Liam Mac an Bháird, der in Dublins Umgebung 25 Wohnungen zum Besetzen ausfindig gemacht hat.

Lieber Hausbesetzer als Krisenopfer

Eine neue Bewegung besetzt einige der vielen Immobilien, die seit dem Crash von 2008 leer stehen. Ein Protest nicht nur gegen die Obdachlosigkeit, sondern auch gegen die Spekulation, die zu Irlands spektakulärem Wirtschaftszusammenbruch führte.

Veröffentlicht am 12 Januar 2012 um 13:21
Liam Mac an Bháird, der in Dublins Umgebung 25 Wohnungen zum Besetzen ausfindig gemacht hat.

Während Irland noch von den Schlägen eines erneuten strengen Sparhaushalts und eines qualvollen Wirtschaftsjahrs taumelt, hat eine Gruppe junger Aktivisten begonnen, leere Immobilien zu besetzen, die während des Booms gebaut und dann von Banken und Bauträgern landesweit fallen gelassen wurden.

Nach Angaben der Hausbesetzer, die mit der irischen Occupy-Bewegung in Verbindung stehen, plane man eine Massenbesetzung von Häusern und Wohnungen im Besitz der "Bad Bank" der irischen Regierung, der National Asset Management Agency (NAMA). Die NAMA übernahm Tausende von Immobilien, die Spekulanten nach dem Crash wieder abgaben.

Die von einem 27-jährigen irischen Studienabsolventen aus Galway angeführte Gruppe besetzte bereits ein Haus in der Dubliner Northside, das während der Hochkonjunktur 550.000 Euro wert war, heute jedoch auf weniger als 200.000 Euro geschätzt wird. Da die Immobilie seit mehreren Jahren leer steht, besetzten Liam Mac an Bháird und seine Freunde sie im Herbst, um auf die Obdachlosigkeit aufmerksam zu machen, aber auch darauf, wie der Steuerzahler für Bauunternehmer und Banken einspringen musste.

Landesweit 400.000 Immobilien stehen leer

In der Republik Irland stehen bis zu 400.000 Immobilien leer und nach Angaben des National Institute of Regional and Spatial Analysis (NIRSA) könnten die vielen unbewohnten Objekte die Immobilienpreise noch jahrelang drücken. Mac an Bháird räumt ein, dass seine Gruppe gegen das Gesetz verstößt, argumentiert jedoch damit, dass sie eine wichtige politische Aussage trifft. "Es gibt Tausende von Obdachlosen in diesem Land, allein auf den Straßen von Dublin sind es heute Abend rund 2000. Dabei gibt es hier in der Stadt Tausende von leer stehenden Wohnungen und Häusern – manche davon wären durchaus bewohnbar. Ich vertrete in der Occupy-Bewegung den Standpunkt, dass wir Immobilien der NAMA in Dublin besetzen müssen. Damit können wir hervorheben, wie ungerecht dieses System ist, in dem die Banken, die den Bauspekulanten so viel Geld geliehen haben, Zuschüsse in Milliardenhöhe bekommen", erklärt er.

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Die rund 600 "Geistersiedlungen", die in den Jahren des Keltischen Tigers gebaut wurden, verkörpern heute die irische Rezession. Die Kosten für die Rettung der Banken, die den Bauunternehmern und Bauspekulanten während des Booms Milliarden liehen, sind enorm. Wirtschaftsexperten schätzen die Verluste der irischen Banken auf rund 106 Milliarden Euro.

Der Großteil der irischen Bevölkerung macht die herausgepaukten Banken und Bauspekulanten für den Wirtschaftszusammenbruch verantwortlich und der Zorn auf sie steigt. Verschlimmert wird er noch durch das landesweite Elend solange Irland weiter im Sumpf der Rezession steckt. Vor Weihnachten besagten die neuesten Zahlen aus dem irischen Amt für Statistik, dass das irische Bruttoinlandprodukt im dritten Quartal 2011 um 1,9 Prozent zurückging.

Besetzung ohne Gewalt und Drogen

Im Occupy-Lager an der irischen Zentralbank, einer der Hauptstellen für die Opposition gegen Banken und Rettungsschirme, betont Mac an Bháird, die Bewegung verlange von den irischen Hausbesetzern die Beachtung einiger Regeln: "Während unserer Besetzungen sind weder Drogen noch Alkohol erlaubt, denn wir leisten politischen Widerstand. Die Besetzungen verlaufen auch ganz ohne Gewalt, genau wie die Occupy-Bewegung. Und wir nehmen in den von uns besetzten Häusern nichts, was uns nicht gehört." Er erklärt, dass die Besetzer vom "Containern" leben – von den unverzehrten und ungenutzten Lebensmittel, die jeden Tag von den großen Supermarktketten weggeworfen werden.

Da die irische Regierung weitere Kürzungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro durchdrückt und Irlands Schulden anvisiert, meint Mac an Bháird, die Kampagne werde nun auch Unterstützung in üblicherweise konservativen Stadtvierteln bekommen. "Sogar im Occupy-Lager an der Zentralbank sprechen uns Leute aus der Mittelschicht an und sagen, dass sie mit unserer Haltung einverstanden sind. Die Mittelklasse zahlt heute für die Geldgier der Banker und der Bauunternehmer, und für das ganze korrupte System. Die Leute sehen die Logik hinter der Besetzung von Gebäuden, die sonst jahrelang vor sich hin faulen würden."

Die Aktivisten wollen demnächst ein größeres Gebäude der NAMA in Dublin besetzen und das Verhalten der Behörden austesten. "Es wird interessant sein, zu sehen, ob sie tatsächlich obdachlose Menschen aus dem Gebäude werfen, wenn es doch dem Staat und somit dem Volk gehört und wahrscheinlich jahrelang leer bleiben wird", fügt er hinzu.

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