Auf einer Länge von Agrigento bis London: Taucher versuchen, einen Pottwal aus dem Treibnetz zu befreien

Todesursache Fischfang

2002 verbot die EU zum Schutz der Mittelmeerfauna die Schleppnetze und entschädigte die Fischer. Doch für viele von ihnen ist der Thunfisch- und Schwertfischfang viel zu lukrativ. Sie umgehen also das Verbot, mit Hilfe der Mafia.

Veröffentlicht am 31 Oktober 2011 um 17:21
Alberto Romeo, Marine Photobank  | Auf einer Länge von Agrigento bis London: Taucher versuchen, einen Pottwal aus dem Treibnetz zu befreien

Manche übergaben sie den Behörden, wie andere ihren Colt oder ihre Winchester beim Dorfsheriff abgeben. Doch etliche, dem Lockruf des Geldes folgend oder weil sie überleben müssen, benutzen sie weiter, entweder versteckt in der Nähe der tunesischen Häfen oder weit ausgebreitet in kalabrischen Gewässern. Die pelagischen oder Schwimmschleppnetze, hier “spadare” genannt, dienten für den Thunfisch- oder Schwertfischfang und wurden 2002 von der EU verboten, weil sie die marine Umwelt zerstören. In Italien sind sie die erste Todesursache für Pottwale und Delfine, die sich in ihren unsichtbaren Maschenwänden verfangen.

Das Ultimatum, das dem Krieg ein Ende setzen soll, kam am 6. Oktober aus Brüssel. Italien hat zwei Monate, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. 60 Tage, um zehn Jahre Illegalität zu beschließen. Die Geduld hat Europa nicht weniger als 200 Millionen Euro gekostet: Diese Summe wurde von der Europäischen Kommission für die Umstellung von den Schleppnetzen auf andere, weniger verheerende Fischereisysteme vergeben. Die italienischen Fischer kassierten das Geld, warfen ihre geisterhaften Netze allerdings weiter aus.

2800 Kilometer Schleppnetze beschlagnahmt

Erst vor einem Jahr schien der Frieden zwischen den Fischereibooten und den Hafenmeistereien in greifbarer Nähe, als die Fischer von Bagnara Calabra in der Provinz Reggio Calabria die Waffen streckten. Während einer stark mediatisierten Pressekonferenz am 24. Juni 2010 hatten sie den Behörden ihre “spadare” übergeben und erhielten dafür ein paar Genehmigungen zur Leinenfischerei. Doch nur wenige folgten diesem Beispiel.

Allein zwischen 2005 und 2009 wurden 2800 Kilometer Schleppnetze beschlagnahmt, praktisch die Strecke zwischen Agrigente und London. Und während der ersten neun Monate 2011 wurden nicht weniger als 93 Delikte festgestellt, die zur Beschlagnahmung von 221 Kilometern verbotener Netze führten: eine Erhöhung um 64 Prozent im Vergleich zu 2010.

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Auf der von der Stiftung Pew Environment veröffentlichten Liste der vorschriftswidrigen Boote stehen 330 Trawler, die “Fischerei mit gesetzwidrigen Netzen” betreiben. 103 von ihnen hatten für die Umrüstung von pelagischen Netzen auf weniger umweltschädliche Systeme sowohl von der Europäischen Union als auch vom italienischen Staat bedeutende Fördermittel erhalten (über 12,5 Millionen von 1998 bis 2006).

Mit dem Scheck in der Tasche setzten viele den Betrug fort, so etwa der Chef des Fischkutters San Francesco I aus Palermo, der eine Subvention von 37.000 Euro erhalten hatte und in den letzten Jahren sechs Mal bestraft wurde. Oder die Patrizia, die 2007 vier Mal zwischen den Liparischen Inseln und Milazzo sanktioniert wurde, nachdem sie nicht weniger als 249.000 Euro an öffentlichen Hilfsgeldern für die Umrüstung ihrer Netze erhalten hatte.

Getürkte Fische

Die Offiziere der Küstenwacht vermuten, dass “die ausgeteilten Finanzierungen für die Umrüstung des Fischereigeräte in Wirklichkeit auf den Kauf kostspieliger Ausrüstung angewendet wurden, um mit noch effizienteren Systemen die verbotenen Fischereimethoden weiterzuführen”.

Oft dienen erlaubte Fischereisysteme als Deckmantel: “Da in den Fischereilizenzen fast immer die Leinenfischerei vorgesehen ist, erklären die Besatzungsmitglieder, dass die an Bord gefunden Schwertfische mit Haken gefangen wurden. Dabei wurden die den Fischen in Wirklichkeit erst nach dem Fang ans Maul gesteckt”, schreibt Vittorio Alessandro, Kommandant der Küstenwacht.

Eine andere Methode besteht darin, mehrere “ferrettare” aneinanderzuhängen. Diese Netze sind maximal 2,5 Kilometer lang und ihr Einsatz ist in mehr als 10 Meilen Abstand von den italienischen Küsten erlaubt. “Wir stellen die Verwendung von extrem langen ‘ferrettare’-Barrieren aus mehreren Netzen fest. Jedes davon hat die jeweils maximale erlaubte Länge und sie sind hintereinander befestigt. Somit verwandeln sich die ‘ferrettare’ in riesige Schleppnetze, die in ihren Maschen Dutzende Tonnen Schwertfisch festhalten.”

Konziliante Häfen als Operationsbasis

Konziliante Häfen sind die Operationsbasis der Wilderer. Dort werden Dutzende über Dutzende von Kilometern “spadare” versteckt, so etwa im Hafen des tunesischen Bizerte, wo die Boote der italienischen Wilderer die konformen Netze abladen und die “spadare” und “ferrettare” an Bord nehmen. 2010 wurden dort drei Fischerboote abgefangen, die gerade mit ihrer illegalen Ausrüstung den Anker lichteten, und zwar in Richtung eines Fischgebiets 40 Meilen nördlich der afrikanischen Küste. Durch die Aktion konnten auf dem ersten Kutter knapp 11.000 Meter Netze und auf dem zweiten rund 5.500 Meter beschlagnahmt werden, sowie über 1000 Kilo Schwertfisch.

Nach den Erklärungen der Ermittler, die in der Akte “Mare Nostrum” der italienischen Umweltliga Legambiente aufgeführt sind, wird der illegale Fischfang nicht nur von improvisierten Fischern ausgeübt, sondern auch von tatsächlichen kriminellen Organisationen, die an Mafias anmuten. Sie sind mit allen möglichen Instrumenten ausgerüstet, um möglichst viele Lebensformen im Meer zu plündern. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass in Sizilien, Kampanien oder Kalabrien [die Regionen, in denen die Cosa Nostra, die Camorra und die ‘Ndrangheta angesiedelt sind], die “spadare” und andere illegale Fischereiarten seit langer Zeit die Regel sind und es auch bleiben.

Nach Angaben der Confesercenti, eines bedeutenden italienischen Unternehmensverbands, erreicht der Umsatz der legalen Fischerei zwei Milliarden Euro pro Jahr. Es ist schwer, die Gewinne des illegalen Fischfangs zu schätzen, doch den Ermittlern zufolge liegen sie bei 1,5 Milliarden. (pl-m)

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