Mario Monti und Angela Merkel vor einer Pressekonferenz im Kanzleramt, 11. Januar 2012

Leviten lesen auf Italienisch

Lange war Deutschland in Italien als Besserwisser verflucht, aber als Klassenerster respektiert. Mit dem Antritt des korrekten Herrn Monti ändert sich das, und “La Merkel” wird sich an einige Lektionen aus Rom gewöhnen müssen.

Veröffentlicht am 30 Januar 2012 um 15:06
Mario Monti und Angela Merkel vor einer Pressekonferenz im Kanzleramt, 11. Januar 2012

Montagnachmittag auf dem römischen Flughafen Leonardo da Vinci. In der Abflughalle wird die Schlange vor der Sicherheitskontrolle immer länger. Zwei Deutsche verlieren die Geduld und beginnen laut zu schimpfen: “So ein Chaos gibt es nur in Italien!” Da dreht sich ein Italiener zu dem Krakeeler um, sein Gesicht zeigt Verärgerung. “Germans never change”, sagt er, jedes einzelne Wort betonend: Deutsche ändern sich nie. “Immer wisst ihr alles besser, immer schaut ihr auf uns herab.” Die Deutschen schweigen betreten, der Italiener ignoriert sie jetzt. Weil beide an andere Orte reisen, kann wenig später keiner von ihnen den Kapitän des Lufthansa-Flugs nach Düsseldorf hören. “In einer halben Stunde sollten wir abheben”, sagt der Pilot zur Begrüßung über Lautsprecher. “Aber bei den Italienern weiß man ja nie.”

Die Episode ereignete sich, als die Regierung Berlusconi in den letzten Zügen lag. Damals lachte halb Europa über Italien, und Deutschland lachte vielleicht noch ein wenig lauter. Die drittgrößte Volkswirtschaft Europas wurde vor allem als Bunga-Bunga-Kulisse wahrgenommen, zwar ernsthaft verschuldet, aber deshalb noch lange nicht ernst zu nehmen. Ein Land wie ein Altherrenwitz. Einmal amüsierte sich Angela Merkel gemeinsam mit Nicolas Sarkozy sogar öffentlich über den EU-Partner. Bei einer Pressekonferenz am Rande eines EU-Gipfels Ende Oktober in Brüssel wurden beide gefragt, wie sie Berlusconis Reformvorschläge fänden. Spontan boten der Franzose und die Deutsche den Medienleuten eine sarkastische Pantomime. Sie schauten sich vielsagend in die Augen, verzogen gequält das Gesicht, lächelten ironisch.

Was in Brüssel als sympathische Einlage herüberkam, wurde in Italien als nationale Kränkung verstanden, als “Ärgernis und ungerechtfertigte Demütigung”, wie der frühere Ministerpräsident Romano Prodi sagte.

Die Kanzlerin hatte Berlusconi nie offen kritisiert, sondern ihn und Italien weitgehend ignoriert. Die bilateralen Beziehungen waren auf dem Gefrierpunkt, ebenso wie das persönliche Verhältnis zwischen der ostdeutschen Pastorentochter und dem lombardischen Zotenreißer. Lesen Sie den ganzen Artikel auf der Website der Zeit...

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Polemik

Klischees, die nicht totzukriegen sind

Die Financial Times singt ein Loblied auf Italien: Es sei “wieder da”, mit seinem Ratspräsidenten Mario Monti, der Angela Merkel “die Wahrheit sagt” und dessen “Schicksal durchaus das von ganz Europa sein könnte”, denn: “In Italien werden sich die langfristigen Zukunftsaussichten des Euro entscheiden”.

Für die Tageszeitung aus der City verstößt das Verhalten des ehemaligen EU-Kommissars “gegen alle Stereotypen über die nutzlosen Südeuropäer”, doch eine Polemik über den Schiffbruch der Costa Concordia und ihren Kapitän Francesco Schettino löste einen Wortkrieg aus. Ein Editorial namens “Italienische Fahrerflucht”, verfasst von Spiegel-Autor Jan Fleischhauer, legte die Lunte ans Pulverfass: “Hat es irgendjemanden überrascht, dass der Unglückskapitän [...] Italiener ist?” fragt er und wärmt alte Klischees über die Italiener und ihre Bedachtheit auf “bella figura”, Eindrucksmache, auf. Weiter schreibt er: “Was passieren kann, wenn man aus politischen Gründen von der Psychologie der Völker absieht, zeigt die Währungskrise”.

“Wir haben Schettino, ihr habt Auschwitz”, antwortete darauf Antonio Sallusti, Direktor der konservativen Tageszeitung Il Giornale: “Der Spiegel schreibt, wir seien keine Rasse. Sie sind allerdings eine, wie sie uns mit Hitler gezeigt haben. [...] Wir haben vielleicht mit Stettino 30 Tote auf dem Gewissen, für Jan Fleischhauers Artgenossen sind es sechs Millionen”.

Die Zeit stellt die beiden Journalisten, die in Wirklichkeit beide den Euro kritisierten, gegenüber: “Schaut man [...] genauer hin, sieht man, dass Fleischhauer und Sallusti im selben Team spielen. Die EU als Kulturen- und Interessengemeinschaft, sagen sie, sei gescheitert.”

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