Operation gelungen, Patient...

Der von den Staaten der Eurogruppe am 2. Mai angenommene Rettungsplan bietet Griechenland einen Ausweg. Doch – langfristig gesehen – bleiben sowohl die Zukunft der Einheitswährung als auch die Führung der EU gefährdet, findet die europäische Presse.

Veröffentlicht am 3 Mai 2010 um 15:27

110 Milliarden Euro, davon 45 Milliarden dieses Jahr. Der am 2. Mai von den Finanzministern der Eurozone angenommene Hilfsplan, der Griechenland vor dem Bankrott retten soll, wurde schon sehnsüchtig erwartet. Es handelt sich dabei um "eine Unterstützung unter großem Kraftaufwand, die das Schreckgespenst der Zahlungsunfähigkeit verscheucht und Griechenland die Zeit gibt, seine Wirtschaft einer außergewöhnlich heftigen Schocktherapie auszusetzen", stellt Libération fest. Doch "die Staaten der Eurozone hatten kaum mehr die Wahl, denn die Panik der Märkte anlässlich des griechischen Ausfallsrisikos drohte, auf andere Länder der Eurozone überzugreifen, insbesondere auf die iberische Halbinsel".

Gewiss, so freut sich Le Figaro, "es zeichnet sich endlich ein Epilog in der Griechenlandkrise ab". Die Europäische Union wird 80 Milliarden Euro zu dem Plan beitragen, der Internationale Währungsfonds 30 Milliarden, was "in der jüngeren Finanzgeschichte ein absolutes Novum" darstellt. Doch für den Spiegel ist "Euroland abgebrannt", wie es auf dem Titelblatt heißt, die "letzte aller Blasen". Denn Griechenland war erst der Anfang.

Seit langem, so die Wochenzeitung, leben die Industriestaaten schon über ihre Verhältnisse und die Finanzkrise hat die Staatsschulden dramatisch anschwellen lassen. Heute wird die Rechnung für den Wohlstand auf Pump präsentiert. "Nicht alle werden sie zahlen können", weiß der Spiegel und malt das apokalyptische Bild eines von Athen ausgehenden finanziellen Zusammenbruchs an die Wand, der Europa und die ganze Welt in eine noch schlimmere Krise mitreißt als diejenige, die 2008 durch den Bankrott der Lehman Brothers Bank ausgelöst wurde. "Den Volkswirtschaften der Welt steht eine harte Entziehungskur oder ein langes Siechtum bevor."

Die politische Zwangsjacke angelegt

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Ist in diesem Kontext "der Euro selbst in Gefahr? In einem Wort: Ja", warnt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in einer vom Irish Timesübernommenen Chronik der New York Times. Denn einer unzureichenden Reaktion der europäischen Staaten auf die Krise bleibt er schutzlos ausgeliefert. "Was die Krise beweist, ist die Gefahr, wenn man sich selbst eine politische Zwangsjacke anlegt. Indem sie den Euro übernahmen, brachten sich die Regierungen Griechenlands, Portugals und Spaniens um jede Möglichkeit, auf etwaige Ereignisse flexibel zu reagieren. Wenn eine Krise zuschlägt, müssen die Regierungen handeln können. Das haben die Architekten des Euro vergessen und daran müssen wir uns erinnern."

"Wäre die griechische Schuldenkrise ein Test, ob der Euro auch schwere Zeiten durchstehen kann, müsste man bedauernd abwinken: durchgefallen, setzen", beklagt die Financial Times Deutschland. Die Frage, so die Wirtschaftszeitung, laute, "ob Deutschland als größtes Euro-Land und Stabilitätsanker mit aller Kraft hinter der Währungsunion steht. Auch Deutschland muss umsteuern. [...] Dabei läge es an der Bundesregierung, die eigenen Bürger darüber aufzuklären, dass der Euro mehr ist als eine Dienstleistung, die vorm Spanienurlaub den Gang zur Bank erspart."

Berlin soll aus seiner Ecke kommen und vorangehen

Für Barbara Spinelli erklären sich die deutschen Vorbehalte durch "eine Art Melancholie, welche Deutschlands führende Politiker zu überwältigen droht. Diese setzt sich zusammen aus einer Angst vor der Unbeliebtheit, einem instinktiven Misstrauen gegenüber der Außenwelt und einer gewissen Form von Stolz, die das Land dazu bewegt, innerhalb Europas keine politische Führungsrolle einnehmen zu wollen". Die Chronistin der Stampa stellt fest, dass "die zweifache griechische und europäische Krise zugleich auch die Geschichte von Deutschlands schwierigem Loskommen von dieser Melancholie ist" sowie die des "langsamen, zögernden Heranreifens eines Landes, das akzeptiert, den Ausweg aus der Krise anzuführen, indem es wieder anfängt, an Europa zu glauben".

Barbara Spinelli führt "die neuen Ängste Deutschlands" und "sein neues Misstrauen" darauf zurück, dass Frankreich 1994 den deutschen Vorschlag einer engeren politischen und militärischen Union ablehnte. Dort, so meint sie, liegen die Gründe für "den durch das [deutsche] Verfassungsgericht verkörperten Widerstand" und das "schwache europäische Leadership, das Angela Merkel ausübt". Soll sich dies ändern und soll Berlin die Führungsposition wiederfinden, die ihm geziemt, so schließt Spinelli, "muss nicht nur Deutschland wieder damit beginnen, an die Union zu denken, sondern ganz Europa – angefangen bei Paris – über sich selbst und die deutschen Schwierigkeiten reflektieren. Die großen Krisen geben dazu Gelegenheit."

Handelsblatt startet Aktion "Ich kaufe griechische Staatsanleihen"

Doch heute seien innerhalb der Union die großen Länder wieder tonangebend geworden, titelt das NRC Handelsblad. Die niederländische Tageszeitung weist darauf hin, dass die griechische Krise "eine neue geopolitische Realität innerhalb der Europäischen Union" enthüllt. "Nach einer langen Zeit des starken Einflusses der Europäischen Kommission halten nun eher die Länder die Zügel in der Hand. Das soll heißen: die großen Länder." Und in der aktuellen Krise "sitzt ein nationaler Minister am Steuer", nämlich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. "Er versteckt sich [...] hinter dem IWF und der EZB, doch die beiden Institutionen arbeiten nur die technischen Details von Reformen und Haushaltskürzungen aus, die von Schäuble vorgegeben werden und von den Griechen nicht akzeptiert werden können."

Angesichts der Zweifel hat das Handelsblatt beschlossen, in Aktion zu treten. "Das Handelsblatt als größte Wirtschafts- und Finanzzeitung im Euroraum will in dieser aufgewühlten Debatte eine Stimme der Vernunft sein", schreibt der neue Chefredakteur Gabor Steingart. Gesagt, getan: Die Zeitung startet eine Kampagne namens "Ich kaufe griechische Staatsleihen", indem sie dazu aufruft, Athen zu helfen und selber 8000 Euro in griechischen Anleihen anlegt. "Staaten allein können Griechenland nicht retten. […] Die Stabilisierung der Lage kann nur gelingen, wenn sich das Land am freien Kapitalmarkt finanzieren kann. Gefragt ist ein Beitrag der großen Banken. Gefragt ist aber auch ein Europa der Bürger, das den Griechen einen Vorschuss gewährt – einen Vorschuss vor allem an Vertrauen." (pl-m)

Aus Madrid

Europäische Banken in der Schusslinie

Die Tageszeitung El Mundo betont, dass "die EU den größten Rettungsplan der Geschichte startet, um ihren Banksektor zu beruhigen", denn ein großer Teil der 110 Milliarden Euro, die Griechenland im Austausch gegen den Strukturplan erhält, wird dazu dienen, die Schulden bei Gläubigern zu tilgen, "die vorwiegend europäische Banken sind" und "zwei Drittel der Staatsschulden halten". Die Tageszeitung aus Madrid betont, die meistbetroffenen Banken seien die französischen, mit Anleihen in Höhe von 56 Milliarden Euro, gefolgt von den deutschen (34 Mrd. Euro) und den britischen (11 Mrd. Euro). Sogar Portugal, ein weiteres Risikoland, besitzt 7,8 Milliarden Euro an griechischen Verbindlichkeiten. Die Tatsache, dass "ein Drittel der portugiesischen Schulden in spanischer Hand liegt", sei ein indirektes Risiko für Spanien, das in Höhe von 9,8 Mrd. Euro (12 Prozent) zum europäischen Hilfsplan beitragen wird. El Mundo erinnert in einem Editorial daran, dass, falls die Regierung nicht sofort Maßnahmen ergreift, "die Situation der spanischen Wirtschaft Parallelen zur griechischen aufweisen könnte".

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema