Auf bestem Weg zu einer „Kriegswirtschaft“

Am 29. März steht der Generalstreik an. Mitten in der Rezession. Zudem sind die Haushaltslöcher tiefer als geplant… Trotz der Reformen und der tiefgreifenden Sparmaßnahmen schafft Spanien es einfach nicht, die Krise zu überwinden. In der Eurozone bereitet das natürlich Bauchschmerzen.

Veröffentlicht am 28 März 2012 um 15:04

Hundert Tage nach seiner Amtseinführung als Regierungschef kann sich Mariano Rajoy [dessen Partei bei den Parlamentswahlen einen überwältigenden Wahlerfolg verzeichnete] damit brüsten, mindestens drei Bereiche der [spanischen] Wirtschaft reformiert zu haben: Den Arbeitsmarkt, die Finanzen und die Haushaltsstabilität.

All seine reformerischen Bemühungen verfolgen ein und das gleiche Ziel: die Forderungen Brüssels erfüllen und die Märkte beruhigen. Über diese Politik kann man denken was man will, eines aber kann man der konservativen Regierungspartei PP nicht vorwerfen: Dass sie nichts unternimmt.

Trotzdem hat die Regierung bisher nicht die erhofften Ergebnisse erreicht. Die EU ist weiterhin skeptisch, und Spanien schlägt Italien um eine Nasenlänge als Problemland: Für die Investoren der Eurozone wird es zum Schlusslicht und seine Risikoprämie steigt in schwindelerregende Höhen. Darüber hinaus wurde die spanische Wirtschaft in den vergangenen Tagen in den wichtigsten internationalen Wirtschaftsblättern und mehreren Investmentbank-Berichten aufs heftigste kritisiert.

Und zur Krönung des Ganzen stimmte auch der italienische Ministerpräsident Mario Monti das gleiche Lied an und erklärte, dass „Spanien ganz Europa beunruhigt“. Als er Spanien an den Pranger stellte, wollte Monti die Märkte vermutlich nur davon abbringen, ein zu scharfes Auge auf Italien und seine politischen Reformschwächen zu werfen. Den Nachbarn zu stigmatisieren gehörte schließlich schon während der 1929er Krise zum guten Ton.

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Regierung zwischen zwei widersprüchlichen Forderungen

In drei Punkten sind sich die Kritiker der spanischen Wirtschaftspolitik einig: [Erstens] befürchten sie, dass die Defizitgrenzen dieses Jahr nicht eingehalten werden, zumal der Haushalt so spät verabschiedet wurde, dass sämtliche Kostensenkungsmaßnahmen und Steuererhöhungen auf nur acht Monate verteilt werden müssen. [Zweitens] vermuten sie, dass die Finanzreform nicht so offensiv geführt wird wie die Arbeitsmarktreform, und sie zudem nur langsam greifen wird, weil immer mehr Akteure zahlungsunfähig werden, was Kreditrestriktionen nach sich zieht. Und [drittens] fehlt es an Maßnahmen, die das Wachstum wieder ankurbeln.

In dieser beunruhigenden Situation wird der Haushalt 2012 am Freitag, den 30. März präsentiert werden. Und niemand bezweifelt, dass Spanien auf dem besten Weg zu einer Art Kriegsökonomie ist, wenn die Metapher gebraucht werden darf. Der Regierung ist zwischen zwei völlig legitimen und dennoch widersprüchlichen Forderungen hin- und hergerissen: Die Ansprüche der Bürger, die mehr Sozialschutz und verstärkte Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit fordern, die in Spanien höher ist als in allen anderen OECD-Ländern ist; und die Forderungen aus dem Ausland, das in allererster Linie den Defizitabbau verlangt.

Für Ivan Krastev, der den Europäischen Rat für Auslandsbeziehungen (ECFR) gründete, macht sich dieser Widerspruch immer bemerkbarer. Seiner Meinung nach „sind wir Zeugen des schwindenden Vertrauens in die politischen und wirtschaftlichen Spitzen. […] Wahlen verlieren ihre Bedeutung als Möglichkeit, zwischen mehreren Alternativen zu wählen. Demokratie ist in diesem Kontext dann nicht mehr eine Frage des Vertrauens, sondern kommt vielmehr dem zugute, der am besten mit Misstrauen umgehen kann.“

Ein historischer Kompromiss

Nach Expertenmeinungen könnte der Weg aus der Rezession also zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten folgen. Klar sind wir immer der Willkür neuer Schocks ausgeliefert (steigende Öl- und Rohstoffpreise, Krisen in den Schwellenländern), aber die Welt könnte sich eigentlich nach und nach von ihren Problemen erholen. Dagegen bleibt die Wirtschaft einiger Länder, darunter Spanien, in einer Art „L“ gefangen, dessen waagerechter Strich sich dauerhaft in die Länge zieht und uns in der Stagnation verharren lässt.

Um dies zu vermeiden, müsste man sich auf die Diagnose einigen, und politische, wirtschaftliche und soziale Kräfte Entscheidungen gemeinsam treffen. Doch sind wir so tief eingetaucht, dass vermutlich nicht einmal eine so große Mehrheit wie die der aktuellen Regierung ausreicht. Was unser Land braucht ist ein historischer Kompromiss zwischen all den unterschiedlichen Lagern, die für die Mehrheit der Bürger kämpfen. Niemand darf aus ideologischen Gründen ausgegrenzt werden. Und Zugeständnisse müssen von allen Seiten kommen.

Das Bündnis muss quer verlaufen und die unterschiedlichen Gemeinschaften berücksichtigen. Um das Wohl der Bevölkerung zu garantieren, dürfen nicht nur Sanierungsmaßnahmen verabschiedet und Strukturreformen durchgeführt werden. Es geht auch um Wachstumspolitik. (jh)

Kommentar

„Keine wirtschaftspolitische Alternative“

Es ist der achte Generalstreik seit Spaniens Rückkehr zur Demokratie 1975. Laut El Mundo findet er zum „wirtschaftlich heikelsten Zeitpunkt der letzten dreißig Jahre statt“. Für die Tageszeitung „ist die Regierung tagtäglich damit beschäftigt, ihren europäischen Partnern zu beweisen, dass sie alles daran setzen wird, ihre Versprechen auch einzulösen“. Für das konservative Blatt tragen die Gewerkschaften einen Teil der Verantwortung: Untätig sahen sie dabei zu, als „die Arbeitslosenzahlen die 5-Millionen-Grenze überschritten“. Und nun „protestieren“ sie „gegen eine Arbeitsmarktreform“. Ferner stellt die Zeitung die sozialistische Opposition an den Pranger: Sie habe zwar nicht zum Streik aufgerufen, aber „bewiesen, dass sie ihn unterstützt“.

Spanien ist an einem Scheideweg angelangt. Die Wirtschaft ist offiziell in eine Rezession abgerutscht. [Der Staat] verliert immer mehr Steuereinnahmen und die Risikoprämie für die Staatsschulden ist noch höher gestiegen als in den vergangenen Wochen vermutet. Darüber hinaus ist es für die Regierung immer schwieriger geworden, das Defizit im Zaum zu halten. Besonders weil die von der Izquierda Unida (Vereinigte Linke) in Andalusien unterstützten Sozialisten für mehr Staatsausgaben sind.

Gerade weil wir in die Schusslinie geraten sind, müssen Gewerkschaften und Parteien sich klar machen, dass sie mit diesem Streik nicht die Regierung, sondern das ganze Land bestrafen. Es gibt nun mal keine wirtschaftspolitische Alternative. […] Selbst wenn die Mehrheit der Spanier den Streik unterstützt: Die Regierung kann nicht einfach zurückrudern. Schließlich ist es die Europäische Kommission, die immer umfassendere Reformen verlangt. Insbesondere wenn es um den Arbeitsmarkt und Sparmaßnahmen in den regionalen Haushalten geht. […] Deren Konten sind zum wundesten Punkt der spanischen Wirtschaft geworden. Und es sieht nicht gerade danach aus, als habe die Regierung sie im Griff.

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