François Hollande will die Vielfalt der Wirtschafts- und Sozialmodelle In Europa erhalten.

Uns bleibt immer noch Paris

Die Wirtschaftsprobleme Griechenlands, Spaniens und Italiens, wie auch die Feinheiten der deutschen Entscheidungsprozesse ziehen seit langem alle Aufmerksamkeit auf sich. Es gibt aber noch ein Land, das für Europas Zukunft entscheidend ist: das Frankreich François Hollandes.

Veröffentlicht am 6 Juli 2012 um 14:40
François Hollande will die Vielfalt der Wirtschafts- und Sozialmodelle In Europa erhalten.

Das Ausmaß der Schuldenkrise und die Instabilität, die den Euroraum in den letzten Monaten prägt, haben Spanien und Italien in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Seitdem Griechenland, Portugal und Irland unter den Rettungsschirm gestellt wurden, fragen sich alle, wann auch die Regierungen von Mariano Rajoy und Mario Monti gezwungen sein werden, für ihr Land um ein komplettes Rettungspaket anzusuchen.

Die Dringlichkeit und Schwierigkeit der Rettung Spaniens und Italiens haben die Rolle Deutschlands hervorgehoben und Angela Merkel als die Person, in deren Händen es liegt, den europäischen Knoten zu lösen, ins Rampenlicht gestellt. So wie die Krise die Bürger gezwungen hat, sich mit grundlegenden volkswirtschaftlichen Konzepten auseinanderzusetzen, um die Ereignisse zu verstehen und die vorgeschlagenen Lösungen einzuschätzen, führt die dominierende Position Deutschlands in dieser Krise dazu, dass wir uns mit den Prinzipien der deutschen Politik, Wirtschaft und öffentlichen Meinung vertraut machen müssen.

Aus diesem Grund haben wir im krisengebeutelten Europa gelernt, den Ereignissen in Deutschland mehr Aufmerksamkeit zu schenken: den Landtagswahlen in Deutschland, den Urteilen des deutschen Verfassungsgerichts, den parlamentarischen Ratifizierungsverfahren der europäischen Vereinbarungen, der Schwäche oder Stärke der liberalen oder bayrischen Mitglieder der CDU-Regierung, den Stellungnahmen des Präsidenten der Deutschen Bundesbank und den Änderungen, die die sozialdemokratische Opposition bei den Eurobonds einführen könnte, wenn sie an die Regierung kommt.

Politische Union wieder auf dem Tisch

Wir haben gelernt, dass Deutschland ein sehr komplexes politisches System ist, in dem sich eine Reihe starker, unabhängiger Institutionen die Macht teilen und die Handlungsfähigkeit Angela Merkels deutlich einschränken.

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In Frankreich ist genau das Gegenteil der Fall. Die Verfassung der Fünften Republik verleiht dem Staatsoberhaupt sehr viel Macht. Wenn dann auch noch ein hyperaktiver Nicolas Sarkozy dieses Amt bekleidet, fokussiert diese Machtkonzentration die gesamte Aufmerksamkeit auf den Präsidenten und vereinfacht die Analysen beträchtlich. Während der letzten Präsidentschaftskampagne zeigte sich jedoch hinter Sarkozys Nacheiferern ein vielschichtiges Frankreich, das von einer Reihe existenzieller Zweifel geplagt wird. Zweifel bezüglich der französischen Identität, Zweifel bezüglich des Wirtschaftsmodells, Zweifel bezüglich der europäischen Integration und Zweifel bezüglich der Globalisierung.

Diese Zweifel haben die Handlungsfreiheit der französischen Mitte-Rechts-Parteien limitiert und sie gezwungen, die Forderungen der fremdenfeindlichen Front National unter Marine Le Pen zu übernehmen. Sie beeinträchtigen auch die Mitte-Links, da sie sich mit einem globalisierungsfeindlichen Flügel arrangieren muss. Dieser Flügel fühlt sich immer stärker von der europäischen Integration bedroht, die als Globalisierung im Schafspelz wahrgenommen wird, und befürchtet, der Prozess werde den Wohlfahrtsstaat und damit eines der Hauptmerkmale der französischen Identität zerstören.

Die politische Union ist jetzt jedoch wieder in der Mitte der französischen Linken gelandet, obwohl angenommen wurde, das Referendum zum Vertrag über eine Verfassung für Europa habe sie 2005 definitiv begraben.

Ein effizienteres Europa

François Hollande steckt in einer unangenehmen Zwickmühle. Einerseits haben fast zwei Drittel der Wähler, die jetzt für ihn gestimmt haben, sich 2005 gegen die EU-Verfassung ausgesprochen. Andererseits führt die schwierige Finanzlage Frankreichs, die diese Woche vom Rechnungshof unterstrichen wurde, dazu, dass die Diskussion über die nächste Phase der politischen und wirtschaftlichen Union zeitmäßig mit einer Reihe wichtiger Haushaltskürzungen zusammenfällt, die auf politischer und sozialer Ebene auf Ablehnung stoßen.

Da die französische Öffentlichkeit den Fortschritt der europäischen Integration mit einer erneuten Verringerung des politischen Handlungsspielraums Frankreichs gleichsetzt und annimmt, die politische Union würde das französische Sozialmodell gefährden, wird sie stark auf das reagieren, was sie nicht als politische Union, sondern als verdeckte Konstitutionalisierung des deutschen Wirtschaftsmodells und der Sparpolitik auf europäischer Ebene interpretiert.

So wie in den 1990ern, als die Wirtschafts- und Währungsunion vorbereitet wurde, und in der letzten Dekade, als die EU-Verfassung auf der Agenda stand, wird die französische Linke nun entscheiden müssen, bis zu welchem Punkt die politische und wirtschaftliche Union mit Deutschland dazu beitragen kann, das eigene Wirtschaftsmodell zu erhalten und vielleicht sogar zu stärken, und ab wann es zu dessen Untergang führt.

Die Herausforderung von François Hollande besteht also darin, ein effizienteres Europa anzustreben, ein Europa, das eine höhere Integration erfordert und deshalb auch den Verlust der Souveränität, in dem jedoch die Vielfalt der Wirtschafts- und Sozialmodelle respektiert und nicht erstickt wird. Er wird es nicht leicht haben, denn das heutige Frankreich hat Deutschland gegenüber einen deutlichen Rückstand.

Wirtschaft

Frankreich schlägt einen anderen Weg ein

Der französische Staatspräsident François Hollande hinterfragt die Theorie, laut welcher finanzpolitische Verantwortung mit Ausgabenkürzungen anstatt mit Steuererhöhungen einhergehen muss. In einem zustimmenden Leitartikel in der Irish Times heißt es:

Statt dem schroffen Refrain, es gebe ‚keine Alternative zur Sparpolitik’, ist man heute zu der begrüßenswerten übereinstimmenden Meinung gekommen, dass Sparmaßnahmen alleine das Wachstum abtöten. Auch die Einstellung angesichts der Notlage der hoch verschuldeten Haushalte ist heute etwas verständnisvoller.

Hollandes neue Regierung will die Bücher dieses Jahr mit rund 7,2 Millionen Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen ausgleichen. Zur Zielgruppe gehören dabei vorwiegend die wohlhabenden Haushalte und die größten Unternehmen. Zu den Maßnahmen gehören...

... die Senkung des Grenzwerts für die französische Vermögenssteuer und die Hinzufügung einer einmaligen Abgabe für alle, deren Nettovermögen mehr als 1,3 Millionen Euro beträgt, die Verschärfung der Erbschaftssteuer, höhere Steuern für Banken, Mineralölgesellschaften und auf Dividenden, erhöhte Sozialabgaben für die Arbeitgeber sowie die Verdoppelung der Finanztransaktionssteuer auf 0,2 Prozent. Im Herbst will [François Hollande] seine geplanten, tief greifenden Steuerreformen starten, darunter eine 75-prozentige Steuer auf Einkommen ab einer Million Euro. Auch für nicht ortsansässige Ferienhausbesitzer – darunter allein 200.000 aus Großbritannien – wird es neue Abgaben geben, zum großen Leidwesen der britischen Behörden.

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