Szene aus “Play”, von Ruben Östlund.

“Play”, ein Film dreht Vorurteile um

Rassistisch oder nicht? Der neueste Film von Ruben Östlund hat eine heftige Debatte in Schweden ausgelöst. Die Hauptfiguren des Films, arme Schwarze und weiße Mittelschichtler spielen mit den Vorurteilen des Publikums und werfen dabei unangenehme Fragen auf.

Veröffentlicht am 10 Januar 2012 um 14:35
Szene aus “Play”, von Ruben Östlund.

Bevor ich in den Film Play ging, habe ich eine Reihe von Rezensionen gelesen, die bei mir den Eindruck hinterlassen hatten, Ruben Östlund wolle unbedingt eine Rassismus-Debatte anzetteln, anstatt abzuwarten, ob diese von selbst stattfinden würde. Ich fand das ärgerlich sensationsheischend. Nun habe ich den Film gesehen und muss sagen, die Debatte ist überflüssig. Play ist ganz eindeutig ein antirassistischer Film. Ich verstehe heute aber auch, warum Ruben Östland der Debatte zuvorkommen wollte. Sie war unausweichlich.

Play erzählt die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher der Unterschicht, die sich der Vorurteile ihnen gegenüber (sie sind schwarz) bedienen, um Kinder aus guten Hause, die sich in der Großstadt verirrt haben, zu bedrohen und auszuplündern. Die Diebe spielen mit den Vorurteilen ihrer Opfer und der Regisseur mit den Vorurteilen des Publikums, so dass es schwierig wird, Partei zu ergreifen.

Zu Beginn des Films war ich auf der Seite der Jugendlichen aus den Problemvierteln — ich selbst entstamme diesem Milieu — doch wurde es mir mulmig, als sie einen der ihren angreifen. Dann hatte ich Mitleid mit den verunsicherten Kindern aus gutem Hause und wagte kaum zu atmen. Bis zu jener Szene, in der einer der Väter der Kinder aus gutem Hause sich die Freiheit herausnimmt, einen Jungen, der seinen Sohn angegriffen hat, zu verprügeln und ihm dabei erklärt, dies zu dessen Wohl zu tun.

Hass aus Vorurteilen

Für mich gehört dieser Vater zu selben Spezies, wie jene, die damals Petitionen lancierten, um den Ausschluss von Zlatan [Ibrahimović] aus der Mannschaft von Malmö FF zu erreichen. Ein Vorfall, auf den der Fußballer mehrmals in seiner Autobiografie zurückkommt der schwedische Fußballer mit serbischen Eltern ist einer der Stars der Nationalmannschaft.

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Während dieser Szene verlor ich meine Selbstbeherrschung und verspürte einen quasi irrationalen Hass auf diese Klasse. Hass, der auf meinen eigenen Vorurteilen beruht. In diesem Augenblick war für mich Schluss mit lustig.

Und genau deshalb ist Play ein großartiger Film. All unsere Vorurteile tauchen auf, und früher oder später ist für jeden irgendwann das “Spiel” vorbei. Die Vorurteile liegen in der Sicht des Zuschauers und Ruben Östlund überlässt es uns, wann wir auf “Stop” oder “Play” drücken.

Für mich ist Ruben Östlund der lange erwartete neue Stern am schwedischen Kinohimmel.

Jemand, der seinen eigenen künstlerischen Weg geht und sich dabei mit seiner Zeit auseinandersetzt. Jemand, der es trotz der vorhersehbaren Rassismus-Vorwürfe wagt, von einer gandenlosen Klassengesellschaft zu erzählen, in der Schweden andere Schweden bedrohen und berauben.

Film über Klassengesellschaft

Meiner Meinung nach handelt der Film von der Klassengesellschaft, ein Thema — im Gegensatz zum Rassismus —, das nur wenige Menschen ansprechen wollen. Alle Figuren im Film sprechen Schwedisch. Die Frage der Rasse oder ethnischen Zugehörigkeit, ein ach so leichtes Kriterium, um die Menschen nach ethnischer anstatt sozialer Herkunft zu katalogisieren, wird im Film niemals angeschnitten.

Wir sind es, die in den armen Schluckern ohne Hoffnung Schwarze sehen. Die Debatte um die soziale Herkunft hat sich so ethnisiert, dass man heute die Ungleichheiten durch das Prisma der ethnischen anstelle der sozialen Herkunft betrachtet.

Die schwedische Premiere fand im Backa Teater, dem Stadttheater des Göteborger Stadtteils Hirsingen statt. Das Publikum spiegelte den großartigen Melting Pot wider, zu dem sich das heutige Schweden gewandelt hat. Alles andere als weiß und selbstgerecht. Der Film wird im Theater für die Schüler Göteborgs weiterhin gezeigt. Die Zuschauer stammen aus 200 verschiedenen Ländern, und nach der Vorführung wird über Armut, Ängste, Ausgrenzung und Hass diskutiert.

Ruben Östlund hat genau das erreicht, was einige seiner Gegner ihm vorwerfen, verkorkst zu haben: Er ist das Risiko der Provokation eingegangen und hat junge Menschen erreicht, die noch nie einen Arthouse-Film gesehen haben. (js)

Polemik

Mit “Provokation” gegen ein Problem

Der Film “Play”, der von einer Bande schwarzer Kids erzählt, die weißen Kindern die Handys klauen, hat in der schwedischen Presse für zahlreiche Reaktionen gesorgt.

Ein Kritiker von Dagens Nyheter bedauert, dass Östlund dem Zuschauer nicht die Möglichkeit gebe, die Geschichte aus der Perspektive der “Anderen” zu sehen und somit “eine Erzählung ist, die stillschweigend bei uns Schweden ein “Wir-Gefühl” stärkt, welches den genau definierten “Fremden” ausschließt.” Im Gegenteil, meint ein anderer Kritiker desselben Blatts. Der Film vermeide eben genau jegliche Schematisierung: “Wer dominiert und wer unterdrückt wird, bleibt eine offene Frage ohne präzise Antwort”.

Für Aftonbladet ist Ruben Östlund ein “Regisseur, der ein wenig “arty” seine Provokationen ausspuckt, ohne wirklich Verantwortung zu übernehmen.”

In Dagens Nyheter freut sich hingegen der Filmemacher, dass sein Film “ein Thema behandelt, vor dem viele die Augen verschließen. Er ist ein gutes Mittel, um sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, auch wenn es natürlich andere Wege gibt, um darüber ins Gespräch zu kommen.”

Sein Film wurde von realen Ereignissen inspiriert: Eine schwarze Jugendbande, die in Göteborg andere Jugendliche ausraubte. Der Filmemacher hat die Täter und Opfer befragt und was ihn am “meisten während dieser Gespräche erstaunt hat, war, dass die noch ganz jungen Kids das stigmatisierende Bild des schwarzen Mannes schon völlig verinnerlicht hatten. Sie haben damit ganz bewusst gespielt, um implizit ein Gefühl der Bedrohung bei ihren Opfern zu schaffen.”

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