Was kommt nach der Technokraten-Regierung?

Zur Beruhigung der Märkte setzte Italien im vergangenen Jahr eine Regierung aus nicht gewählten Fachleuten und Experten ein. Ein Kommentator ist der Auffassung, dass die Parteien das Vertrauen der Wähler im Hinblick auf die 2013 bevorstehenden Wahlen jedoch nur zurückgewinnen können, indem sie Projekte von allgemeinem Interesse vorschlagen.

Veröffentlicht am 17 Juli 2012 um 15:55

Wir leben in einer Phase chronischer Spannungen zwischen der Demokratie und Europa, zwischen den Anliegen der Wähler und der Notwendigkeit, das europäische Projekt zu retten. Manchmal gelingt es, diese Spannung unter Kontrolle zu halten, in anderen Fällen entlädt sie sich in einem offenen Konflikt. Das wird an dem Auseinanderbrechen der Eurozone in nördliche Länder und Mittelmeerländer deutlich. Um die Märkte zu überwachen, die öffentliche Meinung in den nördlichen Ländern zu beschwichtigen und seinen Platz in der Währungsunion zu retten, hat Italien eine Notlösung gefunden: die sogenannte „technische“ Regierung.

Alle Parteien, die den Italienern zur Wahl stehen, haben versagt

Die Zeit läuft jedoch gnadenlos weiter, und niemand kann den Countdown stoppen. So paradox (und „politisch korrekt“) das auch klingen mag: Sowohl in Italien als auch andernorts fürchten alle den Augenblick, in dem die Demokratie ihre Prärogative zurückerlangen wird – den in weniger als einem Jahr bevorstehenden Augenblick, in dem die Wähler ihre Meinung zum Ausdruck bringen werden. Warum diese Angst vor der Demokratie? Weil sich, zu Recht oder zu Unrecht, eine Idee ausgebreitet hat: Alle Parteien, die den Italienern zur Wahl stehen, haben versagt und sind grundsätzlich nicht zur Umsetzung der restriktiven politischen Maßnahmen in der Lage, die durch die Krise erforderlich geworden sind.

Die Parteien, die heute die Regierung Montis unterstützen, versprechen, die von dieser eingeleiteten Maßnahmen nicht Rückgängig zu machen. Aber warum sollte man ihnen Glauben schenken? Wer garantiert, dass die Rechte, wenn sie wieder an die Macht kommt, nicht umgehend die Spending Review [Gesetz über die Rationalisierung der Ausgaben der öffentlichen Verwaltung] wieder abschafft, um die Mittel so zu verwalten, wie sie es bisher immer getan hat?

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Warum sollte man den Parteien Glauben schenken?

Und warum der Linken glauben, die sagt, dass sie nicht von dem durch die Regierung Montis vorgegebenen Weg abweichen wird, obwohl allerseits bekannt ist, dass die Gewerkschaften mit diesem nicht einverstanden sind und es undenkbar ist, dass die Linke ohne deren Zustimmung auch nur das Geringste unternimmt?

Die Tatsache, dass von der Möglichkeit einer „großen Koalition“ (d.h. eine zweite Monti-Regierung) nach den Wahlen die Rede ist, zeigt, dass dieselben politischen Kräfte sich ihrer Schwächen durchaus bewusst sind.

Ein Wahlkampf ohne unklare Versprechen

Welcher Ausweg ist vorstellbar? Natürlich gibt es eine Lösung – auch wenn sie voller Tücken ist und gegen unsere Traditionen verstößt. Die einflussreichen politischen Parteien könnten nämlich zum ersten Mal seit Einführung der italienischen Demokratie die Vorschriften des „Handbuchs des guten Demokraten“ anwenden. Diese besagen, dass ein Wahlkampf nicht mit unklaren Versprechen, sondern mit klar definierten Projekten geführt wird. Ein Projekt gilt als klar definiert, wenn deutlich wird, wem es zugutekommt und wem nicht. Und wenn es von den Einen begrüßt und von den Anderen vehement abgelehnt wird.

Als Beispiele für klar definierte Projekte, die eine Partei ihren Wählern ankündigen könnte, seien angeführt: Wenn wir die Wahl gewinnen, werden wir innerhalb von 30 Tagen nach Amtsantritt der Regierung die öffentlichen Ausgaben in dem und dem Sektor um soundso viel kürzen und die Steuern um dieselbe Summe erleichtern. Oder: Wenn wir die Wahl gewinnen, reduzieren wir den Nord Süd-Transfer um die Hälfte, und begleitend zu dieser Maßnahme werden wir mehrere Jahre lang von den Unternehmen im Süden keine Steuern verlangen.

Die Parteien sollten Projekte zu den wichtigsten Themen von allgemeinem Interesse vorschlagen. Was brachte im Gesundheitswesen beispielsweise die Einführung des „Standardtarifs“ für Leistungen [der Kosten und Resultate gegenüber stellt]? Oder: Wer würde es wagen, im Bildungswesen (im Gegensatz zu dem üblichen Gerede) einen präzisen Handlungsablauf vorzuschlagen, um etwas Meritokratie ins Spiel zu bringen? Aus technischer Sicht wäre es möglich, die Höhe der Stipendien an der Qualität der Bildung zu orientieren, aber hierzu ist politische Entschlossenheit erforderlich.

Drastische Änderungen beim politischen Stil

Würden die Wahlkampagnen so geführt, könnte man das gewissermaßen als Sieg Ugo La Malfas betrachten (im Mittelpunkt der Doktrin des Republikaners stand der Vorrang des Inhalts vor der Ideologie). Eine „Lamalfisierung“ der politischen Parteien stünde im krassen Gegensatz zur Tradition. In Italien bestehen Wahlkampagnen seit jeher aus einer Kombination ideologischer Stellungnahmen gegen den „Feind“ und unklarer Versprechen. Die Ideologie (die „Ismen“: Antikommunismus, Antiberlusconismus usw.) schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, und unklare Versprechen lassen niemanden unzufrieden und ermöglichen die Einbeziehung möglichst Vieler. Der Übergang von der Methode „Ideologie + unklare Versprechen“ zur Methode „klar definierte Projekte“ wäre eine Revolution, die insbesondere drastische Änderungen beim politischen Stil und der Kommunikation zur Folge hätte.

Instinktiv, aber auch aus Berechnung, Tradition und aufgrund ihrer persönlichen Kompetenzen bereiten sich die Politiker auf ihre ewige Wahlkampagne italienischer Tradition vor. Die Chancen stehen jedoch gut, dass sie sich dieses Mal verrechnet haben. Umfragen zeigen, dass der Verruf, in den die Politiker geraten sind, die Alarmschwelle überschritten hat. Eine radikale Änderung der Kommunikationsmethode könnte die einzige Lösung sein, dem entgegenzuwirken. Darüber hinaus würde sie auf den Rest der Welt beruhigend wirken, denn derzeit richten sich alle Blicke auf Italien.

Ein Image seriöser, strenger Volksvertreter

Einerseits würden die Politiker zwar verlieren, wenn sie Projekte vorschlagen würden, die ihren potenziellen Wählern eventuell missfallen – das würde sie Stimmen kosten. Andererseits würden sie jedoch gewinnen, da sie sich selbst zu einem Image seriöser, strenger Volksvertreter verhelfen würden. Ein Mangel an eben dieser Seriosität und Strenge wird nämlich heute allerseits den Politikern vorgeworfen. Darüber hinaus würde es eine Wahlkampagne, die auf gegensätzlichen, klar definierten Projekten beruht, den Wählern ermöglichen, zu bestimmen, welche Partei am glaubhaftesten die Sanierungspolitik fortsetzen kann.

Tag für Tag wird uns eingehämmert, dass wir, um zu überleben, aufgrund der weltweiten Krise viele unserer Gewohnheiten ändern müssen. Auch für die Politik ist es jetzt an der Zeit, ihre Gewohnheiten zu ändern.

Politik

Berlusconi 2, das Schreckgespenst Europas

Silvio Berlusconi steht erneut im Rampenlicht. Der ehemalige italienische Ministerpräsident, der im November letzten Jahres zurücktrat, als die Schuldenkrise aus dem Ruder lief, kündigte an, bei den Wahlen im Jahr 2013 als Kandidat der Mitte-rechts-Partei anzutreten. In einem Interview mit der Bild erklärte der 75-jährige Milliardär, dass die von ihm 1994 gegründete Partei Forza Italia an die Stelle der 2007 zustande gekommenen Koalition PDL (Volk der Freiheit) treten könnte.

„Es ist unmöglich, vorherzusagen, ob Berlusconi anders sein wird als vorher, denn die Parameter ändern sich so schnell“, schreibt die mitte-links orientierte Tageszeitung L'Unità. Sicher ist, dass 18 Jahre Mitte-rechts-Regierung „Spuren hinterlassen haben“ in der politischen Szene Italiens. Die Ankündigung der Kandidatur Berlusconis

wirft angesichts der Herausforderungen, denen sich die italienischen Parteien heute stellen müssen, ernsthafte Fragen auf – allen voran die Frage nach der Wahlreform.

Die Rückkehr Berlusconis lässt die europäischen Regierungen nicht gleichgültig, denn sie fürchten, er könne alle Bemühungen Mario Montis wieder zunichtemachen. So betont La Repubblica, dass

Europa auf die Rückkehr Berlusconis in die politische Szene Italiens reagiert, als handele es sich um ein Gespenst, dessen es sich ein für alle Mal entledigt glaubte. Ein Gespenst, das allen Angst macht, da Italien seit Beginn der Krise das Schlachtfeld ist, auf dem über die Zukunft des Euros und der EU entschieden wird. Der Rücktritt Berlusconis, weil er in Europa allein dastand, galt allerseits als wichtiger Schritt zur Rettung des Landes - und mit ihm der Einheitswährung.

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