Nachrichten Krise in der Eurozone

Lasst uns amerikanischer sein

Die Griechenland-Krise und das mangelnde Durchsetzungsvermögen der EU-Führungsspitzen haben die eigentliche Herausforderung für die Zukunft der EU in den Hintergrund gedrängt. Im Gegensatz dazu haben die Vereinigten Staaten von Amerika effiziente Lösungen gefunden. Für einen tschechischen Kolumnisten ist es höchste Zeit, sich davon inspirieren zu lassen.

Veröffentlicht am 18 Mai 2012 um 13:49

Am 6. Mai rangen sieben Parteien um die Sitze im neuen griechischen Parlament. Vier von ihnen – drei aus dem linken, eine aus dem rechten Flügel – hätten den Stempel ‚extremistisch’ verdient - zumindest in der sonstigen europäischen Parteinelandschaft. Nachdem die Regierungsbildung gescheitert ist, werden die Griechen [am 17. Juni] erneut abstimmen. In der Zwischenzeit wird ihrem reformschwachen Land aber das Geld ausgehen und ein Austritt aus der Eurozone immer unvermeidbarer werden.

Europäische Politiker, darunter der neue französische Staatspräsident François Hollande, werden so geradezu dazu genötigt, Entscheidungen zu treffen, auf die sie selbst kaum oder gar keinen Einfluss haben. Zum dritten Mal in Folge (zuletzt im Herbst 2009) werden die EU-Politiker zum Löschen eines Brandes herbeieilen, statt im Vorfeld dafür gesorgt zu haben, dass er gar nicht erst ausbricht. Griechenlands gewaltigstes Problem, dass man durch ein kontrolliertes Insolvenzverfahren schon längst hätte lösen können, hält die EU-Führungsspitzen nun davon ab, strategische Fragen zur zukünftigen Entwicklung ganz Europas zu beantworten.

Begehen die Griechen wirtschaftlichen Selbstmord?

Für Europas Wohlstand wird langfristig nicht so sehr entscheidend sein, ob die Griechen – mithilfe von demokratischen Wahlen – wirtschaftlichen Selbstmord begehen, sondern welcher Mix aus Wachstumsförderung und Sparmaßnahmen gefunden wird. Scheint so als nähere sich Europa dem, was es bereits vor langer Zeit hätte tun sollen: Griechenland zum Austritt aus der Eurozone zu bewegen.

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Im Gegensatz dazu waren die Amerikaner, die eine ähnliche Krise durchmachen, in der Lage, schnelle und maßgebliche Entscheidungen zu treffen: Um ihre Volkswirtschaft zu retten, halfen sie dem Bankensektor und den wichtigsten Unternehmen, insbesondere in der Automobilindustrie. Das zügige Handeln hat sich gelohnt. Während wir in Europa uns noch immer im Kreis drehen, wurden die staatlichen Rettungspakete [in den USA] bereits zurückgezahlt und auch Detroit wiederbelebt.

Die Amerikaner wagten den Blick in die Zukunft und trafen eine Entscheidung. In Europa, wo man vor einer vergleichbar großen Herausforderung steht, läuft man dagegen nur im Zickzack. Mitten in einer europaweiten Integrationskrise führen wir ein ganz anderes Leben als das, was sich der amerikanische Intellektuelle Robert Kagan vor genau zehn Jahren in seinem Essay Of Paradise and Power: America and Europe in the New World Order ausmalte [deutscher Titel: Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung]: „Amerikaner sind vom Mars, Europäer von der Venus“.

Amerikaner sind einfach flexibler, handlungsorientierter und bessere strategische Denker

Folglich gibt es also auch grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüber, wie langfristige Probleme gelöst werden müssen: Amerikaner finden schnelle und kämpferische Lösungen, um ihre Gesellschaft, ihren way of life und die Stabilität ihres politischen Systems vor gefährlichen Problemen zu bewahren. Übrigens ist das auch der eigentliche Grund dafür, dass Europäer vor schnellen und langfristigen Lösungen zurückschrecken: Seit dem Krieg leben sie umgeben von einem selbstkonstruierten und kompliziert verschalteten Schutzmantel aus Europäischer Konstruktion und Wohlfahrtsstaat.

Europäer fangen gerade erst an, zu begreifen, dass sie ihr Leben in Zukunft irgendwann unter einer gemeinsamen Fahne riskieren und gemeinsame Steuern zahlen könnten. Dabei könnte gerade das dafür sorgen, dass die Union demokratischer wird. Schließlich hätten Steuerzahler dann ein Recht darauf, Brüssels Ausgaben genauer unter die Lupe zu nehmen.

Doch ist die Ära der Nationalstaaten als wesentliche Funktionseinheiten auf dem europäischen Kontinent noch lange nicht vorbei. Die gegenwärtigen und immer wiederkehrenden Schwierigkeiten in der Eurozone dürften allerdings dafür sorgen, dass von nun an langfristiger geplant wird.

Solidarität hat in Europa zwei Seiten. Und das muss auch so sein.

Im Vorfeld des Nato-Gipfels (am 20. und 21. Mai in Chicago) wird sicherlich viel über den Zustand der transatlantischen und die Risse in den euro-amerikanischen Beziehungen diskutiert werden. In diesem Kontext lohnt es sich, an Kagans angestaubte Idee zu erinnern und diese auf die Wirtschaftspolitik anzuwenden: Amerikaner sind einfach flexibler, handlungsorientierter und bessere strategische Denker.

Will die Europäische Union als globaler und wettbewerbsfähiger Akteur überleben, bleibt ihr nur eine Lösung: Innerhalb der Grenzen ihres komfortablen Sozialstaats und der vierjährigen Legislaturperioden muss es ihre kurzfristig ausgelegte strategische Denkweise ändern. [Die EU] braucht Visionäre, die für immer mehr Integration der europäischen Territorien eintreten, die aufzeigen, wo und wie investiert und für mehr Konkurrenzfähigkeit gesorgt werden kann.

Zudem muss [die EU] denjenigen, die gemeinsame Ziele behindern, klipp und klar sagen, dass sie bereit ist, auch ohne sie Wohlstand zu schaffen, zumal es sich dabei um ihre freie und demokratische Entscheidung handelt.

Solidarität hat in Europa zwei Seiten. Und das muss auch so sein. Nur dann kann die Europäische Union sich weiterentwickeln.

Übersetzung: Julia Heinemann

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