So sieht die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in den Augen deutscher Milchproduzenten aus, Berlin im Juni 2009 (AFP)

Wer hat Geld für den Milchmann?

Liberalisieren oder regulieren? Angesichts des Streiks und der Milchablassungen, die in mehreren Ländern von den schwer getroffenen Milchbauern organisiert wurden, sind sich die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission bei der Antwort auf diese Frage uneinig. Eine Debatte, die schwer zu entscheiden sein wird, betont Le Monde.

Veröffentlicht am 21 September 2009 um 16:42
So sieht die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in den Augen deutscher Milchproduzenten aus, Berlin im Juni 2009 (AFP)

Liberalisierung gegen Regulierung. Hinter derMilchkrise, die heute mit dem Lieferstreik ihren Höhepunkt erreicht, steckt ein Dilemma, das für die europäischen Länder schwer zu lösen sein wird. Eine alte, für die Landwirte wichtige Debatte, in welcher sie den Ausdruck "Regulierung" wieder rehabilitieren möchten, der doch derzeit ständig vorkommt – wenn auch im Finanzbereich. Das immer wiederkehrende Argument, das nicht bei allen Mitgliedsstaaten gilt, jedoch von Frankreich vertreten wird, lautet so: Nahrungsmittel sind nicht einfach nur Waren wie alle anderen. Also ist die Landwirtschaft eine besondere Branche.

Soll denn nun, da die Kurse eingebrochen sind und es überall in Europa schwierig wird, von der Milchwirtschaft zu leben, der bereits begonnene Deregulierungsprozess aufgehalten werden? Die französischen, belgischen oder deutschen Milchwirte vertreten nach wie vor die offizielle Intervention. Denn im Hintergrund, so sagen sie, stehen nicht nur die Probleme von Angebot und Nachfrage, sondern auch Themen wie Beschäftigung, Raumplanung, Nahrungsmittelsicherheit, sanitäre Qualität unserer Ernährung, nachhaltige Entwicklung...

Quoten bis 2015 aufgehoben

Doch nicht alle Mitgliedsstaaten der EU sind dieser Meinung: Einerseits sind da die Verfechter einer familienbetriebenen, über das ganze Landesgebiet verteilten Landwirtschaft, wie es in Frankreich noch der Fall ist, und andererseits die Anhänger der "Milchfabriken" im dänischen Stil, die zwangsläufig konkurrenzfähiger sind. Heute macht ein Teil der Branche eben die Deregulierung, die in den letzten Jahren durch die Kürzung der Subventionen für Lagerung und Export eingeleitet wurde, für die Kursvolatilität und somit für die aktuelle Krise verantwortlich. Die Liberalen hingegen erklären die Schwierigkeiten der Branche vorwiegend durch die Rezession und somit den Rückgang der Nachfrage.

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Im Fokus der besorgten Streikenden liegt die Aufhebung der Quoten, mit denen seit 1984 hauptsächlich reguliert wird. Als ineffizient befunden, sollen sie bis 2015 nach und nach aufgehoben werden, gemäß eines Beschlusses, den die Mitgliedsstaaten auf Vorschlag der Kommission getroffen haben. Für die ältesten Milchbauern ist dies gleichbedeutend mit einem Rückschritt und für diejenigen, die vor Einrichtung der Quoten noch nicht tätig waren, ein Sprung ins Unbekannte. Dabei wurden sie erschaffen, damit Schluss ist mit der Überproduktion.

Todesstoß für Milchbauern

Die radikalsten Produzenten fordern die Aufrechterhaltung der Quoten, die ihnen ein festes Einkommen garantierten. Die anderen verlangen zumindest die Einrichtung einer "neuen Regulierung", um die Quotenaufhebung auszugleichen. Diesen Weg vertritt der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire, der gemeinsam mit seiner deutschen Kollegin Ilse Aigner, aus dem mit der ländlichen Tradition eng verbundenen Bayern, in diese Richtung drängt. "Viele Mitgliedsstaaten waren für ein gänzliche Deregulierung, doch ich habe den Eindruck, der Trend kehrt sich gerade um", erklärte er am Freitag, den 18. September. Frankreich und Deutschland haben schon 16 weitere europäische Länder auf ihre Seite gebracht. Le Maire wird am Montag in Polen versuchen, die Allianz noch zu verstärken.

Die Front der Regulierer stößt auf die Opposition der Briten, der nordischen Länder und Italiens, welches zur Zeit lieber Strafe zahlt, um weiterhin mehr als die erlaubten Mengen zu produzieren. Die "liberalen" Staaten rechnen mit der Unterstützung durch dieEU-Landwirtschaftskommissarin, die Dänin Mariann Fischer Boel.

Die von ihr am Donnerstag, den 17. September vorgestellte wegweisende Maßnahme zur Krisenüberwindung ist eine Art "Verschrottungsprämie" für die Neustrukturierung der Branche. Das Konzept besteht darin, die Milchbauern aufrechtzuerhalten, "die investiert haben, und denjenigen zu helfen, die aus der Branche aussteigen wollen", plädierte sie. Eine kalte Dusche für alle, die sich eine der Regulierung wieder zuträgliche Geste erhofft hatten, nämlich die Senkung der Produktionsquoten, damit die Preise wieder steigen. Nicht aber diesen Vorschlag, mit welchem die Schwächsten hinausgejagt und die Betriebe der Bleibenden noch gemästet werden. Wie seit 25 Jahren.

"Ein Testament für die Milchbauern", so reagierte die Fédération Nationale des Producteurs de Lait (FNPL), die Milchbranche der führenden französischen Landwirtschaftsgewerkschaft FNSEA. Allein in Frankreich ist die Zahl der Milchbetriebe von 427.000 im Jahr 1984 auf heute 90.000 gesunken. In Europa verschwanden von 2006 bis 2008 insgesamt rund 334.000 von ihnen. Frau Fischer Boel dürfte ihre Amtszeit in Brüssel zwar nicht verlängern, doch ihr Abgang wird die Kontroverse nicht beenden. Ihr Land stellt erneut Anspruch auf das Landwirtschaftsamt, wie auch Rumänien auf der Seite der Regulierer, unterstützt durch Frankreich. Kaum wiedergewählt, wird Kommissionsvorsitzender José Manuel Barroso wohl den Schiedsrichter spielen müssen, während er doch seine zweite Amtszeit auf mehr Regulierung ausgerichtet hat. Zumindest im Finanzbereich.

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