Im Barrio Gothico von Barcelona. Foto: Opti Mystic/Flickr

Barcelona, die Marke fault

Seit zwanzig Jahren gibt sich die katalanische Großstadt das Image einer reichen, modernen und dynamischen Stadt, in der es sich gut leben lässt. Aber auch das Marketing hat seine Grenzen. Mehrere Skandale haben zum Leidwesen der katalanischen Behörden das schöne Bild angekratzt.

Veröffentlicht am 4 November 2009 um 16:06
Im Barrio Gothico von Barcelona. Foto: Opti Mystic/Flickr

Jordi Hereu ist außer sich. Vor einer Woche wetterte der Bürgermeister von Barcelona bei der Abschlussfeier der Herbstuniversität der katalanischen sozialistischen Partei (PSC) über die "Verleumdungskampagne" gegen die katalanische Hauptstadt. Ohne die Urheber zu nennen prangerte der Abgeordnete diejenigen an, "die momentan enorme Desillusionierungsbomben auf die Stadt werfen". Wer kann es denn wagen, das so positive und dynamische Image Barcelonas anzufechten, diese "Marke", die seit zwei Jahrzehnten mit den besten Techniken internationalen Marketings geprägt wurde?

Die letzen Jahre haben sich nur einige vereinzelte Stimmen zu Wort gemeldet, um die Euphorie einzudämmen und den Unterschied zwischen dem nach außen vermittelten Mythos und der von der Bevölkerung täglich erlebten Realität aufzuzeigen. So stellte sich zum Beispiel der Anthropologe Manuel Delgado 2007 in seinem Essay La Ciudad mentirosa ("Die verlogene Stadt", La Catarata) die Frage nach der "Irreführung und Verkommenheit des Modells von Barcelona". 2008 analysierte der Professor für spanische Literatur und Kultur an der Stanford University Joan Ramon Resina "den Aufschwung und Untergang eines Stadtbildes" in seinem Werk La Vocacio de modernitat de Barcelona ("Barcelonas Berufung zur Modernität", Galaxia Gutenberg).

Exzesse einer Stadt im Schaulauf

In den Arbeitervierteln von Poblenou oder Sants hat man diese Weisheiten wohl kaum gelesen, aber seit den Sommerferien können die Barceloner die Augen vor den Titelseiten der Lokalzeitungen nicht schließen, die auch von Betrug, Elend und Verfall sprechen. Barcelona hat den "Blues", denn die Zeitungen erinnern die Stadt an das Risiko, vor dem die beiden Intellektuellen gewarnt haben, nämlich dass sie an "ihrem Erfolg krankt" nachdem die Stadt wie ein "Konsumgut" beworben wurde.

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Der erste Skandal brach im September über die Stadt herein, als die Tageszeitung El Pais schockierende Photos veröffentlichte. Auf ihnen waren zwei Männer mit bis zu den Knöcheln heruntergelassenen Hosen zu sehen, wie sie auf offener Straße mit Prostituierten sexuell verkehrten. Und das nicht in einer dunklen Ecke eines abgelegenen Vorortes, sondern mitten in der Stadt unter den Arkaden der Markthallen der Boqueria, direkt an der touristischen Straße La Rambla.

Die Schockwelle dieses Scoops hörte gar nicht mehr auf sich auszubreiten und machte das Idealbild der Rambla zunichte, der eineinhalb Kilometer langen Achse, über die jährlich 78 Millionen Menschen gehen, von denen die Hälfte Touristen sind. Genau dort und in den anliegenden Straßen des Viertels El Raval hat sich die Mafia der Prostitution niedergelassen. Im gleichen Viertel, nämlich im zentralen Stadtteil Ciutat Vella, wurden die meisten der 80.000 im Jahre 2008 angezeigten Taschendiebstähle begangen.

Katalanische Oase im Sumpf der Korruption

Gestern war La Rambla noch das Aushängeschild von Barcelona, der Hauptstadt der Lebensart und der Jugend, heute ist sie der 'La Vanguardia' zufolge "das Musterbeispiel der schädlichen Wirkung einer bestimmten Art von städtischem Erfolg, das eine Stadt als Schauspiel inszeniert". Die Tageszeitung bedauert, dass sich "die ortsansässige Bevölkerung von diesem öffentlichen Platz zurückzieht", der Opfer des Massentourismus und des hieraus resultierenden städtischen Verfalls geworden ist.

Bevor Barcelona völlig in Verruf gerät, rufen die Lokalzeitungen vor allem die kulturellen Institutionen zur Mobilisierung auf, um – denn man ändert sich nicht – "eine Marke Rambla" zu schaffen. Das Rathaus wendet sich seinerseits an die Kritiker: "Sie sollen in die Ciutat Vella kommen und mit eigenen Augen sehen, wie sehr wir darum kämpfen, sie zu retten und aus ihr ein Beispiel eines wiederbelebten historischen Stadtzentrums zu machen."

Um die Nebenwirkung eines zu exzessiven Tourismus auszugleichen muss man das Problem nur richtig anpacken; wenn das Bild von Barcelona aber aufgrund innerer Schäden ins Wanken gerät, ist dies schon schlimmer. Das ist der zweite Donnerschlag dieses Herbstes: ein Skandal, der den katalanischen Musikpalasterschütterte. Der Konzertsaal war, schon bevor er von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurde, ein Monument katalanischen Stolzes. Als der Präsident der Kulturstiftung Félix Millet wegen Veruntreuung von 10 Millionen Euro während der Sanierungsarbeiten an dem modernistischen Bauwerk festgenommen wurde, schockierte das ganz Spanien. Die Institution, die vor allem von öffentlichen Geldern, Ehrenämtern und Spenden der Barceloner lebt, findet sich plötzlich im Zentrum von Veruntreuungen wider, die mehr als bloße Kurznachrichten sind.

In den letzten Tagen ist die allgemein negative Stimmung noch gestiegen, nachdem der Richter Baltasar Garzon die Festnahme von acht Politikern, Unternehmern und hohen katalanischen Beamten angeordnet hatte, weil diese in eine große Korruptionsaffäre im Immobiliensektor verwickelt sind. Diese "transversale Razzia", wie die örtliche Presse schreibt, bestätigt, dass Barcelona und seine Region nicht gegen die Korruptionsepidemie immun sind, die über Spanien hereinbricht. Eins ist klar: Die Epidemie hat die Grenzen der lange Zeit von der örtlichen Elite definierten "katalanischen Oase" überschritten.

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