Bulgariens Zukunft? Dieses T-Shirt gab es nur gegen einen bürokratischen Spießrutenlauf. Foto: Elenko Elenkov

Kafka im Zollamt

Um ein paar online gekaufte T-Shirts wiederzubekommen, musste ein Journalist mehrere Stunden im Zollamt verbringen: von Schalter zu Schalter, Formular über Formular, mit absurden Dialogen. Sein Tatsachenbericht schlug Wellen im Land.

Veröffentlicht am 13 Januar 2010 um 15:35
Bulgariens Zukunft? Dieses T-Shirt gab es nur gegen einen bürokratischen Spießrutenlauf. Foto: Elenko Elenkov

Sie kaufen online? Im Ausland? Seit dem 1. Januar 2010 müssen außerhalb der EU gekaufte Waren nun ab 15 und nicht mehr ab 150 Euro verzollt werden. Nun wird quasi jeder Einkauf, mal von ein paar Socken abgesehen, versteuert. Und um diese Formalitäten zu erledigen, muss sich der Käufer in eins der Zollämter Sofias begeben. So wie ich, der ich kurz vor Weihnachten ein paar T-Shirts auf einer amerikanischen Website gekauft habe. Und das erwartet sie dort:

Vorladung Schalter 23, sagte das Schreiben der Post. Das Postzollamt Sofias befindet sich gleich neben dem Hauptbahnhof. Dort sehe ich einige Angestellte, die Paketwagen hin- und herschieben. Die Aufschriften sind vertraut: Ebay, Amazon, USPS, UPS, usw. Im Idealfall zahlen Sie hier eine "Wertsachensteuer" in Höhe von 4 Lews (ca. 50 Cent) und Sie bekommen ihr Paket ausgehändigt. Bei mir handelt es sich nicht um so einen Idealfall, da mein Päckchen aus den USA kommt. "Das Paket muss noch überprüft werden. Ich rufe einen Kollegen", sagt mir eine misstrauische Angestellte.

Der Mann in Zivil bittet mich, mich auszuweisen. Kurz darauf führt man mich durch eine Hintertür zum Schalter Nummer 30. Es handelt sich dabei um eine Art Nebengebäude des Nebengebäudes. Die Angestellten wärmen sich an einem kleinen Ölkonvektor. Zwei Inspektoren öffnen mit einem Teppichmesser mein Päckchen und holen den Inhalt heraus: T-Shirts, wie angekündigt, die Rechnung und ein paar Pins des Onlineshops. "Und was ist das?" "Pins", antworte ich. "Und warum sind die nicht auf der Rechnung? Die haben auch einen Wert." "Sicherlich" antworte ich wiederum, "aber das ist ein Werbegeschenk des Onlineshops. Ich habe die nicht bestellt."... Ich merke, dass meine Erklärungen nutzlos sind, die Zöllner halten mich bereits für einen frenetischen Schmuggler von kalifornischen Pins. "Gehen Sie zu Schalter 17 und holen sie sich einen EORI-Antrag. Danach kommen Sie zurück und machen ihre Zollerklärung." Was ist ein EORI-Antrag? "Gehen Sie. Das erklärt man Ihnen drüben."

Schalter 17 ist die Buchhaltung. Niemand kann mir sagen, was ein "EORI-Antrag" überhaupt ist. Ich muss ein Formular mit allen möglichen Angaben zu meiner Person ausfüllen. "Dann machen Sie eine Kopie von ihrem Personalausweis", sagt mir eine Angestellte. Jetzt reicht's mir aber. Ich kenne meine gesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte, doch nach ein paar Minuten heftiger Diskussion merke ich, dass mein Kampf unnütz ist: Ich muss es dem Staat erlauben, seine eigenen Gesetze zu übergehen, wenn ich an meine T-Shirts herankommen will. Auf geht's zum Schalter 21, wo das Kopiergerät steht (sehr teuer, übrigens), dann Schalter 13, wo man mir den sogenannten EORI-Antrag aushändigt. Besonderheit: hier darf man rauchen. Das Nichtrauchergesetz in den Behörden und öffentlichen Gebäuden scheint hier außer Kraft zu sein.

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Das Raumschiff vor dem Pferdewagen

Ich werde von einem offensichtlich hochstudierten Angestellten empfangen, dessen Aufgabe es hier ist, nur einfach meine Angaben in den Computer zu tippen. Das dauert immerhin fast eine halbe Stunde. Ich bekomme meinen EORI-Schein mit einer "provisorischen Nummer": im Grunde nur meine leicht veränderte Sozialversicherungsnummer. "Damit der Schein gültig ist, muss er noch von der Zolldirektorin unterschrieben werden", kündigt mir der Angestellte im vertraulichen Ton an. Und das ist eine sehr beschäftigte Frau, schließlich hat sie zwei Sekretärinnen. Ich vertraue letzteren meinen Papierwust an, doch die beiden fürchten, die Chefin zu stören, also warte ich, dass sie aus dem Büro tritt. Die Chefin kommt, schnauzt eine Angestellte an und unterschreibt, ohne meine Papiere auch nur eines Blickes zu würdigen.

Zurück zum Schalter 17. Zum Abstempeln. Dann auf zu Schalter 28, wo ich die eigentliche Zollerklärung ausfülle. Das Formular ist kostenpflichtig: acht Lews. Die Informationen werden auf Disketten aus den 90er Jahren gespeichert, die man mich bittet, doch zum Schalter 9 zu bringen. Die Freuden des WLAN sind dem bulgarischen Zoll unbekannt...

Der Schalter ist funkelnagelneu mit den modernsten Computern ausgestattet. Die Angestellte holt ein wundersames Gerät hervor, das sie an die USB-Buchse anschließt. Dort schiebt sie die Diskette ein. Ich bin verblüfft. Das ist, als würde man ein Raumschiff vor einen Pferdewagen spannen!

Doch noch ist es nicht vorbei. Ich muss zu Schalter 14, dem Zahlschalter, wo ich auch zahle. Dann warte ich Schalter 9, dass mein Geld auf dem Zollkonto erscheint. Zurück zu Schalter 23 (für die "Wertsachensteuer"), und schließlich komme ich ins Ziel meines Hindernislaufs: am Schalter 30 wartet auf mich mein aufgeschlitztes Päckchen mit den T-Shirts. Das waren meine vier unvergesslichen Stunden im Zollamt von Sofia.

REAKTIONEN

Ein Artikel bringt die Blogger in Wallung

Dieser Bericht ist der seit Bestehen am meisten gelesene Artikel auf der Website von Dnevnik. Es gibt mehr als tausend Kommentare. Finanzminister Simeon Djankov erklärte, dass er persönlich prüfen wolle, wie der Zoll arbeitet. Die Zollbehörde versprach eine "Vereinfachung" der Prozedur. In der Zwischenzeit haben Dnevnik und die Wochenzeitschrift Kapital, beide derselben Pressegruppe angehörig, eine neue Rubrik geschaffen. Ihr Name, die Aufschrift auf Elenkos T-Shirts: "This was supposed to be the future" [Das sollte die Zukunft sein].

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