Opinion, ideas, initiatives Offener Brief an die Staats- und Regierungschefs in der EU

„Wir wollen die Union als politische und demokratische Macht etablieren”

Veröffentlicht am 20 März 2017 um 08:03

Am 25. März kommen die Staats- und Regierungschefs in Rom zum 60-jährigen Jubiläum der Europäischen Union zusammen.

Wir müssen diese Gelegenheit nutzen und ein neues Kapitel der europäischen Geschichte aufschlagen. Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker hat bereits dazu aufgerufen, eine große Debatte über die Zukunft Europas mit den Mitgliedstaaten, den Parlamenten, der Zivilgesellschaft und den Bürgerinnen und Bürgern zu beginnen.
Die Europäische Union ist am Scheideweg. Der Status Quo ist nicht mehr zu halten. Entweder reißen die Krise der Eurozone und der Brexit die ganze Union mit in den Abgrund, oder sie erfindet sich endlich neu, um in der Lage zu sein, die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.

Die Herausforderungen sind nicht neu, aber es wird immer deutlicher, dass die Antworten darauf nur europäisch sein können. Der Zeitdruck wird immer stärker. Wir dürfen nicht tatenlos dabei zusehen, wie unser soziales Gefüge zerbricht, der Nationalismus immer mächtiger wird und die Gesellschaften immer selbstbezogener und immer weniger offen werden. Auf dem Spiel steht ein Modell, das sich auf Zusammenarbeit und Multilateralismus gründet und das Aufblühen unserer demokratischen Gesellschaften ermöglicht hat.

Die Digitalisierung, die wachsende Terror-Gefahr, Cyberkriege, der Klimawandel, organisierte Informationskriege, massenhafte Flüchtlingsbewegungen sowie die sich noch immer vollziehende wissenschaftliche und neue industrielle Revolution kennen keine Grenzen. Die Welt ist heutzutage multipolar. Demografisch, wirtschaftlich, politisch und kulturell schwindet unser relatives Gewicht darin von Tag zu Tag. Die Globalisierung hat zu einem Abbau der Armut und zu einer Verschiebung von Wohlstand zugunsten vieler Schwellenländer geführt, aber in gleichem Maße auch zu einer stärkeren Verwundbarkeit der Arbeitermilieus und der Mittelschicht in vielen Industrieländern. Durch diese Umbrüche haben viele unserer Mitbürger ihre gesellschaftlichen Bezugspunkte verloren. Damit wurde nationalistischen und autoritären Tendenzen Tür und Tor geöffnet.

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Die Gesellschaft unseres Kontinents ist dennoch weiterhin eine der reichsten und der gerechtesten und immer noch eine Vertreterin weithin respektierter politischer, sozialer und Menschenrechte. Die Europäische Einigung hat mit der wirtschaftlichen Integration und der gemeinsamen Währung, mit der Europäischen Grundrechtecharta und mit der Europäischen Wissenschaftspolitik maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen.

Allerdings gerät diese Dynamik ins Stocken und wir müssen lernen, den Erwartungen und Wünschen der europäischen Bürgerinnen und Bürgern besser zuzuhören. Wir müssen Europa besser positionieren und daran arbeiten, dass die Union und die Mitgliedstaaten sich gegenseitig stärken. Das gesamte Potential der Europäischen Verträge sollte jetzt genutzt werden, um unsere Ressourcen besser zu koordinieren und den Nutzen für unsere Mitbürger zu maximieren. Wir fordern ein Europa, das seine Bürgerinnen und Bürger schützen und unsere Werte und Interessen verteidigen kann.

Das wird aber nur durch ein gemeinsam von der Politik getragenes Projekt möglich sein. Die Staats- und Regierungschefs müssen den Mut aufbringen, sich dafür entschieden einzusetzen. Nur damit wird Europa im 21. Jahrhundert bestehen können. Die Verträge erlauben es bereits jetzt denen, die wollen, gemeinsam voranzugehen. Es ist an der Zeit, diese Möglichkeiten zu nutzen. Gerade was die Eurozone oder den Aufbau einer echten europäischen Verteidigung angeht, ist keine Zeit mehr zu verlieren.

Wir wollen die Union als politische, wirtschaftliche, demokratische, soziale und kulturelle Macht etablieren, als einen globalen Akteur, der die Globalisierung mitgestaltet und für Frieden, Solidarität und Zusammenarbeit in der Welt eintritt. Alle, die mit uns dem europäischen Projekt neuen Schwung geben wollen, sind am 25. März zu einer großen Bürgerdemonstration nach Rom eingeladen.

Diese Demonstration soll den Startschuss geben für einen Prozess, in dem die Bürgerinnen und Bürger herausarbeiten, welche Prioritäten und Herausforderungen die Union angehen soll. Dafür müssen wir bestimmen, was uns vereint, was unsere gemeinsamen Werte sind, welche Allgemeingüter erforderlich sind, aber auch welche Interessen wir gemeinsam verteidigen wollen. Wir laden alle ein, sich zu beteiligen und eine echte Bürgerbewegung zu schaffen. Unsere Werte und Interessen sind das Ergebnis einer gemeinsamen Zivilisation. Jetzt brauchen wir ein gemeinsames europäisches Gewissen.

Unterzeichner:
Guillaume Klossa (FR), Schriftsteller, Initiator des Fahrplans, Gründer von EuropaNova, Sherpa in der Reflexionsgruppe über die Zukunft der EU 2030; Mars di Bartolomeo (LU), Präsident der Abgeordnetenkammer Luxemburg ; Mercedes Bresso (IT), Europaabgeordnete, ehemalige Präsidentin des Ausschusses der Regionen, Sozialdemokratische Partei Europas (SPE); Elmar Brok (DE), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Europäische Volkspartei (EVP); Alain Juppé (FR), ehemaliger Premierminister; Ferdinando Nelli Feroci (IT), ehemalige EU-Kommissar; Daniel Cohn-Bendit (FR-DE), ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europäischen Parlament; Philippe de Buck (BE), ehemaliger Generaldirektor BusinessEurope, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss; Georges Dassis (GR), Gewerkschaftler, Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses; Paul Dujardin (BE), Generaldirektor des Palais des Beaux-Arts (BOZAR) in Brüssel; Cynthia Fleury (FR), Philosophin; Markus Gabriel (DE), Philosoph; Sandro Gozi (IT), Staatssekretär für europäische Angelegenheiten; Danuta Huebner (PL), Vorsitzende des Konstitutionellen Ausschusses im Europäischen Parlament, ehemalige EU-Kommissarin, Europäische Volkspartei (EVP); Alain Lamassoure (FR), ehemaliger Minister, Europaabgeordneter, Europäische Volkspartei (EVP); Jo Leinen (DE), Vorsitzender der Europäischen Bewegung International (EMI), Europaabgeordneter, Sozialdemokratische Partei Europas (SPE); Cristiano Leone (IT), l'Académie de France - Villa Médicis, Beauftragter für Kommunikation, Residencies und Veranstaltungen; Christophe Leclerq (FR), Medienunternehmer und Gründer von EurActiv; Robert Menasse (AT), Schriftsteller ; Johanna Nyman, Präsidentin des Europäischen Jugendforums Sofi Oksanen (FI), Schriftstellerin; Maria João Rodrigues (PT), Vize-Fraktionsvorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, ehemalige Ministerin; Petre Roman (RO), ehemaliger Premierminister von Bulgarien; Jochen Sandig (DE), künstlerischer Leiter der Tanzcompagnie Sasha Waltz & Guests; Roberto Saviano (IT), Schriftsteller; Nicolas Schmit (LU), Minister für Arbeit und Beschäftigung sowie Sozial- und Solidarwirtschaft; Gesine Schwan (DE), Präsidentin und Mitgründerin der Humboldt-Viadrina Governance Platform; Denis Simonneau (FR), Präsident von Europa Nova; René Van Der Linden (NL), ehemaliger Europaminister, ehemaliger Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, ehemaliger Präsident des niederländischen Senats; Philippe van Parijs (BE), Philosoph, Professor an den Universitäten Oxford, Leuven und Louvain, ehemaliger Gastprofessor der Universität Harvard; David van Reybrouck (BE), Schriftsteller, Gründer des Kollektivs „Brussels Poetry“ und des Gipfels „G1000“; Guy Verhofstadt (BE), ehemaliger Premierminister, Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament; Vaira Vike-Freiberga (LAT), ehemalige Präsidentin der Republik Lettland; Cédric Villani (FR), Mathematiker, Träger der Fields-Medaille; Luca Visentini (IT), Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes; Leendert de Voogd (NL), Präsident von Vigiglobe, Sasha Waltz (DE), Choreographin, Tänzerin und Gründerin der Compagnie Sasha Waltz and Guests ; Wim Wenders (DE), Filmregisseur, Produzent, Drehbuchautor und Fotograf

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