Ein Fest für den europäischen Union Jack. (Bild: Presseurop)

Das nennt man Souveränitäts-Bluff

Die Gegner des Vertrages von Lissabon haben lange behauptet, dass dieser Vertrag die Todesglocken für die nationalen Regierungen läuten lässt. Wenn es jedoch um die Hochfinanz und die Banken geht, so schenken die Euro-Widerwilligen wie die britischen Torys der Souveränität nicht mehr viel Aufmerksamkeit, behauptet Seumas Milne im Guardian.

Veröffentlicht am 6 November 2009 um 16:13
Ein Fest für den europäischen Union Jack. (Bild: Presseurop)

Jetzt wissen wir, was ein "eisernes Versprechen" von David Cameron wirklich wert ist. Dass der Anführer der Tories sein Versprechen, ein Referendum zu "welchem EU-Vertrag auch immer" abzuhalten, der den Lissaboner Verhandlungen entspringen wird, nun nicht hält, bekräftigt die Warnungen von William Hague nur noch zusätzlich. Dieser hatte ihm vertraulich gesteckt, dass Europa seine "tickende Zeitbombe" sei.

Wann immer man den Europäern auch die Möglichkeit gegeben hätte, sich zu dieser Verschanzung unzähliger Machtbefugnisse und Unternehmensprivilegien zu äußern, sie hätten dagegen gestimmt. Oder – wie im Fall Irlands – sie hätten so lange wählen müssen, bis die richtige Antwort herausgekommen wäre. Wieder einmal hat sich die Tradition durchgesetzt, die sich schon über Jahrzehnte erstreckt: Die europäischen Eliten haben die Öffentlichkeit weggedrängt und ihre eigene, von ihnen gewünschte Ordnung durchgesetzt.

Nun ist Lissabon ratifiziert und Cameron versuchte heute die Erinnerung an sein entgleistes Versprechen auszulöschen, indem er ein neues Versprechen gab: Er führt den Kampf um die Zurückeroberung der Freiheiten von rechtmäßigen Engländern in die Verlängerung und wird auch die Machtbefugnisse für Soziales, für Beschäftigung und die Justiz aus Brüssel zurückholen. Zudem will er eine Gesetzgebung für Großbritannien, die für alle zukünftigen Verfassungsänderungen, die man so in Europa zubereiten wird, Referenden notwendig macht.

Tory-Krieg gegen Brüssel nur Getue

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Doch ist das größtenteils nur Getue. Auf der Tagesordnung steht keine weitere Verfassungsänderung. Zudem besitzt Großbritannien schon eine wirksame Rücktrittsklausel von den Teilen des Vertrages von Lissabon, die sich mit Migration und Justiz beschäftigen. Und die Aussicht einer Tory-Regierung, die für einen kleinen Happen der Europäischen Union in den Krieg ziehen will, bringt auch den härtesten Nationalisten dazu, ein zweites Mal nachzudenken. Zumal die EU in Großbritannien gerade beliebt ist. Wird Cameron wirklich in den Krieg um den vierwöchigen Urlaub, gleiche Rechte für Teilzeitarbeiter und von Brüssel gewährten Erziehungsurlaub ziehen, um sich die Zustimmung zum gemeinsamen Binnenmarkt zu erkaufen?

Vielleicht ist es keine Überraschung dass der Chef der Konservativen es als Notwendigkeit erachtete, zu versuchen, die Partei der Euroskeptiker zu erkaufen, indem er das Bündnis mit der wichtigsten europäischen konservativen Gruppierung für den Rechtsaußen-Flügel aufgab. Und nun kämpft er darum, deren Verbindungen zum polnischen Politiker Michał Kamiński und der lettischen Partei Für Vaterland und Freiheit zu verteidigen. Der eine ist ein Bewunderer von General Pinochet, dessen faschistische und antisemitische Geschichte bestens bekannt ist. Die andere betreibt Kampagnen bei denen sie um Militärrenten für Veteranen der Waffen-SS wirbt. Aber trotz all ihres Schnaufens und Keuchens gibt es jede Menge Einmischungen aus Brüssel, mit denen die Tories überhaupt kein Problem haben. Beispielsweise hört man nicht, dass konservative Politiker den Vertrag von Lissabon anprangern, weil dieser in der Tat die Liberalisierung und Privatisierung von öffentlichen Diensten zu konstitutionellen Zielen macht. Transport und Energie stehen ganz oben auf der Liste. Von denAnhängern der diese Gesetzgebung untermauernden neoliberalen Ideologie, die noch begeisterter sind als New Labour, ist nichts anderes zu erwarten.

Schluss mit chauvinistischem Euroskeptizismus

Auch der Schatten-Kanzler George Osborne hat sich nicht über den diese Woche stattfindenden öffentlichen Eingriff der (nicht gewählten) EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes in das britische Bankensystem beschwert. Die Anhängerin der freien Marktwirtschaft, der man den Spitznamen Steely Neelie gab (Eiserne Neelie), verlangte den Verkauf von Hunderten von Branchen und zahlreichen gewinnbringenden Versicherungsunternehmen als Gegenleistung dafür, dass Brüssel in den zweiten monströsen Rettungsplan für die teilverstaatlichte Royal Bank of Scotland und die Lloyds Banking Group einwilligte. Aber Osborne war weit entfernt davon, das unverhüllte Einmischen der verachteten Brüsseler Bürokraten zu kritisieren. Er begrüßte vielmehr die Rolle der EU und rühmte sich damit, dass die Zerschlagung von Banken zur Wettbewerbsintensivierung ursprünglich seine Idee gewesen sei.

In Wirklichkeit können die erzwungenen Verkäufe wohl kaum einen wirklich bedeutenden Wettbewerb in den britischen hochkonzentrierten Banksektor injizieren. Unternehmen wie Santander und Virgin könnten sie hingegen zu ergiebigen Ernten verhelfen. Wie dem auch sei: Die Regierung ist wieder einmal damit beschäftigt, Milliarden von Britischen Pfund in Banken zu pumpen, die im Wesentlichen ihr selbst gehören. Währenddessen lehnt sie es ab, die Kontrolle zu übernehmen und diese im öffentlichen Interesse zu leiten. Zu einer Zeit, in der staatliche Banken eigentlich als Motor für Aufschwung und expandierenden Kredit agieren sollten, um die Rezession in die Flucht zu schlagen, schläft momentan die Kreditvergabe ein. So wird Wachstum aufgehalten.

Schon viel zu lange bestimmt ein verlogener chauvinistischer Euroskeptizismus die Kritik an der Europäischen Union und ignoriert so die neoliberalen Interessen, die ihre Entwicklung vorangetrieben haben. Das gestrige Getue Camerons um "Volksabstimmungsschlösser" und ein Gesetz, welches dem zukünftigen Transfer von Machtbefugnissen an die EU vorbeugen soll, trägt absolut nichts zur Klärung dieser Frage bei. Wie New Labour begrüßen auch die Tories den Verlust von Demokratie oder nationaler Souveränität mit offenen Armen, wenn es um die Macht von multinationalen Konzernen oder die USA geht.

STANDPUNKT

Großbritannien braucht ein "tiefenreinigendes" Referendum

Nachdem der Vertrag von Lissabon nun gänzlich ratifiziert wurde, musste der Chef der konservativen Tories David Cameron, der 2010 höchstwahrscheinlich Gordon Browns Nachfolge als britischer Premierminister antreten wird, sein Versprechen einer Volksabstimmung zu dem umstrittenen Dokument zurückziehen. Solch peinliche Rückzieher bleiben nicht ohne Folgen. Daher dankten auch zwei konservative Europaabgeordnete prompt ab.

Im heutigen Daily Telegraph erklärt einer der EU-Parlamentarier, Dan Hannan, die Gründe für sein Ausscheiden. Ihm zufolge bedroht der Vertrag von Lissabon die "Legitimität unserer wichtigsten Institutionen". Er erinnert die Leser daran, dass "638 von den 646 Mitgliedern des englischen Parlaments in Westminster aufgrund des Versprechens eines Volksentscheids gewählt wurden... jetzt geht es darum, ob wir als Land an den Bestimmungen des Vertrages von Lissabon teilhaben". Die Position des Chefs der Partei übernehmend, die er soeben verlassen hat, plädiert Hannan für eine "massive Volksbewegung an Volksentscheiden, Bürgerinitiativen und was es sonst noch an direkter Demokratie so gibt". "Eine Abstimmung zu Europa“ erklärt er abschließend, wird "tiefenreinigend sein und endlich klarstellen, ob unser Land untergeordnet bleibt oder selbstbestimmend wird."

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