Ohne Enthusiasmus in die Union

Am 22. Januar soll Kroatien per Volksentscheid den EU-Beitrittsvertrag ratifizieren. Doch zu einem Zeitpunkt, in welchem Europa allenthalben kriselt, war die Wahlkampagne eher von nationalistischer Rhetorik geprägt.

Veröffentlicht am 20 Januar 2012 um 15:39

Nach der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags Kroatiens am 9. Dezember 2011 kam die schönste, bewegendste und originellste Botschaft nicht aus Zagreb oder Brüssel, sondern aus Polen. Auf YouTube hießen viele, vor allem junge Polen ohne Heuchelei oder gespieltem Pathos Kroatien in spontaner Freude willkommen Sollte das “Ja” aus der Volksabstimmung siegreich hervorgehen, wird Kroatien am 1. Juli 2013 EU-Mitglied. Die Polen haben gezeigt, dass die heute von Krisen, Zweifeln und Spannungen gebeutelte Union dennoch ein Europa der gemeinsamen Werte, der Freude und der Hoffnung sein kann. Brüssel hat Kroatien die Hand gereicht, doch Polen hat die kroatische Seele berührt.

Als die Polen selbst der EU beitraten gab es vielerlei Befürchtungen, unter anderem, was Souveränitätsverlust oder Landwirtschaft betraf. Wie in Kroatien hat sich die katholische Kirche Polens für Europa ausgesprochen, mit der fast unverhohlenen Angst, dass die großen Nachbarländer die Vergangenheit und die Zukunft des Landes nach Gutdünken revidieren würden. Trotz aller Befürchtungen hat Polen gezeigt, dass ein EU-Beitritt gelingen kann, selbst dann, wenn die meisten der großen und mächtigen Länder sich in einer tiefen Krise befinden.

Kroatien, europäischer als Europa

Polen ist Polen geblieben und ein Teil Europas geworden. Auch ist es nicht notwendig gewesen, ein neues “Euroslawien” im Balkan zu schaffen, bevor Kroatien der EU beitreten kann. Die Beitrittsverhandlungen, ebenso lang wie schmerzhaft, waren gepflastert mit Vorurteilen, Missverständnissen, Ängsten und Unwissenheit. Man spielte mit der Angst vor Katastrophen, der Fremdenfeindlichkeit, dem Nationalismus und der Provinzialität, aber auch mit Kosmopolitismus und Supranationalität.

So weigerte sich der ehemalige Präsident Tudjman in einem Anfall von Größenwahn der Visegrád-Gruppe bestehend aus Polen, Ungarn, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Slowenien beizutreten, meinend, Kroatien habe es nicht nötig, sich mit ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion zu verbünden. Andere, wie beispielsweise Ex-Ministerpräsident Sanader, waren zu allem bereit gewesen, um den EU-Beitritt zu beschleunigen, auch zu falschen Versprechungen, wie die, Kroatien werde der EU gleichzeitig mit Bulgarien und Rumänien beitreten können.

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Die Europäische Union duldet keinen EU-Beitritt zum Billigtarif mehr, aber sie lehnt nicht “alles ab, was kroatisch ist”, wie manche glauben machen wollen. Die Europäische Union hat versucht, das Pulverfass Balkan zu befrieden, und hat nicht gezögert, die Leistungen der einzelnen Länder um die Beitrittskriterien zu erfüllen zu würdigen. Nach Slowenien war Kroatien das nächste Land, welches im Hafen Europa anlegen durfte, ohne auf die Nachbarn warten zu müssen.

Jugend von Tudjman-Mythen befreit

Das heutige Europa ist kein Schlaraffenland. Angesichts der Krise haben selbst die größten Länder, wie Deutschland oder Frankreich, einen Teil ihrer Souveränität abgeben müssen. In der heutigen Union plädiert niemand für eine Wiederauferstehung Jugoslawiens oder eine Wiederauferstehung des Kommunismus. In diesem Europa ist Kroatisch Amtssprache und Kroatien wird das Recht anerkannt, den Schutz seines Kulturerbes, seiner Traditionen und seiner Besonderheiten einzufordern.

Nach Unterzeichnung des Beitrittsvertrags sind zahlreiche nationalistische Mythen zusammengebrochen und viele regionale Vorurteile obsolet geworden. Das Referendum findet in einer Stimmung statt, die nicht mehr von Mythomanie angeheizt wird, doch gibt es eine junge, intellektuelle Elite, die neue Fragen stellt. Sie hat sich zwar von den Tudjman-Mythen befreit, doch sind ihre Antworten nicht weniger gefährlich.

In einer vereinfachenden Verallgemeinerung behauptet diese Elite, dass Europa schon seit langem seine Werte verraten habe. Europa habe sich gar balkanisiert, und zwar noch bevor der Balkan zur EU stieß. Ebenso habe sich auch Kroatien balkanisiert, bevor es europäisch wurde. Dieser Denkschule zufolge, braucht Kroatien kein Europa, dass in der Wirtschaftkrise versinkt und dessen Werte nur noch ein blasser Schatten sind. Kurzum, man verlangt ein perfektes Europa für ein Kroatien, das selbst von diesem Ideal meilenweit entfernt ist.

Diese neuen, “untadeligen” Kroaten sind arroganter als die Franzosen, dickköpfiger als die Engländer und noch verantwortungsloser als die Griechen. Sie werden sich niemals für ihre nicht in Erfüllung gegangenen Prophezeiungen entschuldigen, dennoch sind sie bereit, ganz Kroatien einer sterilen Zukunft auszusetzen, nur weil sie sich für die besten Europäer halten. Früher rühmten wir uns “das älteste Volk Europas” zu sein; heute rühmen wir uns das “anspruchvollste” zu sein. (js)

Prognose

Das Ja auf bestem Weg

Eine der letzten Umfragen vor dem Referendum ergab einen Sieg des Ja zum EU-Beitritt. 60 Prozent der 1000 Befragten sprachen sich dafür aus. Sowohl die linksliberale Koalition Kukuriku, seit November an der Macht, als auch die konservative HDZ, die während der Verhandlungen regierte und heute die größte Oppositionspartei im Land ist, haben zum Ja aufgerufen. Gleiches gilt für die katholische Kirche.

Die Gegner des EU-Beitritts, die am Sonntag 31 Prozent der Stimmen bekommen könnten, finden sich unter den Anhängern der kleinen nationalistischen Rechtsparteien und den Sympathisanten der antikapitalistischen Linken. Das Ja ist bei weitem führend bei Akademikern, bei Kroaten, die mindestens 500 Euro verdienen, und bei den Bewohnern der Hauptstadt Zagreb und der Provinz Istrien. Die Umfragen sagen eine Teilnahme von etwa 60 Prozent am Referendum voraus.

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