Europa im Wechselbad der Temperaturen

In Durban ist es der EU nicht gelungen, eine gemeinsame Position zu den Emissionsquoten von Treibhausgasen nach 2012 auszuhandeln, was unter anderem am Veto der ehemaligen kommunistischen Länder scheiterte, die ihre besonders vorteilhaften aktuellen Quoten verteidigten.

Veröffentlicht am 13 Dezember 2011 um 15:27

Nach Ansicht der meisten Beobachter sind die USA und China die beiden Vielfraße von Durban. Zwei egoistische Länder, die nur mit den eigenen Interessen im Hinterkopf nach Südafrika reisten. Währenddessen versuchten einige weniger mächtige Länder angeblich zum Schutze des Planeten das Kyoto-Protokoll zu retten. Doch auch sie hatten die unausgesprochene Absicht, wie in den Jahren zuvor von diesem ebenso singulären wie komplexen Abkommen zum Kampf gegen den Klimawandel zu profitieren.

Es sind die Länder Osteuropas, die ehemaligen Staaten der UdSSR und deren Satellitenstaaten, die sich weiterhin am Emissionshandel für Treibhausgase bereichern. Sie bieten ihre Emissionsrechte auf dem Markt an, damit Länder wie Spanien ihre Emissionen entsprechend ihrer Zielsetzungen reduzieren können. Und sollte die Union in den kommenden Monaten keine weiteren Maßnahmen ergreifen, werden diese Ziele auch erreicht werden.

Damit sich ein Land wie Russland, einer der weltgrößten Umweltverschmutzer, am Kyoto-Protokoll beteiligt, wurde dem Abkommen als Köder eine Klausel hinzugefügt. Ein lukratives Geschäft, neben dem alle anderen Kompromisse nahezu überflüssig wirken: Die Möglichkeit, seine eigenen überschüssigen Emissionsquoten an andere Länder weiter zu verkaufen. Das Protokoll legt für jeden Staat eine maximale CO2-Menge fest, die in die Atmosphäre freigesetzt werden darf.

Als die sowjetische Industrie den Planeten verschmutzte

Die tugendhaften Länder dürfen ihre nicht genutzten Emissionsrechte weiterverkaufen. Doch muss man bedenken, dass das Kyoto-Protokoll die Emissionen von 1990 als Grundlage verwendet: Damals verschmutzte die umweltschädliche sowjetische Industrie den Planeten mit rasanter Geschwindigkeit. In den Neunzigerjahren ist die industrielle Macht zusammengebrochen. Worauf, zum Teil auch durch Modernisierung, die Umweltverschmutzung in der Region sank — zumindest auf dem Papier.

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Deshalb kann sich beispielsweise Lettland heute damit brüsten, seine CO2-Emissionen um 478 Prozent gesenkt zu haben, ein Überschuss, der auf dem Markt der Emissionsrechte eine ungeheure Geldsumme darstellt. Unter den Ländern, welche ihren CO2-Ausstoß am meisten reduziert haben, finden wie auch Estland (-73 Prozent), Russland (-66 Prozent), Finnland, Weißrussland, Rumänien (jeweils 64 Prozent) und die Ukraine (-60 Prozent). Spanien hat diesen Ländern gelegentlich die Rechte für tonnenweise CO2 abgekauft, um seinen Kyoto-Verpflichtungen nachkommen zu können. Alle Länder hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang profitieren von diesem Abkommen.

In Durban hat Russland, obwohl es hauptsächlich an der heutigen Situation beteiligt war, sich geweigert, sich der kleinen Gruppe von Staaten anzuschließen, die auf eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls spekulieren. Doch die “Heißluftfrage”, mit anderen Worten, die Frage des enormen Überschusses an Emissionsrechten der osteuropäischen Länder ist immer noch nicht geklärt. Schuld daran ist hauptsächlich die Europäische Union, die einmal mehr unfähig war, sich zu einigen.

Einerseits befürworten bestimmte Länder den Abbau dieser “kollateralen” Privilegien, die es den Staaten ermöglichen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, ohne auch nur den Finger zu rühren. Auf der anderen Seite sehen die Länder Osteuropas im Handel mit Emissionsrechten eine Art Kohäsionsfonds zur Modernisierung ihrer Industrie. Und zur Krönung des Ganzen hat Polen, eines der Länder, welches in den letzten sechs Monaten am meisten von diesem Markt profitiert hat, auch noch derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Osteuropa schaufelt sich die Taschen voll

Der Nachfolgetext von Unterzeichnerstaaten des Kyoto-Protokolls — neben der Union noch die Schweiz, Norwegen, Australien und Neuseeland — sieht lediglich vor, den Vertrag bis 2017 oder 2020 zu verlängern sowie die “Auswirkungen der Verlängerung” auf das Volumen der Reduktion des Treibhausgasausstoßes zu evaluieren. “Hier gibt es ganz eindeutig ein großes Problem, welches die EU in Angriff nehmen muss”, erklärt Aída Vila, Greenpeace-Sprecherin für Klimafragen nach ihrer Rückkehr von der Durban-Konferenz. “In Durban war die Union unfähig, mit einer Stimme zu sprechen, vor allem, da Polen seinen eigenen Kurs verfolgte.”

Greenpeace hofft, dass sich der Knoten beim kommenden Treffen des Europäischen Rats im kommenden März in Brüssel, löst. Zwei Monate später soll Kyoto 2 unterschrieben werden, und die Staaten werden quantifizierte Zielsetzungen zur Reduktion von CO2-Emissionen vorlegen müssen. Am 1. Januar 2013 soll dann die zweite Verpflichtungsperiode beginnen. “Brüssel muss dieser Situation ein Ende setzen” meint Vila, “auch wenn das nicht leicht sein wird.” Für sie müsse mindestens ein “Mittelweg” gefunden werden, um den riesigen Ballon mit Treibhausgas, mit dem sich Osteuropa sich das Portemonnaie füllt, so klein wie möglich zu halten.

“Das Ziel von Kyoto war weder Geschäftemacherei noch Däumchendrehen, indem man einfach Emissionsrechte aufkauft”, bedauert die Umweltaktivistin. “Der eigentliche Sinn des Protokolls ist pervertiert worden.” Ihren Berechnungen zufolge werden die Emissionsrechte so billig sein, dass alle Länder der Europäischen Union die Ziele der zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls erreichen werden, “ohne auch nur irgendetwas tun zu müssen.” (js)

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