Diese Angestellte einer öffentlichen Organisation für Arbeiterwohnungen, die bald geschlossen wird, droht, aus dem Fenster zu springen. Athen, 15. Februar 2012

“Mir bleiben noch 5 Euro. Langsam krieg’ ich die Panik.”

Sie sind verschuldet, deprimiert und haben Angst: Immer mehr Griechen suchen moralische Unterstützung bei der Verbraucherzentrale Ekipzo. Reportage in Athen bei einer Gruppentherapie.

Veröffentlicht am 16 Februar 2012 um 14:15
Diese Angestellte einer öffentlichen Organisation für Arbeiterwohnungen, die bald geschlossen wird, droht, aus dem Fenster zu springen. Athen, 15. Februar 2012

Mit verschlossenem Gesicht begrüßen sich die Teilnehmer kurz und lehnen sich dann an die Wand. Als hätten sie Angst, sich auf einen der für eine Gruppentherapie typisch im Kreis stehenden Stühle zu setzen. Oder aber, es fällt ihnen einfach schwer, zuzugeben, dass sie überschuldet oder schlicht verzweifelt sind.

Als die Gesprächsleiterin den Raum betritt, entspannt sich das eisige Klima etwas. Es ist 18 Uhr. Wir sind in der Beratungsstelle der Verbraucherzentrale Ekipzo in der Innenstadt von Athen, einem Ort wo Menschen geholfen wird, die überschuldet sind und nicht mehr weiterwissen. “Seit mehr als einem Jahr ist es immer dasselbe Lied”, berichtet Lila Linartardou, die bei Ekipzo arbeitet. Die gelernte Juristin gibt Ratschläge, wie man bei seiner Bank einen Zahlungsaufschub aushandelt. “Unser Ziel ist es, das Schlimmste zu vermeiden helfen”, sagt sie. Mehr als 6000 Menschen haben bereits bei Ekipzo Hilfe gesucht, wo ein Team von ausschließlich ehrenamtlichen Anwälten, Psychiatern und Psychologen versucht, jenen Beistand zu leisten, die aufgrund der Krise nicht mehr ein noch aus wissen.

Die Minuten verstreichen und die Teilnehmer entspannen sich langsam. Sie sind wie ein Panorama der verschiedenen Gründe, wie man in die Überschuldung abgleitet. Es gibt jene, die mit Kreditkarten jongliert haben, um mit einer Karte das Guthaben der anderen zu versorgen. Familienväter, die sich aufgrund von Krankheit “bis zum Hals” verschuldet haben und nicht mehr wieder finanziell auf die Beine gekommen sind. Und jene, die sich in eine Sackgasse manövriert haben und auf einen Ausweg warten, der nicht kommt.

Magengeschwüre und Selbstmorde

“Die Situation ist unerträglich. Bis zu zehn Mal täglich rufen die Kreditinstitute an und drohen”, erzählt Konstantinos Venerdos, der kürzlich aus gesundheitlichen Gründen in Frührente gehen musste. “Ich hab um eine gütliche Einigung geben, doch die Banken stellen sich taub. Mir bleiben noch fünf Euro bis zum Monatsende und langsam werde ich panisch. Ich denke immer öfter an Selbstmord, damit das alles ein Ende hat, aber ich muss auch an meinen Sohn denken. Was soll aus ihm werden, wenn ich aufgebe?” , sagt er. Andere sind zur Tat übergegangen. “Vier Leute aus der Gruppe haben sich im Laufe der letzten Monate umgebracht und zig andere halten nur mit Medikamenten durch. Es muss etwas getan werden, damit es nicht noch weitere Opfer gibt”, sagt Mikela Christodoulu, eine andere Ekipzo-Mitarbeiterin.

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Die Menschen, die sich an Ekipzo wenden stehen unter extremen Stress und haben, meist als Folge ihrer psychischen Belastung, reale Gesundheitsprobleme wie Herz- und Magenbeschwerden.... “Bei mir ist ein Magengeschwür diagnostiziert worden”, erzählt Dimitri. “In meinem ganzen Leben habe ich noch nie jemanden eine Drachme geschuldet und heute bin ich nicht mehr in der Lage, meinen Kredit nicht zurückzuzahlen”, sagt der ehemalige Einzelhändler, der seinen Familiennamen nicht nennen möchte. Im vergangenen Jahr, mitten in der Wirtschaftskrise, musste er seinen Laden dichtmachen.

Die Therapiesitzung sucht keine Schuldigen, doch soll die Verantwortung jedes Einzelnen geklärt werden: “Ich weiß, dass ich in eine Endlosspirale hineingeschlittert bin. Ich benutzte eine Kreditkarte, um das Konto der anderen zu aufzustocken”, erklärt Mario, ein Beamter. “Mit all diesen attraktiven Angeboten der Banken, kam ich schließlich auf bis auf zwanzig Karten. Mein Gehalt wurde aber mehrmals gekürzt und jetzt habe ich Angst, dass ich auf der Straße landen werde.” (js)

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