Das griechische Start-Up-Unternehmen „Parking Defenders“ wurde eingeladen im Juni 2012 am Microsoft BizSpark European Summit in London teilzunehmen

Unsere Zukunft: Alles App

Inmitten der anhaltend bedrückten Wirtschaftsstimmung dringt eine neue Generation junger griechischer Unternehmer dennoch in die globalen Märkte und hofft, die berühmte, vom Staatssektor abhängige Geschäftskultur zu ändern.

Veröffentlicht am 15 Juni 2012 um 10:45
Das griechische Start-Up-Unternehmen „Parking Defenders“ wurde eingeladen im Juni 2012 am Microsoft BizSpark European Summit in London teilzunehmen

Das griechische „Geek Central“ besteht aus hellen, luftigen, sehr weißen Räumlichkeiten in der Nähe von Athens größter Einkaufsstraße, möbliert mit billigen Schreibtischen und Stühlen von Ikea und einer teuren – und gut genutzten – Kaffeemaschine.

Bedrücktheit gibt es hier nicht. Bei coLab bekommt man für 10 Euro am Tag oder 140 Euro im Monat einen Schreibtisch, eine Breitbandverbindung und soviel Kaffee, wie man trinken kann. Oder man kann für wenig mehr ein kleines Büro mieten.

Von dem Dutzend an kleinen Startup-Firmen, die das tun, sind manche auf ihrem Gebiet weltweit führend. BugSense zum Beispiel ist zwar erst ein Jahr alt, wird aber von über 4500 Anwendungsentwicklern weltweit genutzt, um Crashreports für ihre Apps zu verfolgen und zu analysieren.

Die Firma lehnte kürzlich ein Übernahmeangebot über 1,24 Millionen Euro ab. Anderen ist coLab, wie das Gebäude heißt, bereits zu klein geworden.

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TaxiBeat, eine App für Mobiltelefone, mit welcher Taxifahrer ihren Standort angeben und sich von Fahrgästen rufen lassen können, verdoppelt alle zwei Monate ihr Geschäft und hat nach Lateinamerika und Skandinavien expandiert.

Das sind griechische Ideen, gestartet von jungen griechischen Unternehmern. Die meisten von ihnen haben einen Doktor oder einen Master in dem Bereich, der poetisch als das Dreieck Internet, mobile Kommunikation und Software bezeichnet werden kann.

Von der Beamten- zur Geek-Generation

„Das ist ein recht neues Phänomen“, meint Andreas Constantinou von VisionMobile, das die mobile Telekommunikationsindustrie analysiert. „Griechenland hat immer schon kluge Köpfe gehabt, aber für ganze Generationen war das einzige Ziel immer der Beamtenstatus.

Anständige Bezahlung, lebenslanger Job, frühe Pensionierung. Das ist heute nicht mehr der Fall. Und mit den neuen Technologien – Apps – können die Leute ihre Ideen umsetzen.“

Die Wirtschaftskrise „hat die Erwartungen der Leute an eine Anstellung im öffentlichen Dienst etwas schrumpfen lassen“, sagt Giorgios Kasselakis trocken. Er ist Geschäftspartner beim Open Fund und kanalisiert das Geld privater Investoren – bis zu 50.000 Euro, genug, damit zwei bis vier Personen ein Produkt an den Markt bringen können – in Einrichtungen, die „das Potenzial [haben], auf internationaler Ebene tätig zu sein und den Markt zu sprengen“.

Die Tatsache, dass die Gehälter im öffentlichen Dienst um rund 40 Prozent gekürzt wurden und Beamtenrenten alles andere als sicher sind, sei nun ein „starkes Abschreckungsmittel“ für eine Karriere im Staatssektor, erklärt Kasselakis weiter.

Doch es gibt noch viele Hindernisse für ein plötzliches, allgemeines Aufblühen des griechischen Unternehmertums. Manche sprechen von dem generellen „antikapitalistischen Klima“, einer Altlast aus der Zeit nach der Diktatur, in den 70er Jahren, als „Business“ noch ein Schimpfwort war.

Manche sagen, die Konsequenzen einer Firmeninsolvenz in Griechenland – meist eine Haftstrafe – haben die mangelnde Risikofreudigkeit der Griechen bewirkt.

Alle klagen über die Bürokratie. Dimitris Michalakos von RuleMotion, wo man von einem coLab-Büro in Athen aus – erstaunlicherweise – die digitalen LCD-Displays der neuesten High-Tech Recyclingtonnen in London verwaltet, zeigt mir sein dickes Rechnungsbuch, in dem die einzige Steuernummer des Unternehmens in jede Seite und ihre zahlreichen Durchschriften sorgfältig eingestanzt ist.

„Wenn es voll ist, muss ich zur Steuerbehörde gehen und mir ein neues machen lassen, nur für mich“, erklärt er. „Die Belege sind auf Griechisch, sind also für meine Kunden unverständlich. Fast jedes Land auf der Welt hat ein einigermaßen effizientes Steuersystem, nur wir nicht.“

Digitale Exportwirtschaft

Aus Gründen, die nichts mit Bürokratie zu tun haben, sind einige der Startups von coLab offiziell als amerikanische oder britische Firmen gemeldet, nicht als griechische. Fast alle betreiben den Großteil ihrer Geschäfte außerhalb Griechenlands.

Der Open Fund hat die griechische Regierung kürzlich auf ein neues Gesetz hingewiesen, mit dem eine Firmengründung und -anmeldung schneller, einfacher und viel weniger angsterregend ist, so Kasselakis. „Die minimalen Auflagen sind viel unkomplizierter.

Jetzt müssen nur noch die Leute davon überzeugt werden, dass es tatsächlich so ist.“

Messinis bietet kostenlose Beratungsgespräche, Hackathons, „Lunch-and-learn“-Treffen und Konferenzen von erfolgreichen „Startuppern“ an (keine coLab-Startup ist bis jetzt gescheitert), um den Vorgang zu fördern. Gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit sind der Schlüssel.

Wenn Griechenland seine zerrüttete Wirtschaft irgendwann wieder aufbaut, dann werden innovative, junge Unternehmer, die sich dafür entscheiden, hier zu bleiben – und nicht wie die von Umfragen angegebenen 76 Prozent der jungen Griechen ihr Glück lieber im Ausland versuchen wollen – dabei ganz offensichtlich eine wichtige Rolle spielen.

Irene Daskalakis ist sowohl kanadische als auch griechische Staatsangehörige und hätte ihr Unternehmen – Close the Loop, eine Forschungs- und Consultingfirma im Bereich Nachhaltigkeit – auch jenseits des Atlantiks aufbauen können.

„Griechenland“, so sagt sie, „ist jetzt am absoluten Tiefpunkt angekommen. Der Klientelismus, all die Unternehmen, die sich auf politische Gönnerschaft verließen, müssen jetzt alleine zurechtkommen – es gibt kein Geld mehr.

Der Stärkste überlebt und Qualität wird sich zeigen. Es ist eigentlich gar keine schlechte Zeit für eine Unternehmensgründung.“

Industrie

Wo sind die Fabriken?

Zugunsten von „Dienstleistungen“ musste Griechenland seine „Fabriken einbüßen“, zieht Le Monde Bilanz und erklärt, was Griechenlands Dienstleistungssektor angekurbelt hat: Tourismus, liberalisierte Finanzgeschäfte und Telekommunikationen.

In nur einem Jahrzehnt ist der Tertiärsektor um 83 Prozent angewachsen. Allerdings „sind die Dienstleistungen dazu da, der Industrie beizustehen und dürfen sie nicht ersetzen!“, betont der Ökonom Michalis Vasileiadis von der Stiftung für Wirtschafts- und Industrieforschung in Griechenland (IOBE).

Aufgrund seiner strukturell defizitären Handelsbilanz war das Land gezwungen, Schulden aufzunehmen, um das Ungleichgewicht wieder auszugleichen. Das erklärt auch, warum sich das Debakel so lange hinzieht.

Wie konnte das nur geschehen? fragt sich die Tageszeitung und bietet zwei Erklärungsversuche an:

Europa, meinen die einen. Griechenland, antworten die anderen. Die Wahrheit befindet sich selbstverständlich irgendwo dazwischen. Als das Land der Europäischen Union und anschließend der Eurozone beitrat, musste es seine Grenzen öffnen, sich landwirtschaftlichen Quotenregelungen und Textil-Vorschriften fügen... Griechenland war einfach noch ein Agrarland und auch nicht innovativ genug. Es war für all diese Veränderungen einfach nicht bereit.

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