Angela Merkel

Wenn wir endlich wissen, was Deutschland will

Die Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank am 2. August wird über das Schicksal von Spanien und Italien entscheiden. An diesem Tag werden wir auch endlich herausfinden, wer über den deutschen Standpunkt in der Krise entscheidet, die Bundeskanzlerin oder der Präsident der Bundesbank.

Veröffentlicht am 1 August 2012 um 15:01
Angela Merkel

Den Analysten zufolge, die das Vorgehen Deutschlands in Europa am schärfsten kritisieren, gibt sich Berlin am Anfang der Krisen immer unnachgiebig, erklärt sich auf halbem Weg bereit, seine Meinung zu ändern, kehrt schlussendlich wieder zum ursprünglichen Standpunkt zurück und beharrt auch im entscheidenden und endgültigen Augenblick darauf.

Wie verhält sich Deutschland nun in dieser Phase des existenziellen Zweifels am Euro? Einige Tage lang schienen die Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble den Vorschlag der südeuropäischen Länder wie Spanien und Italien zu akzeptieren.

Demnach sollte die Europäische Zentralbank (EZB) zusammen mit den europäischen Rettungsfonds den verschuldeten Staaten zu Hilfe eilen. Deutschland wurde dabei von Frankreich, seinem traditionellen Partner, der befürchtet, von Berlin vernachlässigt zu werden, unterstützt.

Rollenverteilung zwischen Kanzlerin und Bundesbanker?

Die öffentliche Meinung tendiert derzeit dazu zu betonen, dass Deutschland seinen Standpunkt geändert hätte, obwohl die beiden denkenden Köpfe in dieser Angelegenheit sich weder für den Aufkauf der Staatsschulden noch für sonstige Maßnahmen ausgesprochen haben. Das deutsche Establishment, an dessen Spitze die Bundesbank steht, drückt sich jedoch sehr klar gegen den Vorschlag aus. Hinter dieser emblematischen Institution stehen einflussreiche Ökonomen, Politiker und Unternehmen, deren Argumente bereits bekannt sind, deswegen lohnt es sich nicht, sie hier zu wiederholen.

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Interessanter wäre es herauszufinden, ob der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, wirklich nicht mit der Auffassung der Regierung Merkel einverstanden ist, oder ob es sich lediglich um eine Verteilung der Rollen handelt, eine Hypothese, die die Kanzlerin in der Vergangenheit bereits auf alle nur mögliche Arten von sich gewiesen hat.

Es ist offensichtlich, dass Angela Merkel sich nicht schon wieder an den Bundestag wenden kann, um mehr Mittel für eine weitere Rettungsaktion zu fordern. Das hatten Spanien und Italien angesichts der hohen Zinsen an den Märkten gehofft, bis der EZB-Chef Mario Draghi letzte Woche seine magische Ansprache hielt.

Merkel auf Bundesbank-Linie — der Albtraum

Die Kanzlerin hat keinen politischen Spielraum für die Inszenierung einer umfassenden Rettung. Angesichts des starken Drucks der Märkte ist es für sie am bequemsten, die Akte der EZB beziehungsweise auf Landesebene der Bundesbank in die Hand zu drücken. Die Bundesbank, die das Manöver erkannte und weiß, dass sie das Risiko der Verluste auf sich nehmen muss, wenn die Operation scheitert, beharrte auf ihrem Standpunkt. Das wäre daher wohl eher eine Logik der Kollision, nicht der Rollenteilung.

Wenn sich dieses Szenario bewahrheitet, wird der Rat der EZB am Donnerstag Zeuge einer Konfrontation zwischen den südeuropäischen Zentralbanken und den meisten Regierungen des Euroraums, Berlin eingeschlossen, einerseits und der Bundesbank und einigen verbündeten Notenbanken andererseits. Ein historisches Ereignis.

Im zweiten Szenario würde Merkel sich hinter die Bundesbank stellen, und Draghi trotzdem Maßnahmen versprechen. Dann würden wir am Donnerstag vor einem wahrhaften Fiasko stehen, mit einer EZB, der kaum Spielraum bleibt und die von den Mächten der Eurozone desavouiert wird, auch wenn sie die offizielle Abstimmung gewinnt. Ein Albtraum.

Meinung

Euro retten, ohne den Deutschen Angst zu machen

„Die ganze Welt [hat] Angst, dass die Lösung der Krise erneut an den deutschen ordnungspolitischen Vorstellungen scheitern wird – vor allem der Idee, die Notenbank dürfe keine Staatsanleihen kaufen“, konstatiert die Frankfurter Rundschau und verteidigt in ihrem Leitartikel einen Eingriff der Europäischen Zentralbank in der Eurokrise. Dazu will die linksliberale Tageszeitung jene Argumente widerlegen, die gegen eine solche Option sind, angefangen mit dem Verbot, Staaten indirekt zu finanzieren.

Das Mandat der EZB lautet, Preisstabilität zu garantieren. [...] Wenn derzeit die Preisstabilität gefährdet ist, dann von unten her. Denn es deutet mehr auf fallende Preise hin denn auf Inflation. [...] Staatsanleihekäufe gegen deflationäre Tendenzen, zumindest aber zur Stabilisierung der Realwirtschaft, voll vom Mandat gedeckt.

Dass gerade die Märkte, die seit Anfang der Finanzkrise schweren Irrtümern erliegen, die Zinssätze der Länder bestimmen sollen, ist für die Rundschau ein Widerspruch.

Ist es da nicht schlauer, Notenbanker die Zinsen bestimmen zu lassen, statt Wohlstand und Arbeitsplätze von der Laune der Spekulanten abhängig zu machen?

Drittens: Die EZB muss am Ende nicht unbedingt die Schulden des Südens auf der Bilanz haben. — Wenn sie es klug anstellt.

Die EZB muss nur glaubhaft einen Zinssatz, sagen wir fünf Prozent, verkünden, ab dem sie unbegrenzt alle langlaufenden Staatsanleihen aufkaufen wird. [...] Wetten, dass sie keinen Cent ausgeben muss?

Bleibe das valide Argument gegen die EZB-Käufe, da sie undemokratisch sind. Besser wäre es, so die Rundschau, der Rettungsschirm ESM kaufe die Anleihen, mit unbegrenztem Zugriff auf die Liquidität der EZB. Er untersteht immerhin den Finanzministern.

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