Statistiknebel im Kampf gegen CO2

Der EU-Plan zur Reduzierung von CO2-Emissionen wird als das anspruchsvollste Vorhaben seiner Art gepriesen. Doch unklare Kriterien und eigenwillige Buchführung stellen den Erfolg der bisher unternommenen Schritte in Frage.

Veröffentlicht am 20 April 2012 um 10:08

Die EU genießt auf der internationalen Szene des Klimawandels viel Ansehen. Beim Gipfeltreffen in Durban hat sie einen Leitplan bis zu einem zweiten Kyoto-Abkommen durchgedrückt und hat standgehalten, bis die Fluggesellschaften weltweit zu einem Emissionshandelsprogramm gezwungen wurden.

Mehr als alles andere hat sie ihren guten Glauben mit einem zukunftsweisenden eigenen Klimaschutzpaket bewiesen: „20-20-20“. Die EU hat sich verpflichtet, bis 2020 ihre Treibhausgasemissionen um 20 Prozent zu senken (im Vergleich zum Stand von 1990) und den Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energiebedarf auf 20 Prozent zu erhöhen. Weiter hat sie sich freiwillig zum Ziel gesetzt, die Energieeffizienz im Vergleich zu 2005 um 20 Prozent zu verbessern und bis zum selben Jahr zehn Prozent ihrer Transportkraftstoffe aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen.

Die Klima- und Umweltabteilungen der EU sind mit einigen der talentiertesten, engagiertesten Naturfreunde besetzt, die man sich vorstellen kann. Was wird, wenn die Ziele, auf die sie hinarbeiten, aus Gründen politischer Zweckdienlichkeit durch eine Kultur der kreativen Buchführung um jegliche Glaubwürdigkeit gebracht werden?

Die Haken am 20-20-20

Hinsichtlich der drei 20-Prozent-Ziele der EU für 2020:

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• Die Emissionsreduzierungen werden am Produktionsort und nicht am Verbrauchsort gezählt. Somit können schätzungsweise sieben Prozent der europäischen Kohlenstoffemissionen durch den internationalen Handel mit Entwicklungsländern in diese ausgelagert werden. Dieses Versäumnis ist auf die Buchhaltungsregeln des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC - Weltklimarat) zurückzuführen und nicht auf die aus Brüssel. Doch die EU-Mitgliedsstaaten klammern sich an diesen Regeln fest, die doch alle gemeldeten CO2-Senkungen in Frage stellen.

• Die angegebene zusätzliche Aufnahme erneuerbarer Energien wird voraussichtlich zur Hälfte auf Biomasse beruhen. Doch manche Wissenschaftler befürchten, dass letztere die effektiven Emissionen womöglich gar nicht reduziert, obwohl Brüssel sie mitzählt. Biomasse kann – und könnte in den meisten Fällen tatsächlich – aus nicht nachhaltiger forstwirtschaftlicher Nutzung in Europa und Drittländern stammen und somit die Emissionen eher erhöhen anstatt sie zu reduzieren. Wenn die EU so weitermacht wie bisher, dann könnten ihre hiebsreifen Holzbestände schon vor 2020 enden. Angeblich soll sie auf die Energieeinsparungen bauen, um Europas allgemeinen Energieverbrauch zu senken.

• Was die Zielsetzungen in der Energieeffizienz betrifft, so sind diese allerdings nicht bindend und werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eingehalten werden. Die EU steuert derzeit auf Energieeinsparungen von rund neun Prozent zu – noch nicht einmal die Hälfte des angeführten Ziels. Und sogar wenn die Beamten zum Nachhelfen die paar dürftigen Maßnahmen der Richtlinie zur Energieeffizienz ausweiden, drängen die EU-Staaten auf frühzeitige Emissionsminderungen („Early Actions“), damit sie „doppelt zählen“.

Wie griechische Konten

Was das andere Ziel der Kommission – den zehnprozentigen Anteil erneuerbarer Energien an Transportkraftstoffen – betrifft, so werden zum Großteil herkömmliche Biokraftstoffe herangezogen werden. Dabei weisen die eigenen Forschungsergebnisse der EU darauf hin, dass dies die Emissionen wahrscheinlich überhaupt nicht mindern wird, trotz der horrenden Kosten des Programms. Die Wissenschaftler geben auch hier die Schuld wieder der „Doppelzählung“ der Emissionen. Manche Kommissionsbeamte sind über die Konsequenzen beunruhigt.

Die EU ist ein Vorreiter in der globalen Klimapolitik und hat die anspruchsvollsten Klimaschutzziele der Welt: eine Kürzung der CO2-Emissionen um 80-95 Prozent bis 2050, gemessen am Stand von 1990. Noch in diesem Jahr will Brüssel neue vorläufige Zwischenziele für 2030 und möglicherweise 2040 ankündigen. Der Rest der Welt wird zweifellos gespannt zusehen – oder entsetzt darauf warten, dass die Pläne zunichte gehen.

Doch das ist der Grund, warum man sich mit jeglichen Befürchtungen einer Parallelentwicklung zum Kollaps der Eurozone gleich heute auseinandersetzen muss. Damals vergaben die EU-Buchhalter faule Darlehen über Milliarden von Euro an Länder wie Griechenland, die ihre Staatsfinanzen so zurechtgemacht hatten, dass sie den Kriterien scheinbar entsprachen, obwohl das nicht der Fall war. Griechische Zahlenakrobaten nutzten angeblich eine bekannte Lücke im Buchführungssystem der EU, um die Statistiken „auszutricksen“.

Wenn eine ähnliche Kultur der zweideutigen Buchführung heute in der Kommission und bei den EU-Mitgliedsstaaten im Spiel ist, dann könnte das möglicherweise dazu beitragen, ein ebenso katastrophales Versagen dieser Politik zu erzeugen, selbst wenn es nicht sofort bemerkbar ist.

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