Griechische Bananenrepublik

Griechenlands Hautproblem ist nicht das Geld, sondern ein Klientelsystem, in dem niemand Rechenschaft ablegen muss, meint ein griechischer Journalist. Um das zu ändern, muss Europa aktiv werden.

Veröffentlicht am 20 Februar 2012 um 16:14

Vielleicht haben Sie genug von der Griechenland-Krise. So ähnlich geht es auch den politischen Schwergewichten in Europa. Vermutlich sind Sie überzeugt davon, dass Griechenlands Probleme finanzieller Art sind, dass es nicht wettbewerbsfähig genug ist, massive Schulden und gigantische Defizite hat, und sein öffentlicher Sektor kontraproduktiv arbeitet. Damit liegen Sie richtig. Allerdings ist das nur die Spitze des Eisbergs.

Das eigentliche Problems liegt woanders: Zum einen mangelt es an Gesetzen und einer gut funktionierenden Justiz. Zum anderen herrscht ein Klientelsystem, das nur seinen eigenen Interessen dient. Es baut auf politischen Gefälligkeiten, dem Austausch bewährter Dienste, Korruption und einem monströsen bürokratischen Apparat auf, der jeglichen Unternehmergeist verscheucht und die griechische Bevölkerung strapaziert. All das legt finanziellen Fortschritten Steine in den Weg.

Seit Beginn der Griechenland-Krise war klar, dass die griechischen Politiker auch weiterhin für den Erhalt dieses Klientelsystems kämpfen würden. Von ihm profitieren schließlich auch der öffentliche Dienst, Gewerkschaften und insbesondere der vom Staat finanzierte Privatsektor. In Griechenland beruht der Gesellschaftsvertrag seit mindestens 35 Jahren auf folgendem Prinzip: Der Bürger wählt eine bestimmte Partei, wofür kleine Fische im öffentlichen Dienst einen Job und große Haie überteurte Aufträge der öffentlichen Hand bekommen.

Alle wichtigen Parteien erhalten Schmiergelder von privaten Unternehmen

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In dem System, das Griechenland regiert, ist die Justiz machtlos und brauchen Politiker niemals Rechenschaft ablegen. Die (von den beiden größten Parteien schamlos und sogar eifrig getragene) griechische Verfassung schränkt die Möglichkeit, Ermittlungen gegen Politiker einzuleiten, ganz maßgeblich ein. So kam es noch nie zur Anklage eines griechischen Politikers, egal wie sensationell die Fälle auch waren, wie es die Siemens- und die Vatopedi-Affäre zeigten.

Der enge Mitarbeiter des ehemaligen Regierungschefs Kostas Simitis, Theodoros Tsoukatos, gab im September 2010 vor dem griechischen Parlament zu, von einer deutschen Firma in den 1990er Jahren eine Million D-Mark Bestechungsgeld erhalten zu haben, die er seiner Partei PASOK zur Verfügung stellte. Laut Theodoros Tsoukatos erhalten alle wichtigen Parteien Griechenlands Schmiergelder von privaten Unternehmen. Es wurde nie überprüft, woher die eine Million D-Mark stammte. Auch nahm niemand die Parteikonten unter die Lupe. In Deutschland wurden mehrere Siemens-Manager vor Gericht gestellt. In Griechenland nicht.

W**ie in einer Bananenrepublik auf dem Balkan**

2008 sorgte die Vatopedi-Affäre erstmals für Schlagzeilen. Es kam ans Licht, dass erstklassige staatliche Immobilien gegen minderwertige Liegenschaften eines Klosters getauscht wurden. Eine Vereinbarung, die den Staat geschätzte 100 Millionen Euro kostete. 2010 entschied das griechische Parlament, dass Ermittlungen gegen fünf Minister eingeleitet werden müssten. Allerdings hatte man die diesbezüglichen Anklagen schon 2009 fallengelassen.

Diese Affären bestätigen nur, was gemeinhin bekannt ist: In Griechenland herrscht Anarchie. Selbst in gewöhnlichen Fällen dauert es fünf Jahre bis zum ersten Prozess, drei weitere Jahre bis zum Berufungsverfahren und wieder drei Jahre bis zum Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofs. Das ist keine Rechtssprechung, sondern Straffreiheit. Und deshalb geht es in Griechenland nicht so zu wie in einem demokratischen Staat, sondern wie in einer Bananenrepublik auf dem Balkan.

Derzeit gibt es in Griechenland drei Fraktionen

Nach dem ersten Rettungspaket für Griechenland im Jahr 2010 hoffte ich, dass das Programm zur wirtschaftlichen Anpassung, die strenge Kontrolle der Europäischen Kommission und unserer Partner aus der Eurozone sowohl dem Klientelsystem als auch der bürokratischen Maschine ein Ende bereiten würden.

Derzeit gibt es in Griechenland drei Fraktionen. Zunächst einmal sind da die Politiker und ihre Verbündeten im öffentlichen Dienst und im Privatsektor. Sie weigern sich, die notwendigen Strukturreformen effektiv umzusetzen, zumal sie die ersten wären, die unter dem Zusammenbruch des Systems leiden würden. Und dann sind da die Leute, die die Nase voll haben und Veränderungen wollen. Allerdings verfügen sie über keinerlei politische Vertretung. Die dritte Gruppe bilden unsere europäischen Partner, die sich bisher für keines der beiden Lager entschieden haben, aber gerade diejenigen unterstützen, die an der Macht sind.

Die Europäische Kommission betont zu Recht, dass das Reformprogramm von den griechischen Behörden umgesetzt werden muss. Allerdings stellt sich die Frage, wie sehr Europa die nationale Souveränität einschränken kann. Eine grundlegende Frage in Zeiten, in denen es darum geht, der Eurozone eine Wirtschaftsregierung zu geben.

Erst jetzt, nach zwei Jahren der Trägheit, bestehen unsere europäischen Partner auf die Umsetzung wirklicher Reformen und eine deutliche Reduzierung der Staatsausgaben. In der Zwischenzeit aber haben allein im Privatsektor eine halbe Million Menschen ihren Job verloren, während der öffentliche Dienst noch immer ein solch fortschritthemmendes Monster ist.

Was die Gerechtigkeit angeht, so ist es an uns Griechen, sie einzufordern.

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