Togolesen stehen während der Präsidentschaftswahlen Schlange, Lomé, 4. März 2010

Europas Hirngespinst von afrikanischen Wahlen

Geblendet von ihrem Wunsch, Afrika zu demokratisieren, merken die Europäer nicht, dass sie der Günstlingswirtschaft Vorschub leisten und das Wohl der Bevölkerung in den Hintergrund stellen, bedauert der Schriftsteller Alphonse Murambi. Seiner Meinung nach müssen die Nationen das Schicksal des Kontinents selbst in die Hand nehmen.

Veröffentlicht am 29 April 2010 um 13:26
Togolesen stehen während der Präsidentschaftswahlen Schlange, Lomé, 4. März 2010

Am 3. März erfüllte ich während der Kommunalwahlen in Den Haag meine Bürgerpflicht. Ich sah dabei keine langen Schlangen vor den Wahlbüros wie in Afrika. Dort stehen Männer und Frauen im Morgengrauen auf, laufen eine unendlich lang scheinende Strecke und warten mit leerem Magen, damit eine lang ersehnte Demokratie entstehen kann. Die Niederlande sind eines der Länder in Europa, die den Afrikanern die Demokratie bringen wollen, so wie ein Evangelium, das sie von der Armut befreien soll. Doch eignet sich das westliche demokratische Modell gut für Afrika?

Allein schon für dieses Jahr sieht die demokratische Agenda in Afrika eher rosig aus. Im Sudan fanden am 11. April Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Am 28. Juni gehen dann nach 15 Jahren Bürgerkrieg die Burundier zu den Urnen. Die Optimisten jubeln, ich nicht.

Der Sudan, Burundi und die Demokratische Republik Kongo werden beim niederländischen Ministerium für Entwicklungshilfe als "fragile Staaten" geführt. Als besondere Kennzeichen gelten dabei schwere politische und soziale Spannungen mit negativen Auswirkungen auf die Bürger, Mangel an Rechtmäßigkeit, Sicherheit und Menschenrechten. Es fehlt an Erziehung, sanitären Anlagen und öffentlichem Gesundheitswesen. Wirtschaftsentwicklung gibt es nicht... Kurz, dort kann alles aufblühen, nur keine Demokratie.

Wahlen schaffen neue Spannungen

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Am 4. Februar zeichnete der burundische Verteidigungsminister Germain Niyoyankana bei seinem Besuch im Niederländischen Institut für Internationale Beziehungen Clingendael ein ehrliches, doch düsteres Bild seines Landes. Die Armee hat kein Geld für Uniformen, die Polizei auch nicht. Es ist auch kein Geld für die Ausbildung der Soldaten und Polizisten da. "Die burundische Bevölkerung lebt in einer Armut, die man mit Worten gar nicht ausdrücken kann", erklärte er einfach. Trotz dieses tieftraurigen Eindrucks wird es Wahlen geben, obwohl man doch weiß, dass diese Wahlen an sich schon neue Spannungen provozieren können. Europa leistet gerne einen Beitrag zu den 43 Millionen Euro, die Burundi für die Wahlen braucht. Denn aus europäischer Sicht muss Afrika mit allen Mitteln demokratisiert werden.

Paul Collier, ein Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Oxford, plädiert für langfristiges militärisches Eingreifen, um die Demokratie nicht nur einzuführen, sondern sie auch aufrecht zu erhalten und zu pflegen. "Nach fairen Wahlen schützt dies die Regierung vor einem Staatsstreich", rechtfertigt er seinen Standpunkt. In seinen Veröffentlichungen gibt er jedoch zu, genau wie ich, dass Demokratie ohne eine stabile Wirtschaft nicht möglich ist. Seine Naivität liegt in seinem Glauben, faire Wahlen seien überhaupt möglich. Kann man denn von fairen Wahlen sprechen, wenn die Wähler für Kandidaten stimmen, die ihnen während der Kampagne Reis, Kugelschreiber und Schulhefte geschenkt haben? Oder wenn multinationale Unternehmen einen Kandidaten unterstützen? Kann man von fairen Wahlen sprechen, wenn die Wähler Analphabeten sind? Die Elite lässt diesen Analphabetismus bestehen, indem sie nicht in die Bildung investiert, die als Bedrohung ihrer Macht angesehen wird.

Der Demokratie geht es gut, dem Volk nicht

Es ist naiv, zu glauben, die Demokratie werde Afrika retten. Seit ich 2006 als Wahlbeobachter im Kongo war, fahre ich jedes Jahr wieder hin, um zu sehen, wie es um die Demokratie steht. Ich spreche nicht nur mit den Journalisten und mit der Elite, ich spreche vor allem mit den Kindern auf der Straße, mit ganz normalen Männern und Frauen, Soldaten, Lehrern. Der Demokratie geht es gut, dem Volk nicht. Präsident, Parlament und Senat erfüllen ihre demokratischen Aufgaben. Sie entsprechen den "internationalen Kriterien" der Demokratie. Doch die Bevölkerung, der es heute dank dieser Demokratie eigentlich besser gehen müsste, lebt nach wie vor in der Armut von vor 2006.

Bei einem Besuch der Schulen in der Stadt Kananga, etwa 1000 Kilometer von der Hauptstadt Kinshasa entfernt, sprach mich ein Schulleiter an. Er war sehr erstaunt, dass ich seine Schule mit Schulmaterial unterstützen wollte, und zeigte mir eine Schachtel mit hundert Kreiden. "Hundert Kreiden für tausend Schüler. Das ist alles, was uns bis Ende des Schuljahres bleibt." Die Schulleitung sieht die höheren Beamten nur dann, wenn Wahlen bevorstehen. Der Schulleiter fragte mich also, ob ich mich etwa als Kandidat für die nächsten Wahlen von 2011 aufstellen lasse. Ist das die Demokratie, die wir für Afrika wollen?

Wahlen schaffen Abhängigkeit von Europa

Solange Afrika seine Wahlen nicht selbst finanzieren kann, sollte man sie meiner Meinung nach lieber einstellen. Nicht nur kosten sie viel Geld, sondern sie lassen auch eine zu große Abhängigkeit von Europa entstehen. Was passiert, wenn Europa den Geldhahn zudreht? Die afrikanischen Befehlshaber sind ihren Sponsoren gegenüber rechenschaftspflichtig, aber nicht ihrem eigenen Volk gegenüber. Das ist nicht Demokratie, das ist Kundenbindung. Da werden die demokratischen Ideale beschimpft.

Ich rufe also alle Evangelisten der demokratischen Doktrin dazu auf, gemeinsam mit mir ein neues Demokratiemodell zu entwerfen. Ein Modell, in welchem die Hauptrolle nicht den Wahlen zufällt, sondern der Dynamik der afrikanischen Stämme. Ein Modell, in welchem die Macht anders geregelt wird: wie eine olympische Fackel. Regionen oder Provinzen übernehmen die Macht im Turnus – etwa wie in der Europäischen Union mit dem wechselnden Vorsitz. Der Leiter einer Provinz wird zum Präsidenten über das ganze Land, und muss sich in dieser Zeit weder überlegen, wie er diese Macht beibehält, noch eine Kampagne führen, um die nächsten Wahlen zu gewinnen. Die Opposition erhält somit eine funktionelle Rolle: Sie bereitet die Machtübernahme vor.

Zudem würde dieses System den Investoren eine bessere wirtschaftliche Landschaft bieten. So könnte Europa seine Demokratieversessenheit in einen gesunden Impuls umwandeln und sich für das Wirtschaftswachstum einsetzen. (pl-m)

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