ETA, letzte Schritte Richtung Ende

Die Friedenskonferenz in San Sebastian rief die ETA zum Ende terroristischer Aktivitäten auf, nicht zur kompromisslosen Kapitulation. Doch wie am Friedensprozess in Nordirland zu sehen ist, sind manche Zugeständnisse notwendig, will man wirklich Frieden.

Veröffentlicht am 18 Oktober 2011 um 15:31

Polizeilicher Druck und demokratische Strenge haben die ETA in ihre Schranken verwiesen. Doch wenn die terroristische Organisation einen theatralischen Vorwand braucht, um das endgültige Ende der Gewalttaten anzukündigen, dann wurde ihr dieser gestern von der Internationalen Euskadi-Friedenskonferenz [über das Baskenland] in San Sebastian auf einem silbernen Tablett serviert.

Die Bedeutung der ausländischen Gäste, die veröffentlichte Erklärung in fünf Punkten und die Abwesenheit der spanischen und der baskischen Regierung dürften ausreichen, um die Terroristen dazu zu bringen, die definitive, baldmöglichste Einstellung jeglicher Gewaltanwendung anzukündigen. Zudem könnte man sich auch keinen Rahmen für die Beendigung dieser Tragödie vorstellen, der den nachdrücklichen Forderungen der Abertzale [ETA-nahe, radikal-nationalistische Linke] besser entspricht.

Manche werden sicherlich Vorbehalte über den verabschiedeten Text äußern. Doch es ist unbestreitbar, dass der Aufruf an die spanische und die französische Regierung, miteinander zu verhandeln, – und auch der Aufruf an die Gesellschaft insgesamt, sich für eine Versöhnung auszusprechen, aus Respekt für die Opfer und ihre Angehörigen – schon längst zum Szenario [der ETA] gehörte. Gewiss, ohne die polizeiliche und gerichtliche Verfolgung hätte sich die ETA nie so dem Punkt genähert, an welchem sie das Handtuch wirft, doch es hätte nicht gereicht, um der langjährigen Gewalt ein Ende zu setzen.

Gefangene und politischer Rahmen

Wer sich darauf versteift, das Gegenteil zu behaupten, weiß, dass zu gegebenem Zeitpunkt Zugeständnisse – allerdings keine politischen Konzessionen – gemacht werden müssen, damit die ETA die Waffen niederlegt und die Bühne verlässt. Sich vorzustellen, die Lösung liege in der Unterwerfung der ETA, hieße die Geschichte anderer, mit dem des Baskenlandes vergleichbarer Konflikte zu verkennen.

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Tatsächlich lehnte sich die Konferenz von San Sebastian teilweise an die Logik an, die zur Lösung der Gewaltfrage in Irland eingesetzt wurde: Im dortigen Kontext wurde nicht die Auflösung der IRA, sondern das unwiderrufliche Ende der Gewaltanwendung gefordert. Danach musste die Situation der Gefangenen angepackt und ein politisches Rahmensystem vorangetrieben werden, wie es auch im Baskenland der Fall sein wird. Dies muss berücksichtigt werden, damit kein Fundamentalismus angefacht wird.

Die Abwesenheit der konservativen Volkspartei (PP) bei diesem Termin ist angesichts ihrer Parteilinie durchaus logisch. Doch falls die PP wieder an die Macht kommt [sie gilt für die Parlamentswahlen vom 20. November als Favorit], dann wird sie das Ende der ETA beaufsichtigen und dabei Hochherzigkeit und Übereinstimmungsbereitschaft beweisen müssen. Die Tatsache, dass Mariano Rajoy [Parteichef der PP] daran denkt, den von der PSOE [sozialistische Partei] und der PNV [nationale baskische Partei] geführten Prozess fortzusetzen, weist in die richtige Richtung. (pl-m)

Standpunkte

“Eine beleidigende Farce” für die konservative Presse

El Mundo schreibt ironisch vom “Festival von San Sebastián” und spielt damit auf das jährliche Filmfest in der baskischen Stadt an. Die konservative Tageszeitung ist der Ansicht, die Konferenz vom 17. Oktober sei eine “beleidigende Farce” für die Demokraten und vor allem für die Opfer des Terrorismus gewesen. Sie habe die “abwegige Idee eines Konflikts zwischen zwei konfrontierten Lagern auf gleichem Fuß und mit der gleichen moralischen Legitimität” propagiert.

Die Abschlusserklärung sei eine “Falle”, heißt es weiter. El Mundo meint, die “internationalen Stars” wie der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan oder der frühere irische Ministerpräsident Bertie Ahern hätten “der Strategie der ETA gedient”. Der Text “verlangt nicht einmal die Auflösung der Gruppe, und auch nicht die Übergabe ihres Waffenarsenals”, kritisiert El Mundo. Nur die Gewaltanwendung soll beendet werden. Dagegen wolle man “alle Opfer” anerkennen – dies sei eine “listige Art, den Etarras den Status von Opfern [damnificados] zu verleihen und somit die Grenzen zwischen den Opfern und ihren Peinigern auszulöschen”.

Die konservative Tageszeitung prangert auch die “stille Komplizenschaft” der spanischen Regierung an, die eine Zusammenkunft erlaubt hat, in welcher die Teilnehmer eine “illegale, nicht verfassungsgerechte Lösung” für das verlangen, “was sie die ‘letzte bewaffnete Konfrontation Europas’ nennen”. Für El Mundo muss man “auf die neue Regierung nach dem 20. November vertrauen, damit dieser überaus schlechte Film, der gestern in San Sebastián aufgeführt wurde, nicht belohnt wird”.

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