Nachrichten Krise in der Eurozone
Deutschland gewinnt nicht immer. Die G8-Staats- und Regierungschefs schauen sich das Champions-League Finale Bayern München gegen den FC Chelsea an.

Isoliert die Deutschen nicht

Indem sie den Rettungsschirm für die krisengeschädigten Länder der Eurozone unterstützte, ging Angela Merkel schon sehr viel weiter als es ihre Wähler gerne sehen. Die Euro-Bonds, die der neue französische Staatspräsident François Hollande erzwingen will, sind aber wohl ein Schritt zuviel.

Veröffentlicht am 22 Mai 2012 um 15:13
Deutschland gewinnt nicht immer. Die G8-Staats- und Regierungschefs schauen sich das Champions-League Finale Bayern München gegen den FC Chelsea an.

Immer mehr Menschen bezichtigen die Deutschen der Selbstgefälligkeit und der Gleichgültigkeit gegenüber der Krise der Eurozone. Ihnen wird die endgültige Niederlage des FC Bayern in der Champions League – gegen das als Chelsea FC bekannte russische Protektorat – ein gewisses Maß an Schadenfreude bereitet haben.

Bei Spielbeginn wurde in der Münchner Allianz Arena ein großes Banner ausgebreitet, mit der Aufschrift „Unsere Stadt, unser Stadion, unser Pokal“. Das Sprachrohr der Bayern, die Süddeutsche Zeitung, hatte vor dem Spiel die Vorhersagen von nicht weniger als 56 „Experten“ veröffentlicht und zu ihrer großen Zufriedenheit hielten alle 56 den Bayern-Sieg für so gut wie sicher.

Fassungslose Gesichter im feierlichen Ambiente

Ich gebe zu, dass ich nach dem Spielergebnis nicht widerstehen konnte und mich auf der Website der Süddeutschen einloggte, um die Depesche ihres Reporters zu lesen. Aus dem Ballsaal im Münchner Hotel Postpalast, in dem 800 geladene Gäste Bayerns unausbleiblichen Sieg feiern wollten, schrieb er: „Eine furchtbare Stimmung herrscht – fassungslose Gesichter im feierlichen Ambiente.“ Nun, es ist ja nur ein Spiel. Im Gegenteil zum Kampf um die Aufrechterhaltung des Euro, in welchem Deutschland beschuldigt wird, gegen die anderen Währungsteilnehmer zu spielen. Dabei müsste es doch erkennen, dass alle zur selben Mannschaft gehören.

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Beim G8-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Washington wurde die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in der Tat auf den heißen Stuhl gesetzt, während alle anderen, angefangen bei Obama, ihr nacheinander zuredeten, sie solle doch dem Launch der so genannten Euro-Bonds zustimmen und somit die deutschen Steuerzahler effektiv für die hohen Schulden des einheitlichen Währungsgebiets bürgen lassen.

Die Deutschen werden immer zorniger

Sieht man einmal davon ab, dass das deutsche Verfassungsgericht seiner Regierung verboten hat, etwas derartiges jemals zu tun, wäre es für die deutsche Öffentlichkeit sowieso völlig inakzeptabel – wie für jede souveräne Bevölkerung in einer ähnlichen Lage. Merkel hat überhaupt schon viel mehr Garantien gegeben als ihren Wählern recht ist.

Die Deutschen werden immer zorniger bei dem Gedanken, dass sie ihre Renten riskieren sollen, anstatt Druck auf ihre weniger vorsichtigen Nachbarn auszuüben, damit diese „verantwortungsvoll handeln“. Es wäre in der Tat kaum überraschend, wenn der inländische Druck dazu führen würde, das Deutschland aus dem Euro austritt und zu seiner Landeswährung zurückkehrt.

Das politische Establishment in Berlin würde eine solche Kehrtwendung niemals dulden, obwohl sie wahrscheinlich der gesündeste Ausweg sowohl für Deutschland als auch für das restliche Europa wäre: Die in Euro berechneten Schulden von Ländern wie Spanien, Portugal und Italien würden abgewertet, wodurch die Wahrscheinlichkeit eines völligen Zahlungsausfalls zurückginge. Unterdessen bliebe Deutschland nach wie vor ein ausnehmend erfolgreiches Exportland, sogar mit einer viel stärkeren Währung: ganz wie vorher, bevor sich der Euro durchsetzte – entgegen der düsteren Warnungen der Bundesbank, deren Wirtschaftsexperten immer schon verstanden haben, dass eine Währungsunion ohne gemeinsame europäische Bundesregierung zum Auseinanderbrechen verurteilt ist.

Das durchaus Ironische an den aktuellen diplomatischen Tiraden gegenüber Berlin ist, dass die einzige Alternative zum Zusammenbruch eine Vormachtstellung Deutschlands innerhalb Europa wäre, was bei den Nachbarn im Süden noch mehr anti-deutsche Emotionen auslösen würde. Vielleicht wichtiger noch: Deutschland war sich seines eigenen historischen Rufs als Möchtegern-Herrscher über Europa schmerzhaft bewusst und willigte wohl auch deshalb ein, die starke D-Mark aufzugeben.

Erst jetzt geben die spanischen Banken zu, wie faul ihre Kreditbestände sind

Es stimmt natürlich, dass die deutschen Exporteure viel daran gewonnen haben, in ganz Europa und mit einer gemeinsamen Währung mit ihren wirtschaftlich weniger fortgeschrittenen Nachbarn Handel treiben zu können. Das konventionelle wirtschaftliche Argument lautet, dass die dadurch angehäuften, hohen Überschüsse ja irgendwo bleiben mussten und dass sich dieses „irgendwo“ in ähnlich hohen Krediten an souveräne und private Kreditnehmer in der restlichen Eurozone ausdrückt. Demnach, so geht das Argument weiter, liegt es in Deutschlands Interesse, sein Möglichstes zur Rettung dieser Länder zu tun, will es nicht unzählige Milliarden an investierten Mitteln einbüßen, die es sonst nicht zurückerlangt.

Rein buchhalterisch ergibt das durchaus Sinn. Doch so wie es damals lächerlich schien, Peking dafür verantwortlich zu machen, dass amerikanische Banken Chinas hohe Dollar-Überschüsse mit verrückt-spekulativen Bauprojekten in Florida und Kalifornien wieder in Umlauf brachten, so ist es auch heute seltsam, zu glauben, Berlin sei für die ganze spanische Immobilienblase irgendwie moralisch verantwortlich. Es wäre ebenso töricht, sich vorzustellen, dass die schlimmsten Bankpraktiken nicht zum Weitermachen animieren würden, falls die Deutschen einen großen Teil dieser Verluste mittels ihrer eigenen Steuerzahler „verstaatlichen“: Erst jetzt geben die spanischen Banken zu, wie faul ihre Kreditbestände sind, lange nachdem die Amerikaner es eingestanden haben.

Einer unserer eigenen Politiker, Nick Clegg, dachte einst, dieses Land sei verrückt, nicht am Euro teilzunehmen, und drängte gestern die Deutschen, die Euro-Bonds doch abzusegnen und somit die Schulden des Kontinents zu sponsern – mit dem korrupten Griechenland und allem Drum und Dran. Er erklärte einem Spiegel-Reporter gegenüber, eine solche Vorgehensweise sei „unvermeidlich“, obwohl die deutschen Steuerzahler „natürlich nicht gern Zahlmeister von Europa sind“. Wozu der Interviewer des britischen Vize-Premiers fragte: „Wer soll das der deutschen Öffentlichkeit erklären?“

In der Tat. Und gibt nicht in jedem Fall der Zahlmeister den Ton an? Will Europa das wirklich? Deutschland will es nicht – und hat damit durchaus Recht.

Aus deutscher Sicht

Angela Merkel immer einsamer

Die Stimmung vor dem EU-Sondergipfel am 23. Mai beschreibt die Süddeutsche Zeitung mit folgenden Worten: „Es wird einsam um Angela Merkel“. Laut der Tageszeitung

bringt Merkel mit ihrer Sparpolitik und ihren Rezepten zum Schuldenabbau immer mehr Länder gegen sich auf. Vor dem Sondergipfel in Brüssel lässt kaum jemand Zweifel daran, dass die Welt von den Deutschen mehr Einsatz verlangt. [...]Der neue französische Präsident François Hollande soll die Wende weg vom Sparen durchsetzen. Unmittelbar vor dem Sondergipfel an diesem Mittwoch in Brüssel scheint Merkel allein zu stehen - gegen den Rest der Welt. Hier die verbissene Sparerin, dort die engagierten Wachstumsbefürworter. Doch dieser Schein trügt. [...] Trotz sprudelnder Steuereinnahmen nimmt die Regierung in Berlin jedes Jahr neue Schulden auf; der Schuldenberg wächst unvermindert. Deutschland zählt zu den Rekordschuldnern des Euro-Klubs.

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