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Technokratie, Nährboden des Euroskeptizismus

Herman Van Rompuy und Mario Monti fordern einen Sondergipfel gegen den „spalterischen Populismus“. Doch zu einem Zeitpunkt, an dem das Demokratiedefizit in der Funktionsweise der Union immer heftiger in die Kritik gerät, sei dieser Vorschlag denkbar deplatziert, meint ein spanischer Politologe.

Veröffentlicht am 12 September 2012 um 14:19

Am 8. September haben der italienische Ministerpräsident Mario Monti und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sich für einen Sondergipfel in Rom ausgesprochen. Man wolle über die europäische Idee und über die Mittel und Wege beraten, um gegen Populismus und Euroskeptizismus anzukämpfen. Eine wichtige Frage in einer Zeit, in der populistische Formierungen jedweder Couleur nicht nur immer mehr Macht gewinnen, sondern auch immer effizienter die öffentliche Meinung beeinflussen.

Ihr Schlachtruf: Nein zur europäischen Integration, im Namen des Volks und seiner Souveränität. Nun kommt diese Initiative aber von zwei Vertretern mit sehr schwacher demokratischer Legitimität, und er könnte sich als bedenklich erweisen, wenn die verschiedenen Formen des Populismus mit der berechtigten Kritik an den aktuellen Methoden der EU über einen Kamm geschoren werden sollten.

Wäre das Thema nicht so ernst, könnte man über das Paradox nur lächeln: Ausgerechnet jene zwei Mitglieder des Europäischen Rates, die sich nie einer Wahl haben stellen müssen, schlagen nun einen Gipfel vor, um die Menschen vom Irrtum des Euroskeptizismus zu überzeugen. Sie tun dies im Zuge des Ambrosetti-Forums, wo in einem Luxushotel am Comer See alljährlich Politiker und Unternehmer von Rang und Namen aus Italien und aus aller Welt zusammenfinden. Eine Veranstaltung ähnlich jener von Davos. Die Elite aus Politik und Wirtschaft trifft sich, um — weit weg vom gemeinen, lärmenden Volk — über den Lauf der Welt zu debattieren.

Monti und Rompuy schlagen nichts weniger vor als... einen weiteren Sondergipfel! Dabei leidet Europa schon unter dem Gipfel-Wahn und ist dieser Treffen auf höchster Ebene mit ihren mageren Ergebnissen überdrüssig. Ein weiteres organisieren zu wollen sagt viel darüber aus, wie sehr man die Menschen über die Kluft zwischen Politik und der Mehrheit der Bürger hinwegtäuschen will.

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Die Methode Monnet

Van Rompuy und Monti sind die zwei Varianten eines technokratischen Europas, dass viele Menschen — und nicht nur Populisten — hinter sich lassen wollen. Van Rompuy wurde überraschend nach einem informellen Essen der Staats- und Regierungschefs ernannt. Man suchte ein aalglattes Profil für einen Posten, der ohnehin keine Möglichkeit bietet, auf irgendeine Art und Weise in die internen, politischen Entscheidungsprozesse einzugreifen oder gar einen direkten Zugang zum Bürger zu haben. Rompuy personifiziert alle Widersprüche einer verkorksten Institution, die mit dem Vertrag von Lissabon zustande kam. Die Staaten waren entschlossen, keine charismatische Figur zu dulden, die ihnen etwas entgegensetzen könnte.

Und Monti verkörpert den neuen Typus der technokratischen Macht, welche die politischen Mechanismen der Mitgliedsstaaten bis an ihre Grenzen zwingt. Die Technokraten sollen nun die gewählten Volksvertreter ersetzen, wenn diese nicht in der Lage sind, in einem vorgegeben Zeitraum und auf glaubwürdige Art und Weise Haushaltseinschnitte durchzusetzen, die in den europäischen Entscheidungszentren beschlossen wurden — sprich in Brüssel, Frankfurt (Sitz der EZB) und Berlin.

Die Krise der Gemeinschaftswährung stellt die mittlerweile sechzig Jahre alte Methode von Jean Monnet in Frage, die europäische Integration geräuschlos, mit kleinen Schritten voranzutreiben, bis die Übertragung von Souveränität unausweichlich geworden ist. Was über diese Methode hinaus heute in Frage gestellt wird, ist die Legitimität mancher Politiker, die für die Bürger der Mitgliedsstaaten so weittragende Entscheidungen treffen, ohne sich jemals der Stimme des Volkes stellen zu müssen.

Monti und Van Rompuy — beide in den Vierzigerjahren geboren — verkörpern nicht die Zukunft. Sie sind die letzten Vertreter einer Gruppe, die im Namen des Friedens für das Wohl der Menschen regieren wollen, ohne dabei zu erkennen, dass dazu die demokratische Basis dieses Projekts gestärkt werden muss.

Verbesserung des demokratischen Systems

Anzuerkennen ist allerdings, dass beide Politiker grundsätzlich richtig liegen: Es ist wichtig, über Politik zu reden und das Projekt der europäischen Integration nicht nur gegen Angriffe der Finanzmärkte zu verteidigen, sondern auch gegen das Desinteresse der Bürger. Aber wie können diese beiden das Demokratiedefizit beseitigen, welches der Nährboden des Populismus ist? Ihre Initiative könnte umso mehr fehlschlagen, sollten sie gegen absolut demokratische Positionen vorgehen wollen, während ihre eigene — indirekte — Legitimität extrem angreifbar ist.

Bis dato war der Skeptizismus der Feind, den es für die Befürworter eines vereinten Europas zu bekämpfen galt. Heute stellt er sich als ein wichtiger Teil der europäischen Debatte heraus. Hätte man ihm in den vergangenen zwei Jahrzehnten in den Grundsatzdebatten mehr Platz eingeräumt, hätten vermutlich einige Konstruktionsfehler der europäischen Integration vermieden werden können, was uns einen Teil der heutigen Turbulenzen erspart hätte.

Anstatt Populisten und Euroskeptiker anzugreifen, täten die Entscheidungsträger der Union besser daran, sie mit einer Verbesserung des demokratischen Systems zum Schweigen zu bringen. Auf lange Sicht wäre es bedauerlich, wenn uns Demokraten nur die Wahl zwischen Populisten und europhilen Technokraten ließen. (js)

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