Eindhoven (Niederlande), 14. Januar 2010. Eine Gruppe niederländischer Rettungshelfer macht sich auf den Weg nach Haiti. (AFP)

Furchtbare Feuertaufe

Jede europäische Ratspräsidentschaft, egal wie peinlich genau sie auch geplant wurde, musste früher oder später mit einer unerwarteten Krise fertigwerden. Haiti ist der erste Test, der darüber entscheiden wird, ob die neuen außenpolitischen Institutionen der Europäischen Union auch wirklich funktionieren.

Veröffentlicht am 18 Januar 2010 um 17:06
Eindhoven (Niederlande), 14. Januar 2010. Eine Gruppe niederländischer Rettungshelfer macht sich auf den Weg nach Haiti. (AFP)

In den vergangenen Monaten bestimmten vor allem theoretische Debatten, bürokratische Streitereien und andere Gesetzlichkeiten die allenorts geführten Diskussionen. Nun erhalten wir tatsächlich die Gelegenheit, in der Praxis zu überprüfen, wie sich die permanente und die halbjährlich rotierende EU-Präsidentschaft miteinander koordinieren lassen. Auf der einen Seite: Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, und der Belgier Karel de Gucht, EU-Kommissar für humanitäre Hilfe. Auf der anderen Seite: Die spanische Vizeregierungschefin María Teresa Fernández de la Vega und die spanische Staatssekretärin für internationale Zusammenarbeit, Soraya Rodriguez.

Bisher hat man Ashton ihre Unscheinbarkeit und ihre mangelnde Erfahrung vorgeworfen. Anlässlich der vor ihrer Ernennung stattfindenden Parlamentsanhörung bewies sie jedoch ihre Kompetenz. Auch wenn sie ihre Zuhörer mit ihren teilweise zu gut vorbereiteten Antworten – um jegliche Diskussionen zu verhindern – nicht gerade in überschwängliche Begeisterungsstürme versetzte. Anlässlich der bisherigen Krisen im Ausland hat sich die spanische Regierung nicht gerade durch ihre Koordinationsfähigkeit ausgezeichnet und auch die Anfänge ihrer Präsidentschaft weisen eher auf mangelnde Kommunikationsfähigkeit hin. Für beide Präsidentschaften hat nun die Stunde der Wahrheit geschlagen. Jede Minute, die man jetzt wegen politischer Eifersüchteleien, Geltungssucht, schlechter Koordinierung oder bürokratischer Rivalitäten verliert, kann das Schlimmste für die tausende Menschen vor Ort bedeuten.

EU als größter Geber von Hilfsgeldern

Merkwürdigerweise fällt die Krise in Haiti zeitlich mit einer institutionellen Minikrise in Europa um die Soforthilfe zusammen. Während alle Augen sich auf die internationale Gemeinschaft richten, die Haiti effizient helfen sollte, ist das Europäische Parlament damit beschäftigt, die Kompetenzen der Bulgarin Rumjana Schelewa in Frage zu stellen, die sich um den Posten als EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe beworben hatte.

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In Brüssel handelt es sich hierbei um eine Schlüsselposition. Besonders wenn man bedenkt, dass die EU weltweit der größte Wohltäter in Sachen Entwicklungshilfe und Soforthilfe ist (noch weit vor den USA). Jedoch hat Schelewa während der vergangenen Anhörungen zwei schwere Fehler begangen: Zum einen hat sie keine zufriedenstellenden Antworten auf die Fragen nach ihren bulgarischen Geschäftsbeziehungen gegeben. Zum anderen vermittelte sie den Eindruck, sich nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit auf ihre Anhörung vorbereitet zu haben (wie das andere Kommissare im Allgemeinen tun). Diese Zweifel werden höchstwahrscheinlich auch bald Barroso erreichen, der dann erklären werden muss, was ihn dazu veranlasste, die Verantwortung der Soforthilfe jemandem anzuvertrauen, der aus dem einzigen EU-Land kommt, welches über kein humanitäres Hilfsprogramm verfügt.

Sinnvoll wäre: sich mit den den USA ergänzen

Noch sind wir aber weit entfernt vom Tode auf dem Rost, zu dem der heilige Lorenz verurteilt wurde (zu guter Letzt haben sich die Zeiten ja auch gewandelt). Aber selbst die Veteranen der Kommission geben zu, eine Art stickige Hitze zu verspüren, sobald man sie über das winzigste Detail ihres Budgets befragt. Die vor jeder Zustimmung stattfindenden Anhörungen vor dem Parlament – ein Importartikel aus den USA – erweisen sich also zweifellos als nützlich. Angesichts der Vorwürfe, in Brüssel würde nichts wirklich funktionieren, und die europäischen Institutionen würden an ihrem Demokratiedefizit ersticken, haben die Anhörungen vor dem Europäischen Parlament für viele andere Länder eine Vorbildwirkung.

Im Gegensatz zu den USA ist die EU vor allem zivil aktiv: Washington hat einen Flugzeugträger und 10.000 Soldaten nach Haiti entsendet. Daran lässt sich ihre Weltanschauung erkennen. Jedoch sollten wir dies nicht zu scharf kritisieren. Auch Sicherheit ist jetzt sehr wichtig. Idealerweise sollte Europa dazu in der Lage sein, dem verwüsteten Land wenigstens mit dem zu helfen, was die USA ihm nicht bieten konnte: Wasser, Elektrizität, Hygiene, Bildung und funktionierende Institutionen. Natürlich ist es einfacher, für Ordnung in den Straßen zu sorgen, anstatt einen Staat wieder aufzurichten, der wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen ist. Dennoch sollte jeder nach seinen Möglichkeiten helfen. Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Möglichkeiten Europas nicht denen der USA entsprechen. Um Haiti die Solidarität zuteilwerden zu lassen, die es jetzt braucht, sollten wir die EU-Kommissare und die Landesregierungen also auf den Rost legen: Den Rost der Demokratie.

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