EU will Tauschhandel für Gensaat

Die Kommission will vermehrt Zulassungen für gentechnisch manipulierte Pflanzen vergeben und den einzelnen Staaten die Entscheidung über ein Verbot überlassen. So möchte sie den Ländern entgegenkommen, die ihre gentechnisch manipulierten Kulturen ausbauen wollen und es gleichzeitig den kritisch eingestellten Ländern ermöglichen, den Anbau zu unterbinden.

Veröffentlicht am 10 Juni 2010 um 13:56

Hat die Europäische Kommission endlich einen Weg gefunden, die knifflige Frage der GVO (Gentechnisch veränderter Organismus) zu lösen? Auf dem Kontinent, der die Genmanipulation von Pflanzen mit kritischen Augen sieht, werden nur 100.000 Hektar von ihnen kultiviert. Im Rest der Welt sind es hingegen 134 Millionen. Der Präsident der Kommission José Manuel Barroso hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er diesem Zustand gerne ein Ende setzen würde.

Nun untersucht Brüssel die Möglichkeit, den Staaten mehr Handlungsspielraum beim Verbot des Anbaus von GVO-Saatgut einzuräumen, selbst wenn dieser auf europäischer Ebene legal ist. Im Gegenzug sollen die Staaten aufhören, die gegen Biotechnologien sind, die Approbation neuer gentechnisch manipulierter Sorten zu blockieren. Im Juli soll der Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz John Dalli einen konkreteren Entwurf vorlegen. Dieser muss daraufhin vom Europäischen Rat und vom Parlament abgesegnet werden. Frankreich hat jedoch darum gebeten, dass das Thema schon ab Freitag, dem 11. Juni, beim Umweltrat in Luxemburg auf den Tisch kommt.

Acht Staaten gegen den Anbau von Gensaat auf ihrem Boden

Wie sieht nun konkret die geplante Disposition aus? John Dalli beabsichtigt, die derzeitige Gesetzgebung dahingehend zu verändern, dass die Staaten GVOs verbieten können ohne eine Rücktrittsklausel einbauen zu müssen. Eine Ausnahmeklausel ("opt-out ") soll eingeführt werden, auf die sich die Regierungen ohne besonderen Grund berufen können, um die eine oder andere Kultur zu verbieten. Die Zielsetzung ist klar: Das derzeitige europäische Zulassungssystem von GVOs soll beibehalten werden, während den Mitgliedsstaaten gleichzeitig mehr Autonomie eingeräumt wird, vor allem im politischen Bereich. Zu diesem Zeitpunkt haben die Rücktrittsklauseln vor allem gesundheitliche und umweltschützerische Gründe. Ist dies nicht der Fall, riskiert die Europäische Union Klagen der Welthandelsorganisation (WTO).

Im März hat das Kollegium der Europakommissare eine lange Blockade beendet, indem es den Anbau der Kartoffelsorte Amflora genehmigte. Dies ist nach dem Mais MON 810 von Monsanto die zweite Zulassung in Europa. Umweltschützer kritisieren diese Bewilligung heftig. Daher hat Dalli versprochen, seine Ansichten zum europäischen Planungsziel bis zum Sommer genauer zu formulieren. Die Eurokraten stellen fest, dass der derzeitige Rahmen acht Länder – unter ihnen Deutschland, Frankreich, Österreich und Ungarn – nicht davon abgehalten hat, sich dem Anbau des einen oder anderen GVOs auf ihrem Boden mit Hilfe einer Rücktrittsklausel zu widersetzen. In vier Fällen hat die Kommission versucht, die Verbote aufzuheben, deren wissenschaftliche Gültigkeit von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Frage gestellt wird. Die Staaten haben diese Vorschläge aber nicht übernommen.

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Vermarktung und Handel können nicht begrenzt werden

Der neue Ansatz versucht, eine Änderung des derzeitigen juristischen Rahmens mit neuen Richtlinien zur Koexistenz von genmanipulierten und unveränderten Kulturen zu verbinden. Die Kommission versucht außerdem, den Einfluss dieser Reform auf den Binnenmarkt zu reduzieren: Die Vermarktung und der Handel mit gentechnisch manipulierten Produkten könnte nicht begrenzt werden, denn das "opt-out" bezieht sich nur auf den Anbau. Die Dokumente der Kommission weisen darauf hin, dass "der Freihandel mit autorisiertem GVO-Saatgut [...] im Rahmen des Binnenmarktes unbeschränkt bleiben muss". Sie sieht eine Umgestaltung der EFSA nicht vor, deren Betrieb heftig kritisiert wurde.

Paris ist zum Beispiel daran gelegen, dass diese neuen Vorschläge die Roadmap nicht beeinträchtigen, die Ende 2008 einstimmig von den Mitgliedsstaaten während der französischen Präsidentschaft der Union angenommen wurde, um das Zulassungsverfahren und das Funktionieren der EFSA genauer unter die Lupe zu nehmen.

Kritiker warnen vor Zeitmangel bei Kontrollen

Das französische Agrarministerium ist gegen die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf GVO-Kulturen, das, so wird gesagt, zu Wettbewerbsverzerrung führen könnte. Das Umweltministerium legt den Akzent auf das durch die Rücktrittsklauseln verfolgte Ziel der Sicherheit, seine Saat ohne das Risiko einer Verunreinigung anbauen zu können.

Bei Greenpeace Frankreich ist Arnaud Apoteker der Auffassung, dass diese Vorschläge hinter ihrem "verführerischen" Aspekt eine Falle darstellen: "Der Text verheimlicht keineswegs, dass es darum geht, das Zulassungsverfahren zu beschleunigen. Obwohl die Bewertung der GVOs derzeit nicht zufriedenstellend umgesetzt wird."

Für James Borel, ein Manger der amerikanischen Agrarchemie-Gruppe DuPont stellt der Vorschlag aus Brüssel "einen großen Schritt nach vorne" dar, selbst wenn er nicht "ideal" ist. Auf dem Schreibtisch des Kommissars Dalli liegen schon drei Zulassungsanfragen für den Mais BT 11 der Schweizer Gruppe Syngenta, BT 1507 der amerikanischen Gruppe Pioneer (Filiale von DuPont) und MON 810 vom amerikanischen Monsanto, um dessen Zulassung zu verlängern. (sd)

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