Prostituierte in einer Straßburger Straße.

Der Menschenhandel kennt keine Krise

Soziale Unsicherheit und Armut bringt viele Frauen dazu, den Versprechungen von Anwerbern zu glauben, die ihnen Ausbildungen oder Zeitarbeitsplätze versprechen, um sie schließlich zur Prostitution zu zwingen.

Veröffentlicht am 18 Oktober 2011 um 13:46
Prostituierte in einer Straßburger Straße.

Die meisten Präventionskampagnen gegen Menschenhandel haben keine nennenswerten Auswirkungen. Das EU-Parlament hat jüngst sogar erklärt, dass die Maßnahmen der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels wirkungslos geblieben seien. Die vom Europarat veröffentlichten Daten zeigen auf, dass es sich hierbei um die größte Einnahmequelle des organisierten Verbrechens handelt. Der “moderne Sklavenhandel” sei darüber hinaus ein Bereich der Schattenwirtschaft, welcher in den letzten Jahren ein exponentielles Wachstum gekannt habe. Betroffen sind vor allem Frauen: sie stellen 80 Prozent der jährlich 800.000 Opfer von Menschenhandel dar.

Mehrfach sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aufgefordert worden, Verantwortung zu übernehmen: Sie sollten den Opfern finanzielle Hilfe zur Rückkehr in die Heimat oder administrativen Schutz anbieten, wenn sie in der EU verbleiben möchten. Den Frauen soll zudem nahegelegt werden, dass es in ihrem Interesse sei, gegen ihre Entführer auszusagen und, sollte dies der Fall sein, ihnen Schutz gegen Vergeltungsmaßnahmen der Verbrecherbanden zu sichern.

Sie hausen mitten im Wald in Zelten

In der Praxis geschieht dies nur selten. Nehmen wir das Beispiel Bulgarien. Nach Angaben der Nationalen Kommission zur Bekämpfung des Menschenhandels belief sich im Jahr 2010 die Zahl der Opfer auf 500 Personen, doppelt so viele wie im Vorjahr. In diesem Jahr lag die Zahl der Opfer im April bereits bei 154: 141 Frauen und 13 Kinder. Das ist natürlich nur der sichtbare Teil des Eisbergs: die nachgewiesenen Fälle von Menschenhandel. Die Wirklichkeit ist, wie man sich vorstellen kann, erheblich erschreckender.

Die Risikoländer für Bulgaren und Bulgarinnen sind die Niederlande, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Zypern und Schweden. Zweck dieses Geschäfts bleibt im Regelfall die sexuelle Ausbeutung, doch steigt auch die Zahl der Fälle von Zwangsarbeit. So wurden vor kurzem zwei in Schweden ansässige Bulgaren verhaftet, die Landsleute mit dem Versprechen von gut bezahlten Jobs und komfortablen Wohnungen anlockten. In Wirklichkeit wurden die Leute zur Obsternte geschickt und mussten mitten im Wald in Zelten hausen. Ohne Bezahlung.

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Doch die wenigen Fälle von Verurteilungen können den Trend nicht umkehren. Vor ein paar Jahren sind zwei Männer verurteilt worden, die Bulgarinnen nach Griechenland einschleusten. Es stellte sich heraus, dass sie auf dem Land Frauen rekrutierten, um sie dann in Sofia oder im benachbarten Griechenland zur Prostitution zu zwingen. 50 Prozent der Einnahmen behielten sie ein. Nach einer Verurteilung in erster Instanz sind die Männer ganz offensichtlich später freigesprochen worden, denn im vergangenen Sommer tauchten in der britischen Presse Fotos von ihnen auf, die sie zeigen, wie sie Frauen als “moderne Sklaven” nach Großbritannien einzuschleusen versuchen.

Achtung vor “Studienaufenthalten im Ausland”

Die Behörden warnen auch davor, wie die Menschhändler mit immer mehr Einfallsreichtum die Opfer in ihre Netze locken. Der beliebteste Trick derzeit sei, den Frauen einen “Studienaufenthalt im Ausland” anzubieten, vor allem Sprachkurse. Es werde dabei immer seltener körperliche Gewalt angewendet, zugunsten von psychischer Gewalt oder Druck auf die daheim gebliebenen Familienangehörigen. In Bulgarien bleiben die Hauptursachen des florierenden Menschenhandels der Analphabetismus, der Zusammenbruch der moralischen Werte, Armut, ethnische Diskriminierung, Arbeitslosigkeit... was den Strategiewechsel der Schleuser erklärt, die sich heute immer öfter als Zeitarbeitsvermittlungen ausgeben.

Der Trend wird anhalten, denn in Krisenzeiten suchen die Menschen mit allen Mitteln einen Ausweg aus oftmals katastrophalen materiellen Notlagen. Sie sind zu allem bereit. Die Sensibilisierungskampagnen können die Lage kaum verbessern. Die eigentliche Arbeit muss von der Polizei auf lokaler wie internationaler Ebene geleistet werden. Es stellt sich durchaus die Frage, warum die europäischen Polizeibehörden mit ihrem riesigen Repressionsapparat es nicht schaffen, mit den paar Grobkriminellen fertig zu werden, in deren Händen der Menschhandel liegt... (js)

Arbeit

Sklaverei in Europa

“Kellnerinnen, die drei Euro pro Stunde bekommen, sieben Tage die Woche arbeiten und über der Bar zu zweit oder dritt im selben Bett schlafen müssen. Arbeiter einer Autowaschanlage, die 20 Euro für einen zehnstündigen Arbeitstag bekommen oder bei schlechtem Wetter auch mal nichts.” – “Die neuen Sklaven sind unter uns”, titelt Le Soir nach Veröffentlichung in Belgien des 14. Jahresberichts zum Menschenhandel des Zentrums für Chancengleichheit. Der Bericht betont, dass der Menschenhandel immer professioneller betrieben werde. Ein Phänomen, das zudem immer komplexer werde. Über den Einsatz von Zwischenmännern werde es schwieriger, die eigentlichen Verantwortlichen zu ermitteln.

Die Tageszeitung aus Brüssel zitiert zur Veranschaulichung einen Fall, der in Gent vor Gericht kam: Er betrifft eine Kette von Autobahnrestaurants, die systematisch Subunternehmen beauftragte, um Billigkräfte zu liefern, die ausgenutzt wurden. Kasachische Arbeiter mussten sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr auf den WC-Anlagen schuften. Lohn: 1200 Euro brutto. Die Arbeiter wurden über eine deutsche Firma angeheuert und als selbstständig deklariert. Somit unterlagen sie nicht dem belgischen Arbeitsrecht. “Die andere Säule, auf der die wirtschaftliche Ausbeutung beruht, ist die EU-Richtlinie zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer und deren negative Auswirkungen”, zitiert Le Soir den Bericht, der “eine EU-Sozialinspektion” fordert, “um zuverlässige Daten über die Arbeitsbedingungen eines Angestellten oder innerhalb eines Unternehmens zu bekommen.” Zusammen mit einem neuen Gesetz, welches auch die Auftraggeber belangt, könnte dies ein Beitrag sein, um effektiv gegen Steuerhinterziehung und Menschenhandel vorzugehen.

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