Ideen Deutschland-Frankreich

Rückkehr der alten Dämonen

Mit Deutschlands Vorhaben, in der Eurozone für mehr Disziplin zu sorgen, hat Frankreich seine Probleme. Hinter den deutschenfeindlichen Kommentaren versteckt sich eine Wahrheit, die keiner mehr bestreiten kann: Die Franzosen sind für Europa, solange dieses französisch ist.

Veröffentlicht am 5 Dezember 2011 um 16:16

Auch diese Woche, die mit dem EU-Gipfel am 9. Dezember endet, wird das deutsch-französische Paar wieder einmal eine mögliche Lösung der Krise liefern. Hier muss ein Fehler anerkannt und behoben, sowie ein perspektivischer Irrtum vermieden werden.

Der – schwere – Fehler, das sind all die deutschenfeindlichen Stimmen, die sich vor dem Wochenende zu Wort meldeten. “Schlagstock-Europa”, sagte Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Front national; “Merkels Bismarck'sche Expansionspolitik”, verlautbarte Arnaud Montebourg (Abgeordneter der Sozialisten, der bei den innerparteilichen Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl den dritten Platz ergatterte); Nicolas Sarkozy ähnele “Daladier in München”, so der sozialistische Abgeordnete Jean-Marie Le Guen, was einem indirekten Vergleich der Bundeskanzlerin mit Hitler gleichkommt; “Kapitulation”, meinte Martine Aubry, Parteichefin der Sozialisten… Mit diesen Statements droht eine “Rückkehr der alten Dämonen”, könnte man mit Blick auf den Titel des jüngsten Werks des Ökonomen Jean Pisani-Ferry behaupten.

Solcherart Sündenbock-Praktiken aus historischer Seriosität abzulehnen heißt aber nicht, dass Kritik an unserem großen Partner verboten ist: Sowohl seine Bummelei in der zwei Jahre dauernden Eurokrise als auch seine Fixierung auf die Haushaltsdisziplin allein verdienen in Zeiten der Rezession eine kritische Beleuchtung.

Berlins Stärke kommt von Frankreichs Schwäche

Jedoch handelt es sich bei den zitierten Worten keinesfalls um harmlose Aussagen. Und selbst die beschwichtigenden Bemerkungen [des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten] François Hollande im Journal du dimanche (“Meiden wir verletzende Worte”) werden sie nicht ausbügeln können.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Übrigens müssen wir uns auch eingestehen, dass die Stärke Berlins vor allem von der Schwäche Frankreichs kommt. Dessen Staatsfinanzen wird seit geraumer Zeit kaum noch über den Weg getraut. Zudem müssen wir – diesmal schmunzelnd – zugeben, dass die Franzosen Europa nur genau so lange wollen wie Europa französisch ist!

Der perspektivische Irrtum betrifft die Mittel zur Krisenlösung. Frankreich und Deutschland diskutieren über automatische Sanktionen gegen Schuldensünder, Änderungen der EU-Verträge (Wie? Wann? Zu wievielt: 27 oder 17?) und die Rolle des Gerichtshofs, der für den Zusammenhalt der Union eine wirklich wichtige Rolle spielt. Es geht darum, die Gläubiger zu beruhigen, indem man ihnen versichert, dass Schulden nicht einfach so erlassen werden. Aber in Wirklichkeit wird ein Abkommen, so notwendig es auch sein mag, nicht ausreichen.

Nur die Europäische Zentralbank kann das anhaltende Misstrauen der Märkte beseitigen (Kapitalabflüsse und die Tatsache, dass Unternehmen sich zu günstigeren Konditionen Geld leihen als der Staat). Sie allein kann von nun an noch für die Eurozone bürgen. Die Entspannung der Zinssätze der letzten Tage (der deutsch-französische “Spread” ist innerhalb von zehn Tagen von 220 auf 100 gesunken) ist der sehr viel offeneren Herangehensweise von EZB-Präsident Mario Draghi zu verdanken. Alle Wege führen nach Frankfurt.

Merkel-Sarkozy

Der Kopf, die Beine und die Bankerin

Das Harmonie-Spektakel der deutschen Kanzlerin und des französischen Präsidenten hat Sinn fürs Detail. Sie im schwarzen Blazer und silberner Halskette, er im schwarzen Anzug mit blauer Krawatte; sie spricht “von der schwersten Krise seit Einführung des Euro”, er von der “größten Herausforderung, vor der die Europäische Union je gestanden habe”. Aber die Harmonie endet hier, berichtet der Spiegel.

Die Zankäpfel sind dieselben, also die Ausgestaltung des neuen Rettungsschirms ESM, die Rolle der Zentralbank, die Beteiligung oder nicht privater Gläubiger an Staatspleiten. Dabei gebe es Raum für einen Kompromiss, meint das Hamburger Nachrichtenmagazin: “Wenn die europäischen Institutionen verhindern können, dass Regierungen über ihre Verhältnisse leben, dann gibt es keinen Grund mehr, die Gegenleistung zu verweigern: eine gemeinschaftliche Haftung für Notfälle.”

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy bleiben aber weiter “Gefangene der politischen Traditionen ihrer Heimatländer. Die Franzosen wollen sich nicht damit abfinden, dass Europas Zentralbank unabhängig ist. Die Deutschen denken, sie könnten die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes nutzen, ohne finanzielle Verantwortung zu übernehmen.” Solches Misstrauen herrsche - so der Spiegel - dass Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker nach jedem Telefonat mit dem einen vom anderen verhört werde.

Die Machtspiele gehen weiter, zeigt eine letzte Anekdote für Ungläubige: “Am Rande eines EU-Gipfels sagte Sarkozy zur Kanzlerin: ‘Angela, wir zwei in Europa, wir sind der Kopf und die Beine.’ Nein, entgegnete Merkel, ‘du bis der Kopf und die Beine - aber ich bin das Bankhaus’.”

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema