Bitte lächeln für die italienische Kamera. UBS-Sitz in Zürich (Schweitz). (AFP)

Italien begleicht Schweizer Rechnungen

Die Regierung Silvio Berlusconis hat kürzlich eine Steueramnestie beschlossen. Sie soll die italienischen Steuerzahler dazu anregen, ihr außerhalb der italienischen Grenzen gehortetes Geld ins Land zurückzubringen. Dies führt zu Spannungen mit der Schweiz. Denn Rom prangert deren Banken als Hauptverantwortliche des Betrugs an.

Veröffentlicht am 12 November 2009 um 14:54
Bitte lächeln für die italienische Kamera. UBS-Sitz in Zürich (Schweitz). (AFP)

"Woher weiß man, dass ein Mann, der verdächtig um unsere Banken schleicht, ein Agent in Zivil der italienischen Finanzbehörde ist? – Ganz einfach: Er liest das Wall Street Journal falsch herum." Mit diesem sarkastische Ton lassen sich zwei unterschiedliche Gefühle verscheuchen: Verwirrung und Angst. Einerseits ist da die Verwirrung der Schweizer gegenüber den Italienern, denn nie zuvor hat Rom auf derart offensive Weise Geld eingefahren. Auf der anderen Seite steht die Angst, denn die Schweizer Banken werden höchstwahrscheinlich die 200 Milliarden Euro aus ihren Geldschränken davonschwimmen sehen. Was die Schweiz aber am meisten zu verlieren fürchtet, ist das Image des Steuerparadieses, auf dem ein Großteil ihres Reichtums beruht.

Den ersten "Schlag" musste die Schweiz Ende der 90er Jahre hinnehmen, als der Skandal um erbenlose Fonds in den Schweizer Banken ausbrach: Das Geld der Juden, die in Konzentrationslagern starben, ist ihren Erben nie zurückerstattet worden. Die Schweiz hatte sich gegen die Anschuldigung mit der Beteuerung verteidigt, versucht zu haben, die Spuren der Erben wieder zu finden. Diese Aufgabe habe sich aber als unmöglich herausgestellt.

Steuerzahler fürchten eine Hexenjagd

In der Zwischenzeit mussten die Schweizer Banken ihr Bankgeheimnis ein wenig lüften. Der Mythos der Unverletzbarkeit des Schweizer Bankgeheimnisses wurde hiermit zum ersten Mal in ihrer Geschichte getrübt. Der zweite Schlag kam im letzten Sommer, als die USA im Zusammenhang mit der Verfolgung von Steuerbetrügern die Union der Schweizer Banken dazu zwang, eine ganze Reihe von vertraulichen Daten freizugeben. Der dritte Schlag traf die Schweiz, als die OECD sie auf die "graue Liste" der Steuerparadiese setzte. Diese Deklassierung wurde später widerrufen. Doch viele Anleger sind skeptisch geworden und fragen sich nun, ob ihr Geld in Lugano und Umgebung immer noch sicher ist. Und jetzt kommt die italienische Regierung mit ihrem Steueramnestie, wodurch diejenigen, die Kapital in die Schweiz verlagert haben, dieses mit einer Geldbuße von fünf Prozent der Summe wieder nach Italien einführen können.

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In Italien trifft diese Maßnahme auf Protest und Zweifel. Dennoch scheint sie angenommen worden zu sein. "Sie funktioniert", bestätigt Paolo Bernasconi, der zwanzig Jahre lang Generalstaatsanwalt von Lugano war und heute als Rechtsanwalt und als Professor an der Universität von St. Gallen in der Schweiz arbeitet. "Viele Italiener akzeptieren es, das Bußgeld zu zahlen. Der 'Steuerschild' funktioniert: In Italien versetzt die Hexenjagd die Steuerhinterzieher in Furcht und Schrecken. Man macht sie glauben, dass es in der Schweiz kein Bankgeheimnis mehr gibt", sagt er. Daneben gibt es aber noch andere Erklärungen. Zwei der Hauptgründe, warum so viel Geld in der Schweiz angelegt wurde, lösen sich gerade in Luft auf. Der erste Grund, nämlich die Angst vor dem Kommunismus, geht auf die Nachkriegszeit zurück. Der zweite, die Angst vor Geldraub, stammt aus den 70er Jahren. Letzte Woche hat die Finanzwache 76 italienische Filialen von Schweizer Banken durchsucht. An der italienisch-schweizerischen Grenze wurden "Fiscovelox" installiert, um die Autos zu fotografieren, die mit italienischem Kennzeichen in die Eidgenossenschaft einfahren. Außerdem sollen einem Gerücht zufolge - ob es nun wahr ist oder nicht - Polizeibeamten in Zivil die Ausgänge der Banken überwachen.

Spannungen wie nie zuvor

"Soweit ich mich erinnern kann, gab es noch nie eine solche Spannung mit Italien", gibt Giancarlo Dillena, Direktor des Corriere del Ticino, zu. "Das stimmt", bestätigt Fulvio Pelli, Präsident der Schweizer Freisinnig-Demokratischen Partei. "Es ist aber die Art und Weise, wie dieser 'Steuerschild' präsentiert wurde, die uns irritiert. Systematisch wurden Fehlinformationen mitgeteilt: Man will und weismachen, dass das gesamte Schweizer Banksystem völlig verändert wurde und nicht mehr sicher ist." Paolo Bernasconi, der nichtsdestoweniger für die Wiederaufnahme des Dialoges mit Italien ist, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die verwendeten Methoden geht: "Noch nie wurden Leute fotografiert, die in die Schweiz einfahren, noch nicht einmal zu Zeiten der Roten Brigaden."

Hat die Schweiz Angst, ihren Reichtum zu verlieren? "Die Macht der Schweiz hängt nicht vom ausländischen Geld ab", erklärt Giancarlo Dillena. "Das genaue Gegenteil ist der Fall. Weil sie mächtig ist, legen die Ausländer ihr Geld hier an. Hier funktioniert alles besser als in Italien. Es ist kein Zufall, dass große Unternehmen wie Zegna ihren Hauptsitz in der Schweiz angesiedelt haben."

Im Bankenmilieu fängt die Angst an, konkrete Auswirkungen herbeizuführen. Ohne viel Aufhebens machen Angestellte, denen die Angst im Nacken sitzt, Weiterbildungskurse: Die Schweizer Bankiers wollen ihren italienischen Kunden besondere Produkte anbieten, um diese dazu zu verleiten, ihr Geld dort anzulegen. Die Zeit, in der es genügte, auf den Kunden mit seinem Koffer voller Geldscheine zu warten, ist vorbei. Wie wird all das enden? "Unsere Staatsform ist die direkte Demokratie", droht Fulvio Pelli. "Wir könnten einen Volksentscheid herbeiführen, der Italien Leid tun wird. Wir sind ein kleines Land, aber wehe dem, der sich mit uns anlegen will."

AUS SCHWEIZER SICHT

Eine Maßnahme im Hinblick auf Wahlen

"Rom hat seine Rechnung gemacht", stellt die Hebdo fest, der zufolge "nach Angaben des italienischen Wirtschaftsministers Giulio Tremonti 550 Milliarden Euro von Italienern im Ausland angelegt sind, wovon sich ein Großteil in der Schweiz befindet. Rom hofft, sein Ziel bis zum Stichtag am 15. Dezember erreicht zu haben, das darin besteht, 80 bis 100 in der Welt verstreute Milliarden wieder nach Italien zu schaffen." Die Zeitschrift aus Lausanne fügt hinzu: "Aber wie sollte man hinter diesem Steuermanöver nicht auch andere Interessen von Berlusconi und seinem Wirtschaftsminister sehen, die etwas mit der italienischen politischen Agenda zu tun haben: Die Zeit nach Berlusconi. Der 62-jährigeTremonti ist einer der wenigen Regierungspolitiker mit seriösem Ruf und strebt den römischen Olymp an. Das rigorose Vorgehen in Sachen Steuerhinterziehung, was in Krisenzeiten ein Thema ist, mit dem man politisch punkten kann, zeigt auch, dass man das Kreuz hat, möglicher Nachfolger vom 73-jährigen Berlusconi zu werden. Dies kommt hinsichtlich der nächsten Parlamentswahlen gelegen, wenn er sich dem anderen Chef der rechtskonservativen Partei, dem 57-jährigen Postfaschisten Gianfranco Fini gegenüber gestellt sehen wird. Berlusconi unterstützt Tremonti, damit seine rechtlichen Fehltritte verdeckt bleiben, so wie Chirac auf Dominique de Villepin gesetzt hatte, was allerdings ein Schlag ins Wasser wurde."

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