Mitglieder einer Blaskapelle stimmen in Bayrischzell (Bayern, Deutschland), 7. Juni 2009 (AFP)

Lokales Votum in globalisierter Welt

Weder Kandidaten noch Wählern ist es gelungen, die größten supranationalen Wahlen der Geschichte zu einer gemeinsamen Abstimmung zu machen. Schade, bedauert El Pais, denn globale Probleme erfordern immer häufiger Antworten, die Grenzen überschreiten.

Veröffentlicht am 8 Juni 2009 um 15:57
Mitglieder einer Blaskapelle stimmen in Bayrischzell (Bayern, Deutschland), 7. Juni 2009 (AFP)

Das Spiel hat nicht in Europa stattgefunden. Leider haben wir an 27 Heimspielen teilgenommen, die auf lauter kleinliche Strategien folgten und die internationale Position Europas nur verschlimmern. Die Ergebnisse der EU-Parlamentswahlen bestätigen das mangelnde Interesse der Wähler an einer Wahl, die sie für fernliegend und unnötig halten: Geringe Wahlbeteiligung gleichgültiger Bürger; Einsatz der Wahlstimmen zum Rupfen nationaler Hühnchen, wie bei einer zweiten Parlamentswahlrunde; Aufstieg der Extremisten, so z.B. die antieuropäische und ausländerfeindliche Freiheitspartei von Geert Wilders in den Niederlanden, die über 15 Prozent der Stimmen einheimste; Implosion von Gordon Browns britischer Labour-Partei, mit der möglichen Folge, dass in die Downing Street Nummer 10 vielleicht schon vorzeitig die konservativen Tories von David Cameron einziehen, die eine Volksabstimmung über Großbritanniens Beziehung zur EU versprochen hatten; Triumph der Opposition in Irland, wo die Wahl die Regierung für die Wirtschaftskrise ahndet; oder wie in Deutschland eine Generalprobe vor den Parlamentswahlen im September. Lauter nationale Listen und nationale Probleme für eine Wahl, die weiterhin – zu Unrecht – als zweitrangig betrachtet wird, als unfähig, die konkreten, allgemeinen Probleme eines Europas zu lösen, das in den Augen der Bürger nicht mehr Gewicht hat als seine einzelnen Bestandteile.

Die große Ansprache, mit welcher US-Präsident Obama in Ägypten für eine einheitliche Welt plädierte, in der das Gemeinwohl von allen gemeinsam erzeugt würde, steht stark im Kontrast zu Europas bleiernen Füßen. Die im Abstieg begriffenen Vereinigten Staaten tauchen wieder auf der internationalen Szene auf, mit einem universalen Diskurs im Nahen Osten, praktisch in Europas Hinterhof. Auf Staatsbesuch in Deutschland rief Obama im KZ Buchenwald zum Ende der ethnischen und religiösen Verfolgungen auf. Dies sind doch auch europäische Werte. Gewiss, es handelt sich nur um eine Rede, deren konkrete Anwendungen noch nicht zu sehen sind, doch sie verleiht die nötige Stimulierung und Inspiration. In Europa gibt es keine derartigen Plädoyers. Und keine Persönlichkeit, die sie verkörpern könnte. Jetzt wird uns vorgeschlagen – und nicht nur von der europäischen Rechten –, Barroso solle weiterhin die Kommission leiten, und es sieht ganz so aus als werde Tony Blair einstimmig als erster permanenter EU-Präsident gehandelt.

Am 7. Juni triumphierten lokale Angelegenheiten. Weder die Politiker, die es nicht verstehen, noch die Bürger, die sich aus Furcht vor der Rezession ins Altbekannte flüchten, sind sich bewusst, dass es für internationale Probleme keine nationalen Lösungen geben kann. Keine der heutigen wesentlichen Herausforderungen, ob die Klimaveränderungen, die Energiethematik oder die Immigration, kann auf nationaler Ebene geklärt werden. Wir haben eine Chance verpasst: die größte länderübergreifende Wahl der Geschichte, bei der rund 380 Millionen Europäer für 736 Mitglieder eines supranationalen Parlaments wählen konnten. Die einzige europäische Institution, deren Mitglieder von allen Bürgern gewählt werden, deren Kompetenzen sich ständig weiter entfalten, die ein Budget von 116 Milliarden Euro verwaltet und die am Ursprung von 70% der Gesetze steht, die uns alle betreffen. Doch eine europäische Regierung wird nicht gewählt, und das Parlament ernennt nicht einmal die Kommission, die Exekutive der EU, obwohl das doch logisch und wünschenswert wäre.

Es mag zwar kein europäisches Volk an sich geben, keine Einheitssprache, keine europäische Haushalts- oder Steuerpolitik. Wir haben noch nicht einmal einen europäischen Präsidenten oder eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Doch Europa gibt sich attraktiv. Aber wir können nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit einbüßen. Die großen nichteuropäischen Mächte, China, Indien, Brasilien, stehen vor der Tür.

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WELCHES EUROPA?

Die Nationalstaaten voran

Die Europawahl hat unverhohlen aufgezeigt, dass nicht ein gemeinsames Die Europawahl hat unverhohlen aufgezeigt, dass nicht ein gemeinsames Europa oder eine kontinentbezogene Solidarität zählt, sondern die Nation, der Staat, der Stamm, so Andrzej Talaga in der polnischen Tageszeitung Dziennik. Es ist auch klar, dass es "weder heute noch morgen" ein bundesstaatliches Europa geben wird, denn die Nationalstaaten werden auf der politischen Bühne Europas die Hauptakteure bleiben. Das bedeutet, dass eine europäische Identität wenig Chancen hat, an die Stelle des nationalen Konzepts zu treten.
Die EU muss ernsthafte Überlegungen anstellen, entscheiden, was sie wirklich sein will, und wie die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten mit den Interessen der Gemeinschaft vereinbar sind, fügt der Jounalist hinzu. "Die Europawahl wird nicht viel ändern, aber sie ist ein wichtiges Barometer. Ein Alarmsignal. Europa, wach auf! Es ist Zeit, Entscheidungen zu treffen."

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