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Seit mehreren Jahren steckt Europa nun in der Krise, und genauso lange zeichnet sich Deutschland schon durch seinen kleinlichen, ablehnenden, von politischem Kalkül besudelten Führungsstil voller Dogmatismus aus.
Im Süden hat sich die Rezession für lange Zeit festgehakt. Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Zum einen zahlen wir nun den Preis für das unkontrollierte Wachstum der letzten Jahre. Zum anderen sind da diese Rettungsmaßnahmen, die in Wirklichkeit nur eine Art Mindest-Solidarität sind, und an die von Berlin gepriesenen, außerordentlich strengen (und gefährlich unerbittlichen) Sparmaßnahmen gekoppelt sind. Eigentlich sollte diese Spar-Magie die Entwicklung politischer Wachstumsprogramme ermöglichen und der Eurozone wieder das nötige Selbstvertrauen geben. Allerdings hat sie die Einheitswährung in eine existenzielle Krise gestürzt. Doch die Zeiten haben sich geändert.
Wie immer, wenn es um Europa geht, gibt es noch viel Unklarheit
In den vergangenen Tagen brüteten die Bundeskanzlerin Merkel, ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann über einem Projekt, das aus Altem Neues machen soll. In den letzten zwanzig Jahren hatte man in Berlin nicht ein einziges Mal so laute und so klare Worte für eine politische Union gefunden. Dieser Herausforderung stellte sich auch Brüssel: Am 26. Juni präsentierte es ein ehrgeiziges Dokument, das den Ausbau der EU-Institutionen vorsieht und Vorschläge unterbreitet, die bis an die Grenzen der EU gehen, zumal Europas Lähmungszustand den Euro fürchterlich geschwächt hat.
Unter der Bedingung, dass die Mitgliedsstaaten diesen politischen Weg der Union entschieden unterstützen, wird die EU die Hindernisse beseitigen, die Deutschland noch daran hindern, in bestimmten Bereichen Zugeständnisse zu machen. Allerdings gibt es, wie immer wenn es um Europa geht, noch viel Unklarheit.
Die Erwartungen sind genau so hoch wie die vergangenen Fehlschläge
Vor allem zwei Dinge sehe ich da. Erstens: Welche Rolle will Hollandes Frankreich spielen? Paris wird sich nicht damit zufriedengeben, die erste Geige Deutschland zu begleiten, und darüber hinaus gegen die verstärkte zwischenstaatliche Zusammenarbeit, gegen seine Föderalismus-Allergie ankämpfen. Zweitens: Wie bekommen wir die phänomenale Eurokrise in kürzester Zeit in den Griff, um einen Urknall zu verhindern?
Auf keine der beiden Fragen gibt das Programm der vier Präsidenten eine Antwort. Ausgearbeitet hatten es EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EZB-Präsident Mario Draghi und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. Anlässlich des Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs ab 28. Juni wird man dieses Dossier in Brüssel intensiv begutachten und diskutieren. Die Erwartungen sind genau so hoch wie die vergangenen Fehlschläge. Die Spitzen werden entscheiden, ob sie dem Dokument zustimmen, oder ob man wieder nur leere Reden schwingt und keinen ausführlichen Zeitplan festlegt. Und das obwohl sie gezwungen sind, für die Länder, die kurz vor dem Abgrund stehen, schnellstens eine Lösung zu finden.
Eine EU-Schatzkasse muss geschaffen werden
Die EU-Version 2.0 ist überwiegend von Deutschlands Forderungen inspiriert und will jedem Land strenge Auflagen aufzwingen. Ferner sieht das Dokument eine Frist vor: Dezember [2012]. Allerdings soll Brüssel nicht einfach nur Ausgabenlimits und Schuldenobergrenzen festsetzen. Jeder Mitgliedsstaat, der mehr Anleihen verkaufen will als erlaubt ist, muss dies rechtfertigen und vorher die Zustimmung der EU-Institutionen einholen. Mit dieser Entscheidung schafft man eine Art Super-Finanzminister und drückt ihm de facto die Schlüssel für den Geldschrank in die Hand. Letztendlich bedeutet das auch, dass eine [öffentliche EU-] Schatzkasse geschaffen werden muss. Das wäre die Krönung der Berliner Forderungen, wo man sobald wie möglich eine Haushaltsunion schaffen will. Als Gegenleistung muss Deutschland etwas akzeptieren, was momentan noch ein absolutes Tabu ist: Den Schulden-Pool.
Selbstverständlich würde dies in Etappen geschehen. Ein Schritt nach dem anderen. Und immer schön nach Kompromissen suchen. Wie es Europa eben gewöhnt ist. „Auf mittlere Sicht könnte die Emission gemeinsamer Schuldtitel als Element einer solchen Fiskalunion geprüft werden, sofern Fortschritte bei der haushaltspolitischen Integration erzielt werden.“, ist in dem Bericht zu lesen: Eine nur spärlich verschleierte Anspielung auf Eurobonds.
Diesmal stößt François Hollande das Spiel an
Ferner ist eine Bankenunion geplant: Mit der EZB als gemeinsamem Aufseher, und einem Garantie- und einem Rekapitalisierungsfonds für Banken. In der Regel sind es die Märkte, die das europäische Kauderwelsch in halbwegs verständliche Aussagen übersetzen. So erklären Finanzmarktsprecher: „Es handelt sich um einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Politik- und Haushalts-Union. Ein unverzichtbarer Schritt, wenn Merkel so etwas wie Eurobonds akzeptieren soll.“ Die gleichen Stimmen weisen auch auf die Schwächen hin, welche die Investoren ausnutzen könnten, um auch in Zukunft gegen den Euro zu wetten: „Es gibt keinen konkreten Zeitplan. Die Vorschläge selbst sind nicht klar genug formuliert und lassen erkennen, dass auch weiterhin grundlegende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Die gute Nachricht aber ist, dass es mit Europa vorwärtsgeht. Die schlechte ist, dass es noch immer alles auf morgen verschiebt. In Deutschland wird im Herbst [2013] gewählt. In Berlin wird Wahlkalkül deshalb ganz groß geschrieben. Egal wie schwerwiegend die Krise ist.“
Lange Rede, kurzer Sinn: Was bleibt ist, dass die Gipfelvorbereitungen auf Hochtouren laufen. Diesmal stößt François Hollande das Spiel an. Er hat dem europäischen Projekt neues Leben eingehaucht und muss nun deutlich machen, bis wohin er gehen will. Stirnrunzelnde Politiker wird es in Hülle und Fülle geben. Und weniger als zwei Tage vor dem Gipfel entwischten Angela Merkel folgende Worte, die man eigentlich in Stein hauen müsste: „Ich will die Gesamtschulden nicht geteilt haben, so lange ich lebe.“
Fiskalunion
Van Rompuys abgespecktes EU-Programm
Das mit Spannung erwartete Programm von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, mit dem die Zukunft der Eurozone auf ein sicheres Fundament gestellt werden soll, ist im Vergleich zu früheren Versionen „bescheidener“ und „deutlich geschrumpft“, meldet die Financial Times. Über die Vorschläge, die Eurobonds und eine mögliche zentrale EU-Finanzaufsicht vorsehen, wird man am 28. und 29. Juni beim EU-Gipfeltreffen diskutieren, berichtet das Finanzblatt aus London. Laut dem Entwurf
werden die EU-Institutionen befugt sein, die Haushalte der Länder neu zu bestimmen und die führenden Länder der Eurozone dazu angehalten, ihren 500 Milliarden Euro Rettungsschirm aufzuspannen, um die europäischen Banken zu rekapitalisieren. Vorherige Textentwürfe enthielten auch kurzfristige Maßnahmen, mit denen man die momentanen Marktturbulenzen hätte bekämpfen können. Die von Van Rompuy auf der Internetseite des Europäischen Rates veröffentlichte Version aber enthält deutlich weniger Einzelheiten und sieht nicht einmal einen Zeitplan für die Umsetzung vor.