Schadenfreude, mon amour

In Spanien steht die Finanzkrise wieder vor der Tür, während die übrigen EU-Länder sich beglückwünschen, dass nicht sie von dem Missgeschick betroffen sind. Diese Schadenfreude könnte Europa ins Verderben stürzen, warnt ein spanischer Politologe.

Veröffentlicht am 13 April 2012 um 15:22

Ganz Europa spricht Deutsch, deshalb kennen auch alle das schöne Wörtchen Schadenfreude. Da es in so gut wie keiner anderen Sprache existiert, ist es als Fremdwort in andere Idiome eingeflossen, denn die Schadenfreude ist natürlich nicht auf deutsche Lande beschränkt.

Man könnte sogar die Behauptung aufstellen, dass Schadenfreude im heutigen Europa das dominante Gefühl ist. Das ergibt sich aus den jüngsten Erklärungen von Mario Monti und Nicolas Sarkozy. Das Missgeschick eines Landes verursacht große Freude in anderen Ländern, die meinen, so ihre eigene Misere exorzieren zu können.

Auch wir sind keine Ausnahme. Wie erleichtert waren wir doch, als die italienische Risikoprämie die spanische überholte, oder als wir glaubten, dass das Unglück Griechenlands uns vor dem Sturz in den Abgrund rettet. Statt unsere gegenseitige Abhängigkeit, unsere Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen, geben wir uns unseren narzisstischen Regungen hin und lassen uns allein von Gefühlen und nicht von der Vernunft leiten.

Die Sucht nach Sündenböcken

Wir bringen Europe negative Gefühle entgegen, die uns davon abhalten, logisch auf die gegenwärtige Lage zu reagieren. Wir sollten bestrebt sein, möglichst effektiv zusammenzuarbeiten und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. In dieser Hinsicht war die Antwort Mariano Rajoys auf die Erklärungen der oben genannten Politiker genau richtig.

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Der Euro hat Vorrang und bei öffentlichen Stellungnahmen ist Besonnenheit angesagt. Jeder muss seine Hausaufgaben machen und Lösungen finden. Selbstverständlich kann es immer Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Wahl oder die Umsetzung der Maßnahmen geben, aber wir können es uns nicht leisten, unser Handeln von Gefühlen bestimmen zu lassen.

Wenn etwas in der Politik Panik erregt, dann sicher die Herrschaft der dunkelsten menschlichen Regungen wie Schadenfreude, unverantwortliche Schuldzuweisungen, die Suche nach Sündenböcken, denen das Unglück aller zuzuschreiben ist. Wir scheinen immer noch Sündenböcke zu brauchen, auf die wir die Schuld abwälzen können. Kein Wunder, wenn wir uns in einen Nationalismus zurückziehen, in dem wir uns immer als Opfer der anderen fühlen.

Schuldzuweisungen sind eine Konstante in der europäischen Geschichte. Beinahe alle Kriege, die auf unserem Kontinent gewütet haben, sind auf die Suche nach einem Sündenbock zurückzuführen. Heute könnte ein großartiges Projekt daran scheitern. Die Versuchung, die Schuld beim anderen zu suchen, nährt unsere niedrigsten und radikalsten Regungen. Populistische Anführer wissen das auszunutzen. Es verheißt nichts Gutes, wenn Marine Le Pen in Frankreich den Umfragen zufolge eine ständig wachsende junge Wählerschaft anzieht und die wichtigsten Präsidentschaftskandidaten die Grandeur de la France im Wahlkampf in den Vordergrund stellen.

Ein europäischer demos

In gewisser Weise ist es natürlich, dass emotionaler Widerstand aufkeimt, sei es auch nur als Kompensation für die Kälte der Märkte, die mit ihrer Gefühllosigkeit tiefe soziale Wunden geschlagen haben, oder als Reaktion auf die Machtlosigkeit im Hinblick auf die Einseitigkeit der vorgeschlagenen Lösungen. Unter den gegenwärtigen Umständen ist ein Gefühl wie Empörung sicher angebracht. Indignation ist immer besser als Angst, die dominante Emotion.

Nicht akzeptabel ist allerdings, dass diese Gefühle uns daran hindern, die richtigen Maßnahmen zu finden. Generell geht es uns besser, wenn gut verstandene Interessen unsere Leidenschaft bändigen. In diesem Augenblick besteht kein Zweifel daran, worin unsere Interessen liegen: mehr Europa und weniger einzelstaatlicher Eigenbrötelei. Genau das Gegenteil dessen also, was die öffentliche Meinung in Europa beherrscht.

In vielen Ländern haben unverantwortliche Politiker und Medien in der permanenten Stimulierung der angeblichen nationalen Wunden ihr Fressen gefunden haben. Dazu gehört auch der Katastrophismus einiger Meinungsführer. So hat zum Beispiel vor einigen Tagen Wolfgang Münchau im Spiegel behauptet, Spanien sei heute in der Lage, in der Griechenland vor zwei Jahren steckte. Damit legt er den Grundstein für eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Unter solchen Umständen gibt es keinen Ausweg aus der Krise. Es wird bald kein Europa mehr geben, wenn wir länger zögern und nicht entschlossen den Weg zum Aufbau eines europäisches demos beschreiten. Es ist nicht auszuschließen, dass Europa uns kalt lässt, dass wir für Europa nicht dieselbe Zuneigung wie für unser Land empfinden. Aber es war noch nie so wichtig, dass wir unsere Gefühle zügeln und unseren Interessen Vorrang einräumen. Gefühle und Interessen, das ist das Leben!

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