Paula Gil bei der Demonstration am 12. März 2011 in Lissabon.

Das lange Warten auf bessere Tage

Am 12. März 2011 wirkten João, Alexandre und Paula bei der Veranstaltung einer Massenkundgebung gegen die prekären Verhältnisse und die Arbeitslosigkeit in Portugal mit. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Heute erlebt das Land erneut einen Generalstreik, denn die Lage hat sich nicht verbessert.

Veröffentlicht am 22 März 2012 um 16:30
Tiago Figueiredo  | Paula Gil bei der Demonstration am 12. März 2011 in Lissabon.

In einem Jahr hat sich nichts oder nur wenig in der Lissaboner Altstadt geändert. Hier im Stadtteil Alfama wurde die Demonstration geplant, die im März 2011 knapp eine halbe Million Menschen auf die Straße trieb.Alexandre, Paula und João waren damals dabei. Die Kundgebung hat als „Protest der verlorenen Generation“ Geschichte gemacht. Das Leben hat sich seitdem etwas geändert, auch das Land ist nicht mehr ganz dasselbe.

Der größte der drei Freunde zeichnet sich durch seinen Künstlerlook und seinen Sinn für Ironie aus. Alexandre de Sousa Carvalho, 27, scheint vom Leben nach dem 12. März nicht beeindruckt zu sein. „Was sich in meinem Leben geändert hat? Ich habe mehr Freunde auf Facebook und war eine Woche lang berühmt“, meint er, ein Bier in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand.

Vor zwei Monaten ist sein Forschungsstipendium von 900 Euro ausgelaufen, und er musste seine Studentenbude in Lissabon aufgeben. „Jetzt schlafe ich in einem unmöblierten Zimmer in einer Wohnung, die ich mit acht Mitbewohnern teile. Einige davon kenne ich nicht einmal.“ Er wartet weiterhin geduldig auf ein neues Stipendium, das er zur Finanzierung seiner Dissertation in Afrikanischen Studien über die Teilung der Macht in Zimbabwe und Kenia braucht.

Protest der Doktoranden, „falschen Freiberufler“, Arbeitslosen

Paula Gil, 26, anscheinend die schüchternste der Gruppe, aber dafür nicht weniger kämpferisch, hat ein eher bewegtes Jahr hinter sich: Nach ihrem Praktikum in einer Nichtregierungsorganisation war sie einige Zeit arbeitslos (ohne Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung), hat dann wieder einen Job gefunden und arbeitet jetzt als „falscher Freiberufler“ [damit der Arbeitgeber keine Sozialabgaben zu entrichten hat] im Bereich Verwaltung und Sekretariat. Sie verdient nicht viel. Es könnte ihr besser gehen. Es könnte ihr aber auch schlechter gehen. „Seit zehn Jahre komme ich selbst für meinen Unterhalt auf.“

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Noch schlimmer ist es arbeitslos zu sein, so wie João Labrincha, 28, der zwar ohne Arbeitslosengeld, aber mit der bedingungslosen Unterstützung seiner Familie lebt. Trotz der Schwierigkeiten wirft er nicht das Handtuch. „Bald werde ich wieder Geld verdienen. Ich arbeite an einem Projekt im Bereich Bürgerengagement.“

Die Protestbewegung, die vor einem Jahr entstand, gab sich parteilos und säkular und richtete sich in erster Linie an Arbeitslose, Mindestlohnempfänger, Lohnarbeiter, Praktikanten, Stipendiaten und Zeitarbeiter. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie weit mehr Menschen anspricht und nun sogar Soziologen und politischen Kommentatoren als Fallstudie dient. „Viele Menschen, jung und alt, sind mit der Bewegung des 12. März einverstanden“, so Paula. „Sie wissen nun, dass sie die Initiative selbst übernehmen und versuchen können, die Lage zu ändern, ohne darauf zu warten, dass die Parteien aktiv werden.“

Politiker wittern neue Wähler

Der Erfolg der Demonstration, die über Facebook organisiert wurde, zieht Politiker an, die hier eine Möglichkeit wittern, neue Stimmen zu gewinnen. „Der Leiter einer Jugendpartei, der heute Abgeordneter ist, rief mich täglich an, um mir strategische Tipps zu geben“, erzählt Alexandre. Das plötzliche Interesse des Politikers am jungen Veranstalter erlosch jedoch bald nach den Kundgebungen im ganzen Land.

Die Veranstalter sind stolz darauf, die Büchse der Pandora der sozialen Proteste in Portugal und Europa geöffnet zu haben. „Abgesehen von der Zeit nach der Nelkenrevolution [25. April 1974 bis 25. April 1976] gab es kein Jahr in unserem Land, in dem so viele Demonstrationen stattgefunden haben. Dem 12. März folgten der 15. März, der 15. Oktober, der 24. November und der 21. Januar.“

Selbstverständlich haben die Mentoren des 12. März die Kundgebungen in ganz Europa aufmerksam verfolgt, insbesondere in London und Athen. „Die Griechen leben seit zwei Jahren mit Sparmaßnahmen. Zum Glück ist bei uns die soziale Not noch nicht so stark ausgeprägt.“ Paula ist der Ansicht, dass nicht die Menschen, die auf die Barrikaden steigen, gewalttätig sind, sondern „das System“.

Alle sind überzeugt, dass es auch auf den Straßen von Lissabon, Porto oder Coimbra zu Gewaltsamkeiten kommen kann. „Im Gegensatz zu Salazars Beteuerungen sind wir kein friedfertiges Volk.“ Alexandre stützt sich auf Statistiken. „Die Bevölkerungsgruppen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, um nicht unter die Armutsgrenze zu rutschen, werden große Not leiden.“

Portugiesen von den Technokraten bevormundet

Auf jeden Fall sind die drei Freunde gegen die Anarchie auf der Straße. João erinnert sich, dass es 2011 eine andere Dynamik gab, mit der Musik von Deolinda [„Stimme der verlorenen Generation“], dem Ende der Ära Sócrates, dem Anstieg der Arbeitslosigkeit und dem Wind des arabischen Frühlings. „Die Demonstrationen müssen nicht nach demselben Muster ablaufen“, so João. Paula stimmt ihm zu. Alexandre ist nicht einverstanden: „ Es ist nicht gerecht, dass sich immer dieselben darum kümmern müssen, damit eine Massenkundgebung wie die vom 12. März stattfinden kann. Hört endlich auf, auf einen Retter zu warten.“

Troika. Sparkurs. Arbeitslosigkeit. Wenn Alexandre, Paula und João diese Worte hören, werden sie wütend. „Unsere Politiker sind Domestiken, die den Befehl ihrer Herren befolgen. Sie sind die Dienstboten Frau Merkels und der deutschen Banken.“ Die drei befürchten, die Portugiesen würden “von den Technokraten bevormundet“.

Die Kritiker der Bewegung sprechen von einem halben Dutzend Deolinda-Radikalen, die sich darauf beschränken zu protestieren, statt Lösungen für die Zukunft vorzuschlagen. „Wir wissen vielleicht nicht, was wir wollen, aber wir wissen genau, was wir nicht wollen“, lautet die Antwort auf diesen Vorwurf.

Paula möchte weiterhin in Portugal arbeiten und „zum Wandel beitragen“, es kann jedoch sein, dass sie sich wieder im Ausland nach Arbeit umsehen muss. „Das wäre nichts Neues, ich war schon in England und in Luxemburg.“ Alexandre würde gern im Rahmen seiner Dissertation in einem Jahr die Wahlen in Kenia verfolgen. Auch er weiß noch nicht, ob er danach nach Portugal zurückkehrt. „Ich verlange, was alle verlangen. Ich möchte, dass mein Land mich so liebt, wie ich es liebe.“

Soziales

Achter Streik innerhalb eines knappen Jahres

Am 22. März findet in Portugal ein Generalstreik statt. Der allgemeine Verband der portugiesischen Arbeitnehmer (CGTP) hat zur Demonstration gegen die Sparmaßnahmen der rechtsliberalen Regierung von Pedro Passos Coelho aufgerufen. Es handelt sich dabei um den „achten Streik seit dem 25. April 2011“, wie Público betont, doch diesmal zieht die CGTP alleine in den Kampf. Die Gewerkschaft UGT, die der sozialistischen Partei nahe steht, nimmt nicht daran teil. Die CGTP ist insbesondere gegen die Arbeitsrechtsreform, die von der Regierung ausgehandelt und von der UGT akzeptiert wurde.

In ihrem Editorial meint die Tageszeitung aus Lissabon,...

... der Generalstreik wird nichts dazu beitragen, Antworten auf unsere aktuelle schwierige Situation zu finden. [...] Generalstreiks in Portugal haben schon immer dazu gedient, sich Änderungen des Arbeitsrechts entgegenzustellen. Dieser macht da keine Ausnahme und fällt mit ähnlichen Bewegungen in anderen europäischen Ländern wie Italien oder Spanien zusammen, wo das Arbeitsrecht unter dem Druck der Krise und einer immer weiter steigenden Arbeitslosigkeit gerade reformiert wird.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema