Wer ist hier der Verantwortliche? © Presseurop

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Während der Krise in Haiti glänzt Catherine Ashton mit Abwesenheit, Herman Van Rompuy mit Unsichtbarkeit, José Manuel Barroso verteidigt seine Vorrechte, und die halbjährlich wechselnde Ratspräsidentschaft kämpft um ihre Existenz. Eigentlich sollten die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen neuen Institutionen die Handlungsfähigkeit der Union erleichtern. Jedoch scheint ihnen genau das schwerzufallen.

Veröffentlicht am 28 Januar 2010 um 16:40
Wer ist hier der Verantwortliche? © Presseurop

Zwei Tage nach dem Erdbeben in Haiti – am 14. Januar – versuchte Catherine Ashton in Brüssel eine Pressekonferenz zu improvisieren. Zu diesem Anlass präsentierte sich die frischgebackene Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik der Siebenundzwanzig als "Anführerin" der europäischen Mobilisierung für die Opfer der Katastrophe. Jedoch entschied sich die britische Labour-Politikerin gegen eine Reise nach Port-au-Prince. Vielmehr zog sie es vor, gegen Ende des Nachmittages den Eurostar zu nehmen, um nach London zurückzukehren… Fehler oder bewusste Wahl?

Diejenige, der man im vergangenen November zur allgemeinen Überraschung den Vorsitz über die EU-Diplomatie übertrug, hat damit jedenfalls eine einzigartige Chance verpasst, ihrer Präsenz überall Ausdruck zu verleihen. Seitdem delegiert Madam Ashton ganz einfach. Am 25. Januar vertrat der Franzose Bernard Kouchner sie in Montreal anlässlich einer Versammlung der Spender für Haiti. Und das, obwohl die EU Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um nach Montreal eingeladen zu werden. Die USA, Brasilien und Kanada hatten diese Initiative zunächst nämlich ohne sie auf den Weg gebracht und wollten den Alten Kontinent – den wichtigsten Spender für Haiti – gar nicht einladen…

Das ewige Hin- und Her von Madam Ashton verdeutlicht, wie mühsam die Anfänge der neuen europäischen Institutionen sind, die der Vertrag von Lissabon uns beschert hat. Der Text sollte die Funktionsweise der Siebenundzwanzig verbessern. Wird er sie nicht vielmehr verkomplizieren? Schließlich zeigt sich das gemeinschaftliche Europa der Welt nun mit vier verschiedenen Gesichtern. Die Rollenverteilung ist wirklich irreführend. Das aus dem Belgier Herman Van Rompuy – dem ersten permanenten Präsidenten des Rates – und Lady Ashton bestehende Tandem schafft es einfach nicht, sich angemessen einzurichten. Der Präsident der Kommission verteidigt sein Revier. Und ebenso tut dies die halbjährlich wechselnde Präsidentschaft, die gegenwärtig von Spanien wahrgenommen wird.

Herman Van Rompuy - oder die Kunst der Geheimniskrämerei

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Brüssel scheint also noch immer nicht die berühmte "Telefonnummer" zu haben, die der ehemalige amerikanische Staatssekretär Henry Kissinger 1970 erfragte. "Der Apparat befindet sich noch in der Warmlaufphase, auch wenn der Start nicht überwältigend ist", räumt ein Diplomat ein. Herman Van Rompuy versucht, das Risiko der gegenwärtigen Situation einzuschätzen. Er hat sich darauf eingerichtet, montags immer Kommissionschef José Manuel Barroso zu frühstücken. Trotz dieser Treffen kämpfen die beiden Männer aber heimlich still und leise schon jetzt darum, wie jeder seine jeweilige Mission realisieren kann. Und dies ganz besonders auf der internationalen Bühne. Auch wenn Herr Van Rompuy immer äußerste Diskretion wahrt, so scheint er sich seine Funktion eher als eine sehr weitreichende auszumalen.

Offiziell "prüft" der ehemalige belgische Regierungschef "seine Akten" und reist vor dem Gipfel, den er für den 11. Februar in Brüssel einberufen hat, noch schnell in die verschiedenen Hauptstädte. Soziale und wirtschaftliche, aber auch das Klima betreffende Fragen will er dann stellen. Auch die Rekonstruktion Haitis soll thematisiert werden. Wird er es darüber hinaus jedoch schaffen, sich von der Vormundschaft Paris' und Berlins zu befreien, die seinen Amtsantritt wohlwollend unterstützt haben? Demgegenüber nimmt sich Barroso vor einem in seinen Kompetenzbereich eindringenden Ratspräsidenten in Acht. Den Abgeordneten der EU hämmert er ein: "Es steht alles im Vertrag: Die Kommission vertritt die Siebenundzwanzig in allen Bereichen, die nichts mit der Sicherheitspolitik zu tun haben".

Zapateros Aufgabe: Die Debatten Anderer leiten

Gebremst wird der Präsident der Kommission allerdings durch den sehr spät angesetzten Amtsantritt seines neuen Teams (nicht vor Mitte Februar). Jedoch hat er sich darum gekümmert, dass die Aufgabenbereiche der Außenpolitik zerteilt werden. Die dafür verantwortlichen Personen wird Madam Ashton als Vize-Präsidentin anleiten. Wenn die Hohe Vertreterin sich einmal um humanitäre Hilfe, Entwicklung oder die Beziehungen mit den Nachbarstaaten kümmern wollen sollte, so werden drei Kommissare für sie unumgänglich sein. Für die internationalen Versammlungen hat Barroso außerdem seinen "Sherpa" (Chefunterhändler) – den Portugiesen Joao Vale de Almeida – an der Spitze der Generaldirektion "Relex" (External Relations, Auswärtige Beziehungen) platziert. Relex ist ein Bestandteil des gemeinsamen zukünftigen diplomatischen Dienstes, mit dessen Aufbau Madam Ashton betraut ist.

Die Haltung der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaft (momentan Spanien) – dem vierten Teil des neuen Puzzles –, ist für die Situation auch nicht besonders hilfreich. Madrid will nicht vergessen werden und José Luis Rodriguez Zapatero hat es geschafft, dass mehrere Gipfel (beispielsweise der mit den USA und Lateinamerika) in Spanien stattfinden. Und nicht in Brüssel, wie es der neue Vertrag eigentlich vorsieht. Seinen Gästen hat der spanische Regierungschef erklärt, dass es seine Aufgabe ist, die Diskussionen zu leiten…, über die Van Rompuy den Vorsitz hat. Und das obwohl der Vertrag von Lissabon der halbjährlich wechselnden Präsidentschaft keinerlei Vorrechte verleiht.

"Wir haben unsere Präsidentschaft vorbereitet ohne genau gewusst zu haben, wann der Vertrag in Kraft treten wird", rechtfertigt sich Miguel Angel Moratinos. Der leitende spanische Diplomat hätte sich selbst gern auf dem Posten des Hohen Vertreters gesehen. Er geniert sich keineswegs, die Unsichtbarkeit des Van Rompuy-Ashton-Binoms für sich auszunutzen und sich so unentbehrlich zu machen…

Seitenhieb

Nach 20 Uhr antwortet Ashton nicht mehr

"Catherine Ashton macht den Job gerade kaputt", erklärt ein darüber unglücklicher europäischer Diplomat dem Journalisten Jean Quatremer. Der Autor des Blogs Les Coulisses de Bruxelles (In den Brüsseler Kulissen) befürchtet, dass sich die Hohe Repräsentantin "offensichtlich dazu entschieden hat, ihre neuen Funktionen sehr minimalistisch auszulegen. Aus zweierlei Gründen: Zum einen aus Faulheit, zum anderen aus Desinteresse für einen Posten, den sie niemals wirklich wollte. Obwohl sie eigentlich schon seit Ende 2008 ihren Wohnsitz in Brüssel haben müsste – zu dieser Zeit wurde sie zur allgemeinen Überraschung zur EU-Handelskommissarin ernannt –, wohnt sie noch immer nicht in der Hauptstadt der Union. Ihre einziges Anliegen: So oft wie möglich nach London zu fahren und das langweilige Brüssel zu verlassen".

Was die europäischen Parlamentarier angeht, so sind sie über "ihr erstes Scheitern was Haiti anbelangt, alles andere als erfreut. Konservative, Liberale, Demokraten und Grüne haben sich über die Trägheit der europäischen Chefdiplomatin beschwert. Zudem hat sie es abgelehnt, die weltweiten Spitzenpolitiker anzurufen, mit denen sie eigentlich in ständigem Kontakt stehen müsste". Auch hat "sie sich noch nicht um ihren Zugang zum 'Verteidigungsgeheimnis' gekümmert und kann somit auf kein einziges in dieser Kategorie eingestuftes Dokument zugreifen". Abends "nach 20 Uhr ist es unmöglich, sie zu erreichen: Ihre Telefone verbinden den Anrufer dann automatisch mit dem Gemeinsamen Lagezentrum der Europäischen Union…". Diese "Selbstversenkung" des Amtes "erinnert ganz eindeutig an die Doktrin des britischen Außenministeriums. Dieses freut sich darüber, dass seine Partner die Britin in der Hoffnung ernannt haben, man könne das Vereinigte Königreich dem Herzen der Union näher bringen. Jedoch spielt sich gegenwärtig genau das Gegenteil ab. Und es wird auch nicht besser werden, wenn die Konservativen die Wahlen im kommenden Frühjahr gewinnen werden", vermutet Quatremer.

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