Der Bau der Ciudad de las artes y las ciencias in Valencia kostete 1,3 Milliarden Euro.

Katerstimmung in Valencia

Regatten, Formel 1, Freizeitparks... Während der Jahre des Wirtschaftsbooms symbolisierte der Mittelmeerhafen mit Glanz und Gloria die Erfolgsstory Spaniens. Heute, angesichts der Krise und Budgetkürzungen, ist hier die Ernüchterung groß.

Veröffentlicht am 7 März 2012 um 14:37
Der Bau der Ciudad de las artes y las ciencias in Valencia kostete 1,3 Milliarden Euro.

Es war ein Jahr vor der Krise. Im Jahr 2007 floss der Champagner in Valencia, an der spanischen Ostküste, noch in Strömen. Die vom milden Fluten des Mittelmeers umgebene Region feierte den 32. America’s Cup. Heute ist der 1,8 Milliarden teure Hafen, von dem die berühmte Segelregatta startete, wie leergefegt. Die Hallen, die den Segelteams zur Verfügung gestellt wurden, verkommen und warten seit fast fünf Jahren auf eine neue Nutzung.

Lange Zeit wurde Valencia von der konservativen Volkspartei (Partido Populare, PP) , welche die Region seit 1995 regiert, als Modell guten wirtschaftlichen Managements gepriesen. Heute steht die Provinz am Pranger. Wegen ihrer Schulden — fast 20 Prozent der Wirtschaftsleistung, die höchsten Spaniens. Wegen ihres Defizits — 4,6 Prozent im Jahr 2011. Und wegen der “Verschwendung öffentlicher Gelder”, welche das letzte Jahrzehnt prägte, wie der Ökonom Vicent Soler aus Valencia meint.

Der America’s Cup ist nur ein Beispiel der verschwenderischen Politik der “Big Events”, bei welcher die Provinzregierung heute “zurückfahren” will, wie der Vizepräsident der Region José Ciscar gegenüber Le Monde erklärte.

Alte Investitionen werden heute verscherbelt

Die Ciudad de las artes y las ciencias [Stadt der Künste und Wissenschaften], das ehrgeizige Kulturforum des Architekten Santiago Calatrava am Rio Turia, hat dem Steuerzahler 1,3 Milliarden Euro gekostet. Heute ist es darauf reduziert, Hochzeitsfeiern zu organisieren, um die Kassen zu füllen. Die Formel 1-Rennstrecke, 5,4 km lang, 14m breit und mit 21 Kurven, verschlang Investitionen in Höhe von 90 Millionen Euro, plus die jährliche Gebühr, um die Europameisterschaften austragen zu dürfen. 20 Millionen laut Presseberichten.

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Bis 2014 ist Valencia vertraglich gebunden. Der Freizeitpark Terra Mitica in Benidorm, der im Jahr 2000 eröffnet wurde, hatte 400 Millionen Euro gekostet. Heute versucht die Region ihn für 65 Millionen zu verscherbeln, während der Hälfte der Belegschaft die Entlassung droht.

“In den vergangenen zehn Jahren, haben wir Schulden gemacht, um mit den anderen Regionen rivalisieren zu können”, rechtfertigt sich Ciscar. “In acht Jahren haben wir 500 Kilometer Straßen, 420 Schulen und acht Krankenhäuser gebaut, sowie Dutzende von Kläranlagen. Und die Großereignisse hatten eine klare soziale Rentabilität. Seit 1998 wurden mit ihnen 271.000 Arbeitsplätze geschaffen und 69 Millionen Besucher angelockt.”

Gesellschaft aus Pappmaché

Die Gewerkschaften sind mit dieser Interpretation nicht einverstanden. “Man hat uns eine Gesellschaft aus Pappmaché verkauft und heute soll der Sozialstaat für die exzessiven Ausgaben aufkommen”, kritisiert Conrado Hernandez, Generalsekretär des Gewerkschaftsverbands UGT in Valencia. Vier Demonstrationen gegen den Sparkurs hat er im vergangenen Monat angeführt. Kürzungen bei der Beamtenbesoldung, drastische Reduzierung der Zahl öffentlicher Unternehmen, Erhöhungen von Studiengebühren und Kantinenkosten: Die Maßnahmen stoßen auf Widerstand.

Nach Zahlen des valencianischen Wirtschaftsforschungsinstituts IVIE stellen die “Big Events” 13 Prozent des aktuellen Schuldenstands der Region dar, der auf rund 20 Milliarden Euro beziffert wird. “Hinter dem Anschein von Reichtum und Überfluss hat uns dieses oberflächliche Wirtschaftsmodell ärmer gemacht”, betont Vicent Soler, Professor für angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Valencia. “Heute liegt das Einkommen pro Einwohner 12 Prozent unter dem spanischen Durchschnitt, während vor fünfzehn Jahren Valencia noch genau im Durchschnitt lag.”

Während des Booms entfielen bis zu 14 Prozent der Beschäftigung auf das Baugewerbe, dabei war Valencia zuvor vor allem für seine Industrie bekannt. Ob Textil, Spielzeug, Lederwaren, Marmor, Keramik, Metall: Die Industrie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Aufgrund der Verlagerung nach Asien und Osteuropa, aber auch weil “ein Teil der Investitionen in die Baubranche geflossen ist, wo leichtes Geld zu machen war”, erklärt der Präsident der Industrie- und Handelskammer von Valencia, José Vincente Gonzales. “Viele Unternehmer haben ihre Firmen vernachlässigt.”

Schulden der Region sind “Schrottanleihen”

Die beiden regionalen Sparkassen Bancaja und CAM sind auch in die Falle der Immobilienblase getappt. Wegen ihrer prekären Lage musste Bancaja mit Bankia fusionieren, der ehemaligen Caja Madrid. Die CAM wurde von der spanischen Zentralbank aufgekauft, ebenso wie die mehr als hundertjährige Banco de Valencia, das Geldinstitut der lokalen Bourgeoisie. “Es wird nicht mehr in Valencia über Kredite entschieden”, resümiert der Wirtschaftswissenschaftler Francisco Perez vom IVIE.

Valencia steht heute vor dem Bankrott. Die drei Ratingagenturen Moody’s, Fitch und Standard & Poor’s haben die Schulden der Region als “Schrottanleihen” eingestuft. Im Dezember 2011 musste die spanische Regierung Valencia zu Hilfe eilen, damit ein fälliger Kredit über 123 Millionen Euro bei der Deutschen Bank verlängert werden konnte.

“Wenn das Finanzierungssystem sich nicht ändert und die Regierung der Region nicht Hilft, dann wird die Lage unerträglich werden”, versichert Perez und zweifelt, dass Valencia seine Defizitziele erreichen wird. “Die Einnahmen der Region reichen nicht einmal, um die Kosten von Gesundheitswesen und Bildung zu decken.” Die Fiesta ist ein für allemal vorbei.

Defizit

Rajoy spielt auf Risiko

Als am 2. März in Brüssel der Fiskalpakt von 25 der 27 EU-Mitglieder unterschrieben wurde, erklärte der spanische Regierungschef seinen Amtskollegen, dass sich das spanische Defizit für 2012 voraussichtlich auf 5,8 Prozent der Wirtschaftsleistung beziffern werde, anstatt der 4,4 Prozent, auf die man sich gegenüber den europäischen Behörden verpflichtet hatte. El Periódico schreibt:

“Letztlich ist Rajoy Pragmatiker geworden ... Mit den Einsparungen, Steuererhöhungen, dem Gezerre um die Renten und der Arbeitsmarktreform geht er Risiken ein. Es sind umstrittene Entscheidungen, doch er ist sich sicher, dass sie mittelfristig positive Auswirkungen haben werden. ... Rajoy hat noch vier Jahre vor sich.”

Die Tageszeitung aus Barcelona meint, dass “seine Entscheidung unvermeidbar und vernünftig” sei, doch stelle sie gegenüber der EU einen “Glaubwürdigkeitsproblem” für Spanien dar:

Mit der EU ist es anders. ... Hier hat man nicht vier Jahre Zeit. Sicher, die Politik der EZB, die Bereitstellung von Liquiditäten für die Banken zu erleichtern, hilft dabei, die Schulden zu finanzieren. Aber es kann Gewitter geben. Die Bundesbank greift Draghi an, die Griechenlandkrise, immer noch ohne Lösung, kann uns noch weiter in Mitleidenschaft ziehen und auch in Portugal sieht es auch nicht rosig aus. ... Änderungen, die Spaniens Glaubwürdigkeit schaden. ... Deshalb hat sich auch der Trend bei den Risikoprämien Spaniens, die seit Beginn der Krise im vergangenen August stets besser waren als die Italiens, umgekehrt 344 Basispunkte für Spanien, 334 für Italien. Stand 7. März. Rajoy macht, was richtig und unvermeidlich ist... aber auch gefährlich.

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