberalen Polens geworden. Die Debatte dreht sich um die Frage, inwieweit polnische und europäische Geschichte miteinander verwoben sind.

Veröffentlicht am 24 August 2017 um 22:24

Einige der bewegendsten Passagen von Günter Grass’ Die Blechtrommel beschreiben die Belagerung des Danziger Postamts vom 1. September 1939. Damals war die Stadt selbstverwaltend, trennte Ostpreußen vom Rest Deutschlands ab und war indirekt Polens Zugang zum Meer. Es war der Angriff Nazideutschlands auf die Stadt, der den Beginn des Zweiten Weltkrieges einläutete und so ist es kein Zufall, dass Danzig nun ein profiliertes Museum diesem Konflikt widmet. Nur wenige hundert Meter entfernt befindet sich jene Schiffswerft, die vor 1989 die Festung der Solidarność war. Die polnische Stadt ist wahrhaftig ein europäischer Gedenkort.

Es ist eines der größten Museen des Landes, verfügt über ein internationales, wissenschaftliches Komitee, bringt innovative Ausstellungstechniken zum Einsatz und ist in einem Gebäude angesiedelt, das seinesgleichen sucht. Die politische und kulturelle Bedeutung des neuen Museums des Zweiten Weltkriegs kann nicht genug unterstrichen werden und kommt in Anbetracht der Bauumstände noch besser zur Geltung: Zehn Jahre wurde an dem Gebäude gearbeitet, die Kosten beliefen sich auf über 100 Millionen Euro.
Im Frühling konnte das Museum endlich seine Pforten öffnen, allerdings haben sich seine Dauerausstellung und Leitung im heutigen Polen als höchst umstritten herausgestellt. Denn in Polen ist die Debatte um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und nationale Beziehungen zu den Nachbarländern auch heute noch in vollem Gange.

Obwohl das Ende des Krieges nun schon mehr als 70 Jahre zurückliegt, bleibt der Zweite Weltkrieg für die europäische Öffentlichkeit ein zentrales Thema, das immer wieder von unterschiedlichen Standpunkten aus diskutiert wird.
Auch die Kuratoren des Danziger Museums mussten zwangsläufig einen Standpunkt auswählen und trafen so zwei grundlegende Entscheidungen. Erstens, das Museum sollte seinen Fokus auf den Alltag der vom Krieg betroffenen Menschen legen und nicht nur auf die Erfahrungen der Soldaten. Zu diesem Zweck spendeten viele Privatpersonen tausende Gegenstände aus Familienbesitz. Zweitens, die Ausstellung sollte ihren Schwerpunkt auf die Gemeinsamkeiten und das Verbindende in dem von Polens Bevölkerung Erlebten und den Erfahrungen anderer Völker Europas legen. Laut dem renommierten Historiker Timothy Snyder wage „das Museum europaweit, wenn nicht sogar weltweit, den einzigen Versuch, Krieg als ein internationales Kapitel der Geschichte darzustellen“. Und ebendieser Versuch ist nun zu einem politisch heiß umstrittenen Thema in Polen geworden.

Seit dem die Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) 2015 zurück an die Macht gekommen ist, hat sich die Debatte rund um das Danziger Museum noch weiter verschärft (das Museum war ursprünglich von Donald Tusk, geborenem Danziger und Erzfeind der Partei, unterstützt worden). Die Parteispitze hat das Museum zwar noch nicht besucht, aber dennoch ihr Missfallen deutlich zum Ausdruck gebracht. Ihr langwieriger Kreuzzug gegen den Museumsdirektor fand Anfang April sein Ende, als das Oberste Verwaltungsgericht Karol Nawrocki zum neuen Direktor ernannte.

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Nawrockis Haltung gegenüber dem Zweiten Weltkrieg und wie ihm zu gedenken sei decke sich angeblich eher mit den Ansichten der PiS. Tatsächlich hat Nawrocki bereits einige Änderungen an der Dauerausstellung angekündigt, die mehr Raum für die polnische Perspektive einräumen sollen. Es darf davon ausgegangen werden, dass das Leiden der Polen stärker betont, die autoritären Züge des Landes in der Zwischenkriegszeit sowie von der polnischen Bevölkerung begangene Akte von Gewalt und Feigheit, zum Beispiel gegenüber Juden, hingegen heruntergespielt werden könnten.

Um eines klarzustellen: Niemand hinterfragt die furchtbaren Erfahrungen der polnischen Bevölkerung während des Krieges. Allerdings ist eine nationalistische Repräsentation der Vergangenheit wesentlich für das Narrativ der PiS, welches von der Darstellung Polens als Opfer und der Betonung der tragischen Einzigartigkeit dieser Rolle abhängt. Im Gegensatz dazu stehen andere Interpretationen, welche die Geschichte Polens in Zusammenhang mit der breiteren Geschichte Europas bringen, ohne zu versuchen, die Schandflecken der nationalen Vergangenheit zu vertuschen.
Das Bemühen der PiS, die Kontrolle über das Danziger Museum zu erlangen, fügt sich nahtlos in ihre nationalen Strategie ein: Den öffentlichen Raum für unabhängige, liberale Standpunkte immer weiter zu begrenzen, etwa durch weitreichendes Eingreifen im Mediensektor oder in anderen Bereichen.

Aus dem Englischen von Elisabeth Reisenauer

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