Bio fällt auf fruchtbaren Boden

Verführerisch günstiges Ackerland lässt sie nicht lange zögern: In Rumänien bauen sich immer mehr Europäer ihre eigenen Landwirtschaftsbetrieb auf und tragen zur Modernisierung der Lokalkultur bei, insbesondere im Bio-Bereich.

Veröffentlicht am 30 April 2012 um 10:26

Mit dem Abi in der Tasche beendete der damals 19jährige M. 2009 seine Ausbildung im landwirtschaftlichen Gymnasium von Nermont Châteaudun (Eure-et-Loir). Einen Monat später belud er die letzten Lastwagen mit landwirtschaftlichen Geräten. Dann ging es auf nach Rumänien. Ganz genau Richtung Macesu de Sus, ein Dorf im Südwesten des Landes.

Neues Bio-Eldorado

M. ist alles andere als ein Einzelfall: Mit seinen 15 Millionen Hektar Ackerland ist Rumänien auf dem besten Weg, zum neuen Eldorado europäischer Bauern zu werden. Tausende Franzosen, Italiener, Spanier, Briten, Deutsche und Dänen packen ihre sieben Sachen und begeben sich auf die Reise in dieses Land, das seit 2007 zur EU gehört. Dort wollen sie ihre Agrarbetriebe ansiedeln.

Schon als Kind wollte M. auf dem Land arbeiten. Was hätte er sich besseres erträumen können? „Mit 19 Jahren führte ich hier ein ganzes Gut von mehr als 1.400 Hektar. Um in Frankreich das zu erreichen, was ich in Rumänien in drei Jahren geschafft habe, hätte es zwei oder drei Generationen gebraucht.“

In Macesu de Sus baut er Weizen, Gerste, Sonnenblumen und Raps an. Und er will hoch hinaus. Schon bald will er von den Geldern der Europäischen Kommission zu profitieren, die Rumänien eine Verjüngungskur verpassen sollen. Sollte sein Projekt durchkommen, könnte er die Lagerkapazität um 7.000 Tonnen steigern und zusätzliche 500 Hektar bewässern.

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Er bereut nichts. Auch wenn es hin und wieder Schwierigkeiten gibt. „Die ersten Monate war ich ein bisschen überfordert“, gibt er zu. „Wäre ich aber in Frankreich geblieben, was würde ich heute machen? Ich hätte studiert und würde für 1.200 Euro im Monat arbeiten. Ist die Miete bezahlt, hast Du gegessen und Dich gekleidet, dann bleibt am Ende des Monats nichts mehr übrig. Das ist doch kein Leben.“

Landwirtschaft wächst Hektar um Hektar

Durchquert man Rumänien, trifft man unweigerlich auf diese Bauern aus dem Westen, die hier die Landwirtschaft neu erfinden. Dank ihrem Know-how und ihren Investitionen, ist das Wachstum im landwirtschaftlichen Sektor in Rumänien allein 2011 um elf Prozent gestiegen. Und das ist erst der Anfang. Das ist das Aus brachliegender Felder und scheinbar verwahrloster Landstriche.

Momentan kostet der bebaubare Hektar Acker in Rumänen durchschnittlich 2.000 Euro. Im europäischen Vergleich ein unschlagbarer Preis. Für jeden Hektar gibt es 180 € EU-Subventionen, d. h. die Hälfte dessen, was man in Westeuropa bekommt. Ab 2014 aber werden Ost- und Westeuropa im Rahmen der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) angeglichen.

Um in Rumänien zu kaufen muss ein westlicher Landwirt im Land ein Unternehmen gründen. Ab 2014 aber wird jeder EU-Bürger direkt Boden erwerben können. Aus diesem Grund haben es die Bauern mit dem Kauf besonders eilig. Schließlich werden Spekulanten schon bald dafür sorgen, dass die Preise explodieren.

Am ungeduldigsten sind die Schweizer. Sie können es sich nicht mehr leisten, mehrere zehntausende Euro für einen Hektar schweizerisches Land auszugeben. Vor etwa zehn Jahren kamen die Hanis aus dem Kanton Luzern nach Firiteaz, einem kleinen Dorf im Westen des Landes. Mit der ganzen Familie: Vater, Mutter, zwei Kinder und deren Enkelkinder. Hier kauften sie 800 Hektar Land.

Europas einstige Kornkammer füllt sich

„In Westeuropa gibt es für junge Leute keinen Platz mehr“, bedauert der 29jährige Christian Hani. „Hier können wir aus dem Nichts wirklich etwas aufbauen. Für uns junge Menschen ist es sehr wichtig, etwas Neues zu schaffen.“

In Westeuropa boomt der Bio-Markt und Familie Hani gehen regelmäßig die Vorräte aus. Aus der Schweiz importierten sie alle notwendigen Geräte, um ökologischen Landanbau in großem Stil zu betreiben.

„Bisher kam das Getreide, das wir hier anbauen, aus Kanada, den USA und China“, erklärt Lukas Kelterborn, ein deutscher Marketingexperte, der nun für die Hanis arbeitet und sich um den Verkauf ihrer Ernten kümmert. „Es ist doch normal, dass wir versuchen, sie in Europa zu produzieren. In Rumänien gibt es außerordentliche Möglichkeiten. Man darf nicht vergessen, dass dieses Land zwischen den zwei Weltkriegen einst die Kornkammer Europas war. Und es ist auf dem besten Weg, genau das wieder zu werden.“

Daran glaubt auch M., in Macesu de Sus. Mit seiner rumänischen Lebensgefährtin wird er auf seinem Grundstück ein Haus bauen. Im Dorf hat er bereits eins und in der Nachbarstadt Krajowa eine Wohnung.

„In Rumänien kann ich mein Leben viel flexibler gestalten. Und ich entdecke Bräuche, die wir in Frankreich längst vergessen haben“, erklärt er. „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie ein Schwein oder ein Schaf zerlegt. Die Rumänen auf dem Land machen das noch immer... In Frankreich ist niemand mehr an irgendjemanden gebunden. Ich bin wirklich glücklich hier.“ Bauernspruch.

Aus Rumänien

Kornkammer oder Wüste Europas ?

Im Westen ist eine agrochemische Untersuchung des Bodens die unerlässliche Bedingung für jeden Landwirt, der eine Parzelle mit Düngemitteln anreichern will. „Das war auch in Rumänien der Fall, doch nach der Revolution von 1989 führte die Aufsplitterung des Bodens [nach der Kollektivierung des kommunistischen Regimes] zu einer absurden Situation“, berichtet România libera. „Ein kleiner Landwirt zahlt 15-mal mehr für die Analyse als ein großer Grundbesitzer.“

Daher wurden „nur auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche agrochemische Untersuchungen durchgeführt, wobei es sich um Grundstücke handelt, die von Großgrundbesitzern oder Ausländern erworben wurden. Letztere haben bereits ein Viertel der bebaubaren Fläche aufgekauft“, berichtet die Tageszeitung aus Bukarest. Die Folge: Der Boden bringt weniger, wird unfruchtbar. „In diesem Rhythmus läuft Rumänien Gefahr, zur Wüste zu werden und nie die potenzielle Kornkammer Europas zu sein“, bedauert RL.

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