Ideen Polen und seine Geschichte – Reaktion
Polnische Widerstandskämpfer im Viertel Wola während der Warschauer Rebellion 1944.

„Verwechseln wir nicht Patrioten und Nationalisten!“

In Polen hat Lorenzo Ferrari’s Artikel über das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig heftige Diskussionen ausgelöst. Der für den Radiosender RMF FM arbeitende Journalist Bogdan Zalewski hat uns einen ausführlichen Antwort-Brief geschrieben. Seine äußerst umstrittenen Argumente finden allerdings durchaus Zustimmung: Sowohl bei einem beträchtlichen Teil der Öffentlichkeit, als auch bei der gegenwärtigen politischen Elite Polens. Wir veröffentlichen diesen Brief in seiner ursprünglichen Form, in der er auch auf der Internetseite von RMF FM zu finden ist. Sein Inhalt spiegelt ausschließlich die Ansichten des Autors wider.

Veröffentlicht am 1 September 2017 um 19:47
Polnische Widerstandskämpfer im Viertel Wola während der Warschauer Rebellion 1944.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Immer wieder, wenn ich einen in der ausländischen Presse veröffentlichten Text über Polen lese, kommt es mir vor, sie würden mich in einer fremden Sprache ansprechen, selbst wenn diese in meine Sprache übersetzt wurden. Anders war es auch nicht im Fall des Artikels „Zerrissen zwischen Nation und Europa“ (ins polnische übersetzt von Frédéric Schneider) des italienischen Historikers Lorenzo Ferrari. Bereits beim Lesen der Einführung stieg in mir der strenge Lehrer hervor, ähnlich einem Genie aus der Lampe. „Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig wurde zum Schlachtfeld zwischen Nationalisten und Liberalen in Angelegenheiten polnischer nationaler Identität.“ - so fängt der Autor seinen Artikel über die Verwirrungen in der Politikgeschichte an der Weichsel. Unmittelbar nach der Lektüre dieses ersten Satzes - wie ein Lehrer - ergriff ich den roten Stift und platzierte ein großes Fragezeichen direkt neben den Begriff „Nationalisten“.

Die Karriere dieses Wortes bleibt für mich ein Rätsel, welches jedoch nicht zu schwierig ist, dass ich nicht im Stande wäre, es zu lösen. Warum wird die Regierung unter der Partei PiS, mit ihrem Ministerpräsident für Kultur, Piotr Gliński, als „nationalistisch“ betitelt? Dieser Begriff ist nicht nur rein deskriptiv in dem den Westen dominierenden liberalen Sprachgebrauch. „Nationalismus“ ist hier negativ behaftet, eine eigentümliche Etikette, um es nicht härter auszudrücken. Wie das Dreieck mit dem Buchstaben „P", Zeichen der Verfrachtung von Polen, die an ihrer Tradition und Geschichte festhalten, in die politischen Gettos. Jedoch sollte beachtet werden, dass das Schimpfwort „national“ sowohl kulturell als auch politisch eine andere Bedeutung hat. In der polnischen Politiksprache ist der Begriff „national“ nicht dasselbe wie „nationalistisch“ und PiS kann nicht als „nationale“ Partei kategorisiert werden! Diese Umschreibung ist in unserer politischen Tradition reserviert für die Nationale Demokratie (Narodowa Demokracja), also der Gesellschaft Endencja. Aber selbst die vorkriegszeitliche Endecja unter dem Zeichen von Roman Dmowski, kann nicht mit dem deutschen Nationalsozialismus, aufgrund der fehlenden totalitären und verbrecherischen Tendenzen, verglichen werden. PiS auf der anderen Seite, ist die Emanation polnischen Patriotismus unter dem Zeichen Jozef Piłsuski, dem Gegner der Endecja. Dies ist also eine völlige Vermischung der Begrifflichkeit!

Journalisten in Polen, aber auch im Ausland, sollten, um politische Subtilitäten reduziert, bei der vereinfachten Beschreibung der Partei- und Ideologielandschaft in unserem Land, sich so präzise wie möglich ausdrücken, wenn diese ernst genommen werden wollen. Es gibt aber noch eine wichtigere Angelegenheit, denn es geht um Ehrlichkeit. Es dürfen keine Lügen geschrieben werden!

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Lorenzo Ferrari, die Auseinandersetzung um das Museum des Zweiten Weltkrieges grob umreißend, stellte fest „Die Führung von PiS hat das Museum nicht besucht, sie gaben aber zu verstehen, dass ihnen das Museum nicht gefällt.“ Was heißt das, „sie gaben aber zu verstehen, dass ihnen das Museum nicht gefällt“? Es ging hier schließlich nicht um infantile Quengelei oder eine emotionale Geste eines launenhaften Kindes! Denn unter den drei speziellen Rezensenten, die auf Wunsch des Ministers für Kultur Piotr Gliński den Standort in Gdansk einschätzen sollten, war der Historiker Jan Zaryn, Senator aus der Partei PiS, ein Akademiker mit unbestreitbarer Kompetenz.

Zu diesem Report hatte nicht nur der Geschäftsbereich zugriff, er konnte ebenso von jedem Leser der Wochenzeitung wSieci und dem Internetportal wpolityce.pl eingesehen werden. Es genügt diesen Artikel im Internet zu suchen, ähnlich wie auch andere Absprachen in dieser Angelegenheit. Aus dem Report gehen alle Einzelheiten über Vorbehalte gegenüber den Autoren der Standortkonzeption. Die anderen beiden Autoren, die eine kritische Meinung verfasst haben, waren: Dr. hab. Piotr Niwiński, Historiker und Spezialist für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der konservative Publizist und Buchautor Piotr Seika. Diese Vorbehalte waren keine „nationalistischen“ Erfindungen!

In einem kurzen, polemischen Text ist kein Platz für genaue Analysen und Ausführungen. Daher begrenze ich mich auf den von Lorenzo von allen Seiten gelobten Gedanken „man konzentriere sich auf das Leben der einfachen, dem Leiden des Krieges ausgesetzten, Menschen und nicht nur auf das der Soldaten.“ Den Autoren warf Piotr Semka zu großen Nachdruck auf „das Alltagsleben“. Zurecht fragte er: Warum soll die Militärgeschichte nur als Hintergrund funktionieren? Ist das nicht eine Schwächung der Rolle des militärischen Widerstandes Polens gegen den Angriff des Nationalsozialistischen Deutschland und Sowjetrussland?

Mein Land hat sich als erstes, von seinen westlichen Verbündeten seinem Schicksal überlassen, gegen die kriegerischen Verbrechen zugleich zweier Angriffen verbrecherischer totalitärer Mächte gestellt und schuf darauf den Polnischen Untergrundstaat (Polskie Panstwo Podziemne) - eines der ausgebautesten und an Mitgliedern reichsten Konspirationsstrukturen dieser Zeit. Die Anzahl der Mitglieder der polnischen Widerstandsbewegung belief sich auf rund 600 000 Personen! Polnische Soldaten bluteten sich an allen Fronten der Welt aus. Nach Einschätzungen von Historikern, hatten wir die viertstärkste Armee der Alliierten in Europa. Kann an dieser Stelle nicht nach den Effekten, der als unbedeutend dargestellten Tatsachen im Namen einer „zivilen“ Doktrin, gefragt werden? Handelt es sich hier nicht um eine Entstellung des Bildes des Zweiten Weltkrieges? Im Namen der Originalität?

Lorenzo ist damit einverstanden, dass das „Museum in Danzig die Ähnlichkeiten und Verbindungen der Erlebnisse der Polen und der anderer Europäer beleuchtet.“ Ist es mir nicht erlaubt an der liberalen Ideologie eines gemeinsamen Schicksals der Polen und der anderen Völker zu zweifeln? Ich frage schonungslos: “Erlauben” die Progressisten es ausschließlich den Juden, einen Besonderheitsstatus für ihre Kriegsleiden zu beanspruchen? Schließt sich der im Artikel zitierte Professor Timothy Snyder nicht auch dieser Erzählung der absoluten Einzigartigkeit des Holocausts an, die seit relativ kurzer Zeit den fortschrittlichen politischen Diskurs dominiert?

Als hätte es in der früheren und darauffolgenden Geschichte keine anderen grausamen Völkermorde gegeben (wie jener der Armenier durch die Türken, oder der Ukrainer während der großen Hungersnot). In der Kontroverse mit den Kritikern des Museums in Danzig verwendete Snyder ein Muster, welches auch von gewissen anderen westlichen Wissenschaftler benutzt wird, die ihren. „Anti-Polonismus“ nicht sonderlich verstecken: „Die Idee der polnischen Unschuld, welche die derzeitige Regierung verteidigt, hat selbst nicht viel mit Unschuld gemein. Wären die Polen lediglich Opfer der nationalsozialistischen Aggression, wie sollten wir dann die Ereignisse erklären, in denen sie Mittäter oder Täter waren?“ Können wir in diesem Fall davon ausgehen, dass alle Juden unschuldig sind, obwohl es zahlreiche Beispiele der Kollaboration und des Verrats gibt, in denen einige Juden ihre Glaubensgenossen und andere Mitglieder der Bevölkerung in Polen und in anderen Ländern denunziert haben? Die ausführlich dokumentierte antipolnische Kollaboration mit den Bolschewiken nach der sowjetischen Invasion, aber auch die jüdische Ordnungsdienst in den Ghettos sind historische Fakten.

Wäre ein solches Fehlverhalten von Einzelpersonen, polnischen Juden oder Andersgläubigen, aber überhaupt möglich gewesen, wenn Moskau und Berlin nicht den Krieg entfacht hätten? Krieg ist kein Normalzustand! Und Geschichte ist angeblich eine Wissenschaft und keine Ideologie. Demnach sollten wir logisch und rational sein und keine tendenziellen Annahmen anwenden, die aus eigenen Sympathien oder Antipathien oder der Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen akademischen Lobby hervorgehen. Es ist doch klar: eine geringe Anzahl Polen (im Übrigen von der Polnischen Untergrundarmee zur Todesstrafe verurteilt) hätten nie den Deutschen bei der Denunzierung und Ermordung von Juden geholfen, wären die Deutschen nicht in unser Land eingefallen und hätten diese nicht den Holocaust organisiert

Hätte uns die Sowjetunion 1939 nicht das Messer in den Rücken gestoßen! Das ist doch logisch. Vor dem Zweiten Weltkrieg zeigten sich Tendenzen von Autoritarismus in Polen, dieses war aber nie - anders als andere Länder in Europa - totalitär und verbrecherisch. In der Zweiten Republik Polen wäre es nie zum Mord an Juden wie im nationalsozialistischen Deutschland, zum Holodomor von Millionen Ukrainern wie im stalinistischen Russland, gekommen. Und doch müssen wir Buße tun, für übertriebene, und profan gesagt, ausgedachte Verschulden. Die Mythen werden immer wieder verbreitet. Ich erinnere daran, denn dies wird oft gerne von ausländischen Historikern und Publizisten vergessen: Polen, im Gegensatz zu Frankreich oder Norwegen, stelle keine kollaborierende Regierung mit Deutschland auf.

Das Schicksal, welches Polen durch den Krieg erlitten hat, ist beispiellos! Wenngleich anders als die Höllenqualen, welche die Juden erdulden mussten. Und anders als unsere Leiden durch den Krieg, waren auch die der Deutschen. Sie sind die Letzten, trotz vergossenem Blut und Schmerz, die als Kriegsopfer des Zweiten Weltkrieges bezeichnet werden können! Sie sind die Täter! Alles Andere ist die Konsequenz der demokratischen Wahl Adolf Hitlers und der massenhaften Unterstützung für seine verbrecherische Politik. Es dürfen keine Gemeinsamkeiten erzwungen werden. Es gibt auch keinen gemeinsamen Nenner mit der Kollaboration Frankreichs. In Polen gab es keine Regierung Vichy, es wurden keine Deportationen von Juden organisiert. Polen war nicht Norwegen mit dem Verbündeten Vidkun Quisling.

Auf uns lastet nicht die Verantwortung, den nationalen Abteilungen des SS gedient zu haben. Aus diesem Grund wundern wir uns über die Franzosen, Holländer, Belgier, Dänen und Ukrainern. Wir empfinden keine Affinität zu den litauischen Mittätern des Völkermordes - der litauischen Schützenunion oder ungarischen Pfeilkreulern. Es verbindet uns nichts mit den italienischen Faschisten unter Mussolini und japanischen Imperialisten. Wir polnischen Patrioten, nicht Nationalisten, akzeptieren die Verfälschung der Geschehnisse nicht. Und auch keinen künstlichen Abgleichen der Schuld oder des Martyriums im Namen der Posthistorie. Als geradlinige Konservativsten akzeptieren wir keine postmodernen Spiele. Wir streben nicht weniger als nach der Wahrheit.

Bogdan Zalewski

Aus dem polnischen von Kornelia Kasperkiewicz

Anmerkung der Redaktion

In Bezug auf diesen Artikel

Eines der wichtigsten Anliegen von VoxEurop ist es, Europäern die Möglichkeit zu bieten, all die Fragen und Themen zu diskutieren, die sich mit ihnen und ihrer Zukunft beschäftigen. Dabei sollen sowohl die zu Wort kommen, welche die öffentliche Meinung mitgestalten, aber auch all jene, die ganz allgemein zur Öffentlichkeit gehören. Von zentraler Bedeutung ist dabei die konstruktive und demokratische Art und Weise des Austauschs.

Genau dieser Anspruch liegt auch unserer Entscheidung zugrunde, diesen Brief zu veröffentlichen, den Bogdan Zalewski uns als Reaktion auf einen Artikel von Lorenzo Ferrari geschickt hat. Dieser hatte die polnischen Behörden für ihre Art und Weise kritisiert, wie sie das Schicksal ihres Landes während des Zweiten Weltkrieges darstellen wollen. Der Inhalt dieses Briefes spiegelt unterdessen in keiner Weise unsere Ansichten wider.

Obwohl der Brief richtigerweise auf die Besonderheiten der Geschichte Polens hinweist, das ununterbrochen zwischen zwei kriegerischen Reichen eingeklemmt war, können wir die Argumente im Bezug auf das Verhalten der Juden im Zweiten Weltkrieg nicht billigen, zumal sie die Einzigartigkeit der Shoah in Frage stellen.

Dennoch bringt dieser Artikel – wie wir in der Einleitung angemerkt haben – eine Meinung und ein Geschichtsbild zum Ausdruck, das von einem nicht unerheblichen Teil der polnischen Öffentlichkeit geteilt wird, sowie für die derzeitige Regierung Polens bezeichnend ist. Aufgrund der Tatsache, dass dieser Brief dazu beitragen kann, diesen verhältnismäßig unbekannten Aspekt besser zu verstehen, haben wir uns für seine Veröffentlichung entschieden.

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