Regierungschef Mariano Rajoy und der Präsident Kataloniens Artur Mas. Die roten Streifen aug gelbem Grund beziehen sich auf die katalanische Flagge.

Katalonien, neuer Problemfall für die EU

Das reiche und verschuldete Katalonien will nicht mehr für einen hoch verschuldeten Staat zahlen und droht sowohl Madrid als auch Brüssel mit der Unabhängigkeit. Die Debatte über die Steuerhoheit der autonomen Provinz erinnert an die Haltung Deutschlands gegenüber den südeuropäischen Ländern, meint der Journalist von El País.

Veröffentlicht am 24 September 2012 um 14:53
Regierungschef Mariano Rajoy und der Präsident Kataloniens Artur Mas. Die roten Streifen aug gelbem Grund beziehen sich auf die katalanische Flagge.

Krisen verlocken zu vereinfachenden Darstellungen. Die Deutschen, die davon überzeugt zu sein scheinen, dass der Zusammenbruch der Wirtschaft auf das verantwortungslose Haushalten der südeuropäischen Sünder zurückzuführen ist, machen aus der europäischen Krise eine moralische Fabel, in der die Schuldigen bestraft werden müssen. Vor dem Hintergrund dieser falschen Annahme wird es immer schwieriger, Lösungen zu finden.

Die Solidaritätsmechanismen greifen nicht mehr, in Nordeuropa wächst das Misstrauen, während das Ressentiment gegen Deutschland (oder Europa) in Südeuropa steigt und die extremistischen Parteien in den letzten Wahlen immer mehr Zulauf verzeichnen. Der Zwist zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung ist ähnlich gelagert und erinnert an die Situation in der Europäischen Union.

Die katalanischen Wirtschaftsprobleme seien, wenn man den EU-Analysten Glauben schenkt, auf die der gigantischen Immobilienblase folgende Rezession und die Maßnahmen der Regierungen im Laufe der Jahre zurückzuführen, nicht auf die mehr als fragwürdige Plünderung Kataloniens durch die Zentralregierung (obwohl das Finanzierungssystem nicht perfekt ist und die Höhe des Haushaltsdefizits strittig sein mag), die die Separatisten anführen, um ihre Forderungen zu rechtfertigen. Brüssel nahm diese Polemik zuerst mit Überraschung zur Kenntnis und verfolgt sie nun auf dem Höhepunkt der spanischen Krise mit wachsender Besorgnis.

Katalonien, das Deutschland Spaniens

Katalonien ist selbstverständlich nicht Deutschland, schließlich gehört es selbst zu den Opfern der Krise und der Arbeitslosigkeit. Aber in anderer Hinsicht funktioniert die Analogie: Der reiche Norden will mitten in der Krise wieder einmal die Solidarität einschränken.

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Die Debatte alarmiert Brüssel. „Katalonien ist ein weiterer Grund zur Beunruhigung. Spanien hat schon genug Probleme. Und jetzt stellt sich heraus, dass eine der reichsten Provinzen den Staat um Rettung bittet und sozusagen am selben Tag mit der Unabhängigkeit droht und einen Fiskalpakt durchsetzen will, der letztendlich darauf abzielt, der Staatskasse weniger Mittel zur Verfügung zu stellen, jetzt, wo die Gesundheit der öffentlichen Finanzen angezweifelt wird“, bestätigt ein Diplomat.

Der katalanische Ministerpräsident Artur Mas versuchte mehrmals, in Brüssel Verständnis für seine Forderung nach einem neuen Finanzierungssystem für seine Provinz zu finden. Er unterhielt sich auch mit dem Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, und dem Vorsitzenden des EU-Parlaments, Martin Schulz. Also praktisch mit der gesamten EU. Aber abgesehen von den üblichen Zweideutigkeiten erinnern sich die von uns Befragten an keine einzige Andeutung auf die separatistischen Bestrebungen Kataloniens.

„Wir verzichten nicht darauf, was wir sind. Mehr Katalonien und mehr Europa heißt unser Motto“, erklärte Artur Mas den Medienvertretern bei einem seiner Besuche. Auf die Frage, ob er vielleicht „weniger Spanien“ meinte, erwiderte er: „Nein, wir denken positiv, wir bekräftigen, wir verneinen nichts.“ Brüssel reagierte zuerst mit Ungläubigkeit. Dann folgte eine klare Warnung.

„Einige katalanische Forderungen stoßen auf ein gewisses Wohlwollen. Aber Katalonien hat eine gefährliche Grenze überschritten. Das Streben nach einem besseren Finanzierungssystem ist verständlich, aber nicht einmal die Deutschen, die einen beispielhaften Bundeshaushalt haben, können nachvollziehen, wie man so leichtfertig mit der Unabhängigkeit drohen kann. Die separatistischen Bestrebungen lösen in Brüssel Alarm aus, da man befürchtet, sie könnten in anderen Ländern Nachahmung finden“, bestätigte ein europäischer Beamter.

Das Prinzip des Sparkommissars

Selbstverständlich würde die Unabhängigkeit Kataloniens rechtliche Fragen aufwerfen, wie es der elegant verfasste Artikel 4.2 des Vertrags über die Europäische Union vorsieht. Immer mehr Beschlüsse der EU werden mit der qualifizierten Mehrheit getroffen. Nur die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten wird auch in Zukunft die Einstimmigkeit erfordern. Dieser Mechanismus könnte die katalanischen Bestrebungen eindämmen.

Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Durão Barroso, hat die Doktrin in dieser Hinsicht erläutert. Bislang handelt es sich um eine innenpolitische Angelegenheit, die nur Spanien etwas angeht. Sollte es wirklich zu einer Sezession kommen, „wird der Fall nach dem internationalen Recht geregelt“.

Die konservative spanische Zentralregierung meint irrtümlich, am Haushaltsdefizit seien die autonomen Provinzen schuld. Ihre Drohung, die Kompetenzen wieder zu zentralisieren (wobei ihr die von Brüssel auferlegten Maßnahmen als Vorwand dienten), erregt das Misstrauen der katalanischen Regierung und erklärt deren Reaktion zumindest teilweise. Auch hier ist wieder eine Parallele zu Europa zu finden: Die Troika schickt ihre Sparkommissare nach Madrid und Madrid schickt seine Sparkommissare in die geretteten Provinzen wie Katalonien.

MEINUNG

Föderalismus als Lösung?

„Das Parlament bereitet eine Hoheitserklärung vor”, titelt die katalanische Tageszeitung La Vanguardia. Drei bürgerlich-konservative Parteien, darunter die Regierungspartei der Region CiU (Convergència i Unió), werden in Kürze eine Erklärung über den „Geist” der separatistischen Bestrebungen Kataloniens abgeben. Der Ruf nach Autonomie kam bei der Demonstration vom 11. September in Barcelona klar zum Ausdruck. Vorgezogene Regionalwahlen könnten schon diesen Herbst stattfinden und zu einer Art Volksabstimmung über die Unabhängigkeit werden. Die angekündigte Erklärung dürfte aber bereits für einen Aufruf zum Autonomie-Referendum genutzt werden.

Die Krise zwischen der Zentralregierung in Madrid und der katalonischen Regionalregierung wirft die Frage nach dem territorialen Organisationsmodell des Königreiches auf. Mitten in der tiefen Krise stellt dies eine große Herausforderung dar,fasst Juan Luis Cebrián zusammen. Der Direktor der Tageszeitung El País glaubt, dass...

ein Staatspakt notwendig ist, wenn wir die drei Krisen bewältigen wollen, unter denen wir leiden : die Wirtschaftskrise, die institutionelle Krise in Spanien und die der europäischen Konstruktion. [...] Steuersouveränität zu fordern, während Europa diese teilen will, scheint ein Widerspruch zu sein. [...] Die Besonderheit Kataloniens kann sich nur in einem föderalen Staat entfalten, [denn] die Trennung von Spanien würde Katalonien unaufhaltsam in den Untergang führen.

Enric Juliana wundert sich über diesen Artikel und die Befürworter eines föderalen Modells wie den ehemaligen Ministerpräsidenten Felipe González und fragt sich, woher „diese plötzlichen Föderalismus-Demonstrationen” kommen. Der stellvertretende Direktor und Madrid-Korrespondent der La Vanguardia stellt fest, dass...

ein Phantom durch Spanien geistert. [...] Es handelt sich um den Versuch, eine schnelle und intelligente Antwort auf die ungewisse Revolte in Katalonien zu geben. Das Zaubermittel heißt Föderalismus [...] Der bislang verpönte asymmetrische Föderalismus findet ungeahnte Anhänger. [...] Die Grundeinstellungen haben sich nicht geändert. Nur der Ton wurde angepasst.

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