Brand im Abschiebezentrum vom Rotterdamer Flughafen (Niederlande), 23. August 2009. Bild: vgnoord.nl

Feuer auf die Festung Europa

Brandstiftung, Drohungen gegen Personen, Farbbomben… Die Aktionen gegen die niederländische Migrationspolitik werden häufiger und härter. Dem Zentralen Nachrichtendienst zufolge führen zwei radikale Organisationen den Kampf an. Die gewalttätigsten Aktionen werden jedoch häufig von Splittergruppen begangen.

Veröffentlicht am 3 November 2009 um 16:19
Brand im Abschiebezentrum vom Rotterdamer Flughafen (Niederlande), 23. August 2009. Bild: vgnoord.nl

August 2009: Nach einer Warnung übers Internet steht ein Gebäude neben dem Flughafen von Zestienhoven in Brand. Es handelt sich um eine Bauhütte der Unternehmen, die derzeit ein großes Abschiebezentrum (320 Zellen für 576 Insassen) für Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung bauen. Ein wenig später am selben Tag bekennt sich die Splittergruppe anonymer Aktivisten 'The Anarchist Fire' zu der Tat. Brandlegung, Einschüchterungsversuche, Drohungen... seit einigen Jahren steigt der Widerstand gegen die niederländische Asyl- und Einwanderungspolitik, stellt der Zentrale Nachrichten- und Sicherheitsdienst AIVD fest.

David van Ballegooijen hat es selbst erlebt. Am 20. Februar 2007 trifft es ihn wie ein Schlag, als er aus seinem Haus in Zeist tritt. Die Fassade ist rot beschmiert. Zunächst hält er es für einen Akt von Vandalismus, dann erhält er aber eine anonyme E-Mail: "Blut klebt an deinen Händen, Blutflecken kleben an der Wand (...) Dies ist eine Warnung (...) Keiner bleibt mehr anonym, der mit der unmenschlichen Flüchtlingspolitik kollaboriert." Van Ballegooijen versteht sofort, worum es geht: Als Abgeordneter und Ortsvorsitzender seiner christlichen Partei hat er für die Erweiterung des Auffanglagers für Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung des Kamp Zeist gestimmt. "Wenn die Leute mit den politischen Entscheidungen nicht einverstanden sind, sollen sie doch bitte tagsüber an meine Tür klopfen", sagt er. "Mitten in der Nacht eine Farbbombe zu werfen ist feige." In der gleichen Nacht ist die Aktivistengruppe noch bei fünf anderen Fraktionsvorsitzenden vorbeigefahren. Bei Karst Schuring von der Arbeiterpartei war es am verheerendsten. Die Plastiktasche voller Farbe landete im Zimmer seiner Tochter.

Liste betroffener Unternehmen

Am 9. Februar dieses Jahres war das Haus und Auto des Architekten des Auffangzentrums Zestienhoven mit roter Farbe beschmiert. Darauf folgte eine Drohmail der Aktionsgruppe "Betonrot": "Als Dankeschön für dein Projekt zum neuen Auffangzentrum Zestienhoven und deiner vorigen Beiträge zum gewerblichen Strafkomplex. Dies gilt als Warnung (...) Hört auf, euch an der barbarischen Immigrationspolitik der Festung Europa zu bereichern!"

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Der Zentrale Nachrichtendienst glaubt, dass die Zahl der illegalen Handlungen und Einschüchterungsversuche steigen wird, vor allem, weil die Niederlande immer mehr Abschiebezentren bauen. Im Internet findet man ein 27-seitiges Dokument mit dem Titel 'Au pilori!', in welchem die betroffenen Einrichtungen aufgeführt sind. Unter anderem findet man dort die Büros des Einwanderungs- und Einbürgerungsamts (IND), die Firma, die das Gefängnisschiff von Dordrecht umgebaut hat und der Fahrstuhllieferer des neuen Auffangzentrums Zestienhoven. Aber auch das Müllabfuhrunternehmen der Auffangschiffe von Zaandam, die Zeitarbeitsfirmen, die das Personal der Auffangzentren stellen und die Unternehmen, die die Weihnachtspakete für die IND liefern. Die Seite "Nieder mit der Abschiebungsmaschine", die letztes Jahr im Internet zu finden war, gab sogar alle möglichen privaten Informationen preis. Zum Beispiel konnte man dort lesen, in welchem Judo-Verein der Sohn des Direktors eines Auffangzentrums Mitglied war.

Entscheidung für legalen Widerstand

Der Zentrale Nachrichtendienst (AIVD) schreibt in seinem Bericht, dass der "illegale Widerstand von zwei Organisationen ausgeht": Stoppt die Abschiebungen (WSD) und der Anarchistische Anti-Abschiebe-Gruppe von Utrecht (Aagu). Sie haben ihren Sitz in Utrecht und führen legale und illegale Aktionen durch, von denen manche zu Bußgeldstrafen, zu Alternativstrafen und Gefängnisstrafen führten. Ihre Handlungen sind aber keine Einschüchterungs- oder Drohtaten. Zu diesen bekennen sich Splittergruppen wie "Grenzen Weg", "Geen Bloed Aan Mijn Handen" (Kein Blut an meinen Händen), "Gebroken Gla(n)s" (Gebrochenes/r Glas/Glanz), und "Anarchist Fire".

"Wir glauben, dass Immigration eine Ursache hat. Weil wir sehr reich sind, kommen die Armen zu uns, das ist ganz logisch", erklärt die 47 Jahre alte Aktivistin der Aagu Mikkie Venema. "Wir widersetzen uns der derzeitigen Einwanderungspolitik, indem wir offene und direkte Aktionen durchführen, die aber Personen gegenüber gewaltfrei sind.

Manchmal muss man Dinge tun, die die Leute stören. Zwei Mal haben wir ein Büro der IND besetzt und sind auf das Dach des Kamp Zeist gestiegen. Die AIVD verwechselt uns mit den Leuten, die paint bombs werfen. Das ist absurd. Wir machen den Leuten keine Angst. Ich kann aber verstehen, dass man eine Bauhütte neben dem Auffangszentrum vom Flughafen Zestienhoven anzündet. Menschen, die seit 21 Jahren in den Niederlanden leben und arbeiten, werden ausgewiesen. Menschen, die bis zu acht Mal eingesperrt wurden und die monatelang in den Hungerstreik treten. Wenn man so etwas hört, fühlt man sich machtlos."

TREND

Radikalisierung auch rechts

Fünf Jahre nachdem der Filmemacher Theo van Gogh von einem Islamisten getötet wurde, hat das Innenministerium drei Forscher damit beauftragt, einen Bericht zur Radikalisierung der niederländischen Gesellschaft zu verfassen. Dem Volkskrant zufolge schreiben die Autoren, dass die Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders "eine rechtsextreme Partei" sei, die zur "Islamphobie und zum Staatshass anstiftet. Folglich untergräbt sie den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie" in den Niederlanden. Der Bericht scheint dem "Ministerium unangenehm zu sein", denn die "Forscher sprechen das aus, was viele Beamte denken, sich aber niemand laut zu sagen getraut", bemerkt die Tageszeitung. Das Ministerium möchte daher, dass die Schlussfolgerungen des Berichtes aufgrund ihrer "politischen Brisanz" abgeschwächt wird.

"Die Vorsitzenden der Arbeiterpartei und der Demokraten tragen zu einer Stimmung bei, die Hass und Gewalttätigkeiten gegen mich und die PVV schürt", reagierte Wilders, der sie "Komplizen von Mohammed B.", dem Mörder von van Gogh, nannte. "Man muss Vorsicht walten lassen, wenn man Begriffe wie 'rechtsextrem' verwendet", urteilt De Volkskrant. "Wilders Erfolg ist auf eine große Unzufriedenheit hinsichtlich der Immigration und der Integration zurückzuführen. Diese Unzufriedenheit löst sich nicht nur deshalb in Luft auf, weil einige Forscher beweisen, dass Wilders Ideen strafbar sind […] Man muss die PVV mit schlagenden Argumenten bekämpfen und nicht, indem man sie verbietet."

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