Wahlplakat von François Hollande in Paris, Ende April.

François Hollande: der Traum und die Wirklichkeit

Der Kandidat der Sozialisten ist Präsident. Eine „gigantische Freude“, für die linksliberale Tageszeitung, die im Wahlkampf deutlich Stellung bezogen hatte. Die Zukunftsaussichten sind vielversprechend, auch wenn die „Gnadenfrist“ angesichts der Krise nicht lange anhalten wird.

Veröffentlicht am 7 Mai 2012 um 11:31
Wahlplakat von François Hollande in Paris, Ende April.

Freude. Gigantische Freude. Darüber, dass ein Strich gezogen wird, wir vom Fluch befreit werden. Und wie! François Mitterrand war also kein historischer Unfall, sondern der erste sozialistische Staatspräsident. Nun gibt es einen zweiten: François Hollande.

Für die französische Linke haucht 2012 dem Jahr 1981 neues Leben ein. Seine vergilbten Bilder – sie schienen in die Geschichtsbücher verbannt – bekommen neuen Glanz. Wie auch die persönlichen Erinnerungen der Alten oder der Jungen, die einige von uns damals waren. 2012 löscht auch den 21. April 2002 aus [als der Rechtsradikale Jean Marie Le Pen auf Kosten der Sozialisten in der Stichwahl um die Präsidentschaft stand]. Dieses Brandmal, diese Wunde. Damals wurde die Linke von der politischen Bühne gefegt. Zehn Jahre danach scheint das Trauma von damals behoben.

Was bedeutet es, links zu wählen? Dass man trotz unserer modernen, individualisierten Gesellschaften an so etwas wie ein „wir“ glaubt; dass Ideen wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Gemeinnutz und Solidarität das öffentliche Leben bestimmen sollen; so wie die Institutionen und öffentlichen Einrichtungen, die vom Nationalen Widerstandsrat gegründet wurden. Einrichtungen, die es vor uns gab, die uns prägen und uns überdauern werden; dass es also möglich ist, gegen die Werte einer Epoche anzukämpfen, um das, was uns zusammenhält, mit Leben zu füllen, anstatt dem scheinbar vorgeschriebenen Weg zu folgen; dass jeder von uns auf seine feine innere Stimme hört und nicht nur lebt, um seine individuellen Interessen wahrzunehmen.

Im angeschlagenen Frankreich hätte die Wahl anders ausfallen können. Man hätte sich dafür entscheiden können, sich hinter gespenstischen Grenzen zu verbarrikadieren und in der Vergangenheit zu schwelgen. François Hollandes Sieg beweist demnach, dass das Land auf Hoffnung setzt, dass es nach vorn schaut. Nicht zurück. Genießen wir diesen Augenblick, in dem ein Volk eine solche Entscheidung trifft. Wagen wir den Blick in die Zukunft. Schließlich ist sie es, die nun zur Aufgabe François Hollandes wird.

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Natürlich muss das Land verarztet werden. Selbstverständlich muss die Gesellschaft wieder zu Kräften kommen. Ganz offensichtlich müssen Missstände beseitigt und gleiche Zukunftschancen für alle Franzosen geschaffen werden. Ganz gleich was sie tun und woher sie kommen. Damit all das geschehen kann, muss vor allem eine Sache gestaltet werden: Die Zukunft.

Frankreich muss beweisen, dass es noch andere Trümpfe in den Händen hält, als sein Kulturerbe, seine Geschichte und seine einstige Größe. Es muss zeigen, dass es seine Zukunft fest in den Händen hält und sich neu erfinden kann.

Und auch wenn dieses noch unbeschriebene Blatt aus unterschiedlichen Gründen unheimlich scheint, so muss es doch von nun an mit viel Leidenschaft beschrieben werden. Entschlossen und selbstsicher, um diese Wahl nicht zu enttäuschen, und das Vertrauen, das sie in die Fähigkeit der Politik hat, die Dinge zu verändern, wenn sie schon nicht das Leben ändern kann [„Das Leben ändern“ war ein Slogan von François Mitterrand].

Doch ist das erst der Anfang. Und bereits morgen wird es mühsam werden. Am heutigen Tag sollte aber die Freude überwiegen: Seid glücklich und genießt diesen schönen Monat Mai in vollen Zügen.

Kontrapunkt

Europäische Krise verhindern

François Hollande „ist der Präsident aller Franzosen“, gesteht Le Figaro ein und schreibt: „So will es die Demokratie. Wir begrüßen diese Wahl demnach als Ausdruck dessen, was die Mehrheit will und heißen den Herrn Präsidenten folglich herzlich willkommen.“ Für die Tageszeitung, die Nicolas Sarkozy vorbehaltlos unterstützte, wird

die Geschichte über seine fünfjährige Amtszeit richten und dabei nicht vergessen, dass er der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten fünfzig Jahre die Stirn bot und dennoch tiefgreifende Universitäts-, Forschungs-, Justiz- und Rentenreformen auf den Weg brachte, die Staatsausgaben reduzierte und die Bürgerrechte erweiterte... Darüber hinaus verteidigte er Frankreich stets und stolz auf der internationalen Bühne und beeinflusste die EU- und Euro-Rettungsschirme maßgeblich.

Für den neuen Präsidenten haben vor allem Wachstum und Ausgleich absolute Priorität, berichtet Le Figaro und fügt hinzu:

Viele unserer Partner teilen diese Einstellung. Auch Frau Merkel. Allerdings wird man sich erst einmal auf die Einzelheiten dieses Wachstums einigen und sich dennoch auf notwendige Strukturreformen einlassen müssen. Zudem wird man Steuern nicht einfach hinaufschrauben können, um Sparmaßnahmen zu umgehen. Nichts ist möglich, solange Europa nicht zustimmt. Und um die EU zu überzeugen sollte man besser von der seltsamen Idee ablassen, den Stabilitätspakt neu aushandeln zu wollen und einen Wachstumszusatz in Kauf nehmen. Damit würde man dem Risiko einer neuen Krise in Europa entgehen.

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