Draghi, der einzige Staatsmann

Am 6. September will der Präsident der Europäischen Zentralbank ankündigen, dass sein Institut durch den Ankauf von spanischen und italienischen Anleihen versuchen wird, die Euro-Krise zu lösen. Auch wenn diese Maßnahme von Deutschland abgelehnt wird, kann sie dennoch den Weg in die Zukunft Europas weisen.

Veröffentlicht am 3 September 2012 um 15:07

An der Euro-Front vernimmt man nach der Urlaubszeit nur einen einzigen Namen: Mario Draghi. Diesem Mann wird sein elegantes Lächeln schon nicht vergehen. Soviel steht fest. Und er wird auch weiterhin höflich sein. Zumal dies seine Art und Weise ist, bei schlechtem Wetter Ruhe und Gelassenheit an den Tag zu legen. Dabei stand es noch nie schlechter um die Zukunft der Einheitswährung, die nun fast ausschließlich in den Händen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt. Auch wenn das ungemein beruhigend ist: Dieser Italiener ist ein wahrer Europäer – eine derzeit ungemein seltene Spezies, wenn man sich unter den Führungskräften der Unionsländer umschaut.

Madrid und Rom haben mutige Entscheidungen getroffen

Um den Euro zu retten, brauche es „außergewöhnliche Maßnahmen“, erklärte Draghi letzte Woche in der Zeit und fügte hinzu, dass er dazu bereit sei. Im Klartext bedeutet das: Die EZB bringt ein Anleihenkaufprogramm auf den Weg, um die zwei großen krisengebeutelten EU-Länder zu entlasten, die dem Druck der Märkte nur schwer standhalten: Spanien und Italien.

Damit liegt er richtig: Madrid und Rom haben mutige Entscheidungen getroffen, um einige ihrer Übel an der Wurzel zu packen. Für die drastischen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und die Strukturreformen zahlen Italiener und Spanier einen hohen Preis. Die Finanzmärkte aber kümmert das wenig. Für die Staatsanleihen dieser Länder fordern sie unaufhörlich Wucherzinsen.

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Die Märkte vertrauen nur der EZB

Das ruiniert die Eurozone. Die Strafen, die zwei der größten Wirtschaftssysteme der siebzehn [Länder] damit aufgebürdet werden, zieht das von massiver Arbeitslosigkeit und ausgeprägter Wachstumsschwäche sowieso schon deprimierte Europa noch weiter nach unten. Angesichts der Bemühungen dieser zwei Länder ist das Zinsgefälle im Vergleich zu Deutschland einfach nicht zu fassen. Kein einziger makroökonomischer Grundsatz rechtfertig [einen solchen Unterschied]. Letztlich sagt man sich mit einem solchen Gefälle selbst von der Einheitswährung los.

Die Märkte vertrauen nur der EZB. Indem Mario Draghi durchblicken ließ, was er im Schilde führt, hat er den Sommer gerettet: Die Zinssätze für spanische und insbesondere italienische Anleihen sind zurückgegangen. Am kommenden Donnerstag wird Draghi sein Maßnahmenprogramm in allen Einzelheiten vorstellen müssen. Vielleicht lässt er auch noch eine Woche vergehen und wartet erst die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts ab. Dieses wird am 12. [September] entscheiden, ob der Euro-Rettungsschirm ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) verfassungskonform ist.

Die Puristen von der Bundesbank

Draghi hat Unterstützung von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten François Hollande, die sich im Sommer ein wenig nähergekommen sind. Die Puristen von der Bundesbank sind nunmehr die einzigen, die sich sträuben und vor einer drohenden Inflation warnen. Um Spanien und Italien vor dem Untergang zu retten, schlagen sie aber auch keinerlei Alternativlösungen vor. Sollen Sie doch schweigen!

Für ein Eingreifen der EZB stellt Draghi harte Bedingungen. Die Länder müssen ihre Reformen fortsetzen und die Regierenden der siebzehn Euroländer müssen die Renovierungsarbeiten an der Euro-Architektur zu einem erfolgreichen Ende bringen. Das schulden sie dem Italiener, wenn er sie schon rettet. In diesem Durcheinander muss zudem der Fiskalpakt unter Dach und Fach gebracht und erste Schritte auf dem Weg zu einer Bankenunion zurückgelegt werden. Schließlich soll es doch nicht eines Tages heißen, der Chef der EZB wäre der einzige Staatsmann der Eurozone gewesen!

Europäische Union

Gefährliche Zeitverschiebung

„Leben die Europäer in Paris, Brüssel und Berlin in der gleichen Zeitzone? Eine berechtigte Frage, hört man auf den Korridoren der Macht in den drei Hauptstädten genau hin”, meint La Tribune.

Die Wirtschaftszeitung stellt fest, dass sich in Frankreich „die sozialistische Regierung zur Ratifizierung des EU-Haushaltsvertrages durchzuringen versucht. In Brüssel spricht man nicht über Verabschiedung dieses Vertrages… sondern um dessen Umsetzung und mögliche Folgen”. In Deutschland dagegen „wird der Monat September als derjenige in Erinnerung bleiben, in dem die Idee eines umfangreichen EU-Reformabkommens geboren wurde.”

La Tribune zufolge „befindet sich Paris bei diesem Schuljahresbeginn im Jahr 2011, Brüssel im Jahr 2012, während Berlin bereits im Jahr 2013 angekommen ist. Dieses asynchrone Zeitverständnis ist sehr gefährlich.”

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