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Der 54-jährige Star-Untersuchungsrichter aus Spanien muss sich heute selbst wegen Amtsmissbrauch bei Ermittlungen über Verbrechen des Franco-Regimes vor Gericht verantworten

Baltasar Garzón, vom Richter zum Angeklagten

Berühmt für seine Ermittlungen gegen Pinochet wurde der spanische Richter Baltasar Garzón nun im Rahmen seiner Ermittlungen gegen das Franco-Regime selbst angeklagt vom Obersten Gericht in Spanien. Garzón : Held oder Größenwahnsinner ?, fragt sich El País.

Veröffentlicht am 9 April 2010 um 14:55
Der 54-jährige Star-Untersuchungsrichter aus Spanien muss sich heute selbst wegen Amtsmissbrauch bei Ermittlungen über Verbrechen des Franco-Regimes vor Gericht verantworten

Unbestechlicher Held für die einen, politisierter Größenwahnsinniger für die anderen. Baltasar Garzón, der u.a. Augusto Pinochet und die argentinischen Diktatoren zu Fall brachte, wurde nun am 7. April vom [spanischen] Obersten Gericht wegen Rechtsbeugung angeklagt. Der berühmteste Richter Spaniens – oder sogar der ganzen Welt – soll bei Ermittlungen über die Franco-Diktatur seine Befugnisse überschritten haben. Dieses Thema ist in Spanien noch tabu und die spanische Rechte verzeiht ihm sein Eingreifen nicht. Nun droht dem Richter eine Suspendierung.

Ein Mann für heiße Fälle

Im Lauf seiner 22-jährigen Justizkarriere hatte Baltasar Garzón genügend Gelegenheit, sich unbeliebt zu machen. Zu seinen größten Feinden gehören ganz offensichtlich Politiker der beiden bedeutendsten Parteien, die er einst zur Begrüßung umarmte, um sie am Tag darauf zu verfolgen. So ein jäher Umschwung von kalt nach heiß – und umgekehrt – hat oft negative Konsequenzen.

Garzón war nie ein diskreter Mann. Er versuchte nie auszuweichen und richtete es immer so ein (oder andere taten es für ihn), dass die heißen Fälle auf seinem Schreibtisch landeten. Nur wenige relevante Akten gingen nicht durch seine Hände. Er befasste sich als einer der ersten mit dem Kampf gegen den Drogenhandel, der damals auf dem besten Weg war, bestimmte Regionen Spaniens in ein neues Sizilien zu verwandeln. Er interessierte sich auch für Hardliner-Terrorismus sowie für Staatsterrorismus und dessen Ableitungen: die Verwendung von zweckgebundenen Mitteln. Auch die diversen Formen der Korruption im Städtebau konnte er natürlich nicht ignorieren. Es gelang Garzón, sein Prestige ins Ausland zu exportieren, indem er sich dort mit ebenso spannenden Fällen befasste, etwa mit dem Ermittlungsverfahren gegen Silvio Berlusconi [wegen angenommener Übergriffe seiner spanischen Tochtergesellschaft Telecinco] und der Ausstellung von Haftbefehlen gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet und gegen Osama bin Laden. Selbst wenn manche ihm vorwerfen, dass kein einziger großer Firmenchef zu seinen Opfern zählt, ist Garzón eine Art internationaler Vertreter der Gerechtigkeit geworden. Der Fall der bankrotten spanischen Bank Banesto wurde ihm zwar nicht übertragen, doch manche finden, dass er in gewissen zwiespältigen Fällen im Zusammenhang mit großen spanischen Banken, insbesondere BBVA und Santander, nicht mehr so angriffslustig ist wie früher. Anschuldigungen, die Santander-Bank habe seine Seminare in den USA gesponsort (was die Bank leugnet), hätten ihn seine Karriere kosten können.

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Irgendetwas arbeitete immer gegen ihn

Doch sie nahm ihren Lauf und Garzón beschäftigte sich weiterhin unermüdlich mit wichtigen Akten. Er schien dazu bestimmt, auch für die kommenden Jahrhunderte der berühmte Jurist zu bleiben, der er war. Seine Anläufe, um bei der Audiencia Nacional, beim Obersten Gericht oder beim Internationen Gerichtshof in Den Haag eine höhere Position zu erlangen, blieben alle erfolglos. Er schien von Seiten seiner Kollegen nicht genug Rückhalt zu bekommen. Irgendetwas arbeitete immer gegen ihn und zu seiner Linken und Rechten bildete sich letztendlich eine Mehrheit, die ihn nicht ertragen konnte.

Wenn man sich ansieht, was er alles vollbracht hat, dann könnte man meinen, das einzige, was Garzón auf seinem Lebenslauf noch fehlte, sei eine historische Persönlichkeit, ein Bild zur Vervollständigung seiner Sammlung. Nachdem er die Demokratie und ihre Ausfälle untersucht hatte, war nun die Vergangenheit an der Reihe, in der Person Francos. Garzón hatte schon mit vielen abgerechnet, doch auf das Gebiet des Diktators hatte er sich noch nicht gewagt. Angesichts des Gesetzes über die Historische Erinnerung, dessen Schwachstellen und der missachteten Anträge der Familien von Tausenden erschossener Opfer, wollte Garzón gegen den Franquismus ermitteln. Und weil er dank seines geringen Schlafbedürfnisses und seines Charakters in der Lage ist, beträchtliche Berge von Arbeit bewältigen, stürzte er sich in dieses Abenteuer, während er sich gleichzeitig in der Gürtel-Affäre mit der Partido Popular (Volkspartei) anlegte [in den Fall Gürtel – vermeintliche Korruption, Täuschung und Geldwäsche – sind Kader der PP verwickelt].Garzón wurde von den Verbündeten der von ihm verfolgten Parteien immer schon gejagt, das ist für ihn ein altes Lied. Er ist durchaus bereit, dem Druck standzuhalten – so erklärt er in einem Buch, das seine Gedanken und Befürchtungen zusammenfasst (El mundo sin miedo, Plaza y Janés, 2005). Wie ein Hochseilartist wusste er sich immer aus den kniffligsten Situationen zu retten. Die andere Partei kam ihm immer zu Hilfe.

Doch diesen Eindruck haben die Mitglieder der sehr geschlossenen Richtergesellschaft in letzter Zeit nicht mehr. Diesmal sind zu viele Leute davon überzeugt, dass das Ende bevorsteht. Zu viele glauben, dass Garzón ausgedient hat, dass ihn niemand mehr benötigt, insbesondere nicht die Politiker. Alle sind Opfer seiner Unerbittlichkeit gewesen. Seine Memoiren zeigen das Bild eines Mannes, der davon überzeugt ist, dass er auf der Welt eine Rolle zu spielen hat, und der bereit ist, sich für diese Aufgabe zu opfern. Die Frage ist jetzt, ob er auch bereit ist für ein Ende, das nicht zu seinem Plan gehörte.

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