Für ihn war der EU-Vorsitz anstrengend. Der spanische Regierungschef José Luis Zapatero.

Madrid, einer badet für alle aus

Die sechs Monate an der Spitze der Union waren für die spanische Regierung beschwerlich. Die Wirtschaftskrise, die Umsetzung des Vertrags von Lissabon und der mangelnde strategische Weitblick der EU haben ihr Handeln beeinträchtigt. Eine bezeichnende Situation, die offenbart, wie dem System des wechselnden Vorsitzes die Luft ausgeht.

Veröffentlicht am 30 Juni 2010 um 15:09
Für ihn war der EU-Vorsitz anstrengend. Der spanische Regierungschef José Luis Zapatero.

Einen Tag vor Ende des spanischen EU-Vorsitzes ist der Versuch, Bilanz zu ziehen, natürlich unvermeidbar. Unvermeidbar heißt allerdings nicht einfach. Erstens ist es noch zu früh, um den Einschlag der wichtigsten, dieses Halbjahr angenommenen Maßnahmen zu beurteilen – selbst wenn dieses Argument abgedroschen wirken mag. Zweitens, und dieser Aspekt ist fast ebenso wichtig, gibt es keinen Präzedenzfall für einen Vorsitz, wie unser Land ihn tragen musste.

Was die Maßnahmen selbst angeht, so ist die entscheidendste zweifellos die neue Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB). Letztere wurde aufgrund der im letzten Monat getroffenen Entscheidungen endlich umstrukturiert, im Hinblick auf eine sich am Horizont abzeichnende europäische Wirtschaftsregierung. Bleibt nur noch abzuwarten, ob es sich da um eine konjunkturelle oder eine strukturelle Änderung handelt. Anders gesagt: Wird die rigoristische Koalition unter Deutschlands Leitung darauf bestehen, dass sich die EZB wieder ausschließlich um die Inflation kümmert, wenn die aktuelle Finanzkrise abgeebbt ist? Es wurde also Geschichte geschrieben, wenn auch nicht unbedingt groß geschrieben. Eines ist sicher, der Kampf um die Reglementierung der Finanzmärkte ist noch lange nicht abgeschlossen – und wird es wahrscheinlich nie sein, da es sich dabei von Natur aus um einen sowohl wandelbaren als auch heiklen Vorgang handelt.

Der ursprüngliche Enthusiasmus wurde duch die Umstände gedämpft

Die andere wesentliche Maßnahme hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen ist die Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Der EAD wirft in der Handhabung der europäischen Außenpolitik sowie für ihre Verantwortungsträger die Spielregeln völlig um. Bis jetzt neigten Mitgliedsstaaten, Rat und Kommission dazu, jeder für sich Krieg zu führen, doch in Zukunft werden diese drei Organe sehr eng integriert sein, zumindest theoretisch. Gewiss, die Außenminister der Mitgliedsstaaten werden ihre zukünftige Rolle sorgfältig überdenken müssen, damit sie einander im Rahmen der entstehenden europäischen Diplomatie ergänzen und nicht mehr überschneiden. Zugegeben, der EAD ist ein sehr dünnes Drahtseil, auf welchem bis zu einer echten europäischen Außenpolitik balanciert werden muss, doch die Sache ist der Mühe wert.

Alles in allem bestand das Hauptziel des Vertrags von Lissabon darin, die Europäische Union auf das Ausland hin neu auszurichten. Was den spanischen Vorsitz an sich betrifft, so ist es angesichts der übermäßig anspruchsvollen Erwartungen sicher, dass der ursprüngliche Enthusiasmus durch die Umstände ziemlich gedämpft wurde. Das Land erlitt im Ausland einen deutlichen Image-Schaden und wurde somit dazu gezwungen, ständig auf der Defensive zu sein. Die Kapazität der Regierung zur politischen Initiative hingegen wurde durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon begrenzt und zu dessen ersten Opfern zählten der Regierungschef [José Luis Zapatero] und der Außenminister [Miguel Angel Moratinos].

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Spanien kam zum Fußballspielen auf ein Basketball-Feld

Dieser Spielraum zog sich noch enger zu in den zwei Schlüsselbereichen, die in diesem Halbjahr vorherrschten: Krisenmanagement und Außenpolitik. Auf diesem letzten Gebiet musste Spanien die strategische Desorientierung der EU ausbaden: Trotz des erfolgreichen Gipfels mit Lateinamerika am 17. Mai, zeigt die Absage der Gipfel mit den Vereinigten Staaten (vorgesehen für Ende Mai) und den Mittelmeerstaaten (vorgesehen für den 7. Juni und auf November vertagt) deutlich, dass Auslandsbeziehungen, die auf der regelmäßigen Wiederholung inhaltsloser Gipfeltreffen ohne jegliches andere Ziel als die Abhaltung des Gipfels selbst beruhen, nicht die geringste Zukunft haben. Und wie Brasilien und die Türkei durch ihre ungewöhnliche Entscheidung, erst eigene Verhandlungen mit dem Iran zu führen und dann gegen die Sanktionen gegen den Iran zu stimmen, in Erinnerung riefen, scheint die EU vergessen zu haben, dass die echte Außenpolitik außerhalb der Gipfeltreffen abläuft.

Um einmal mit einem sportlichen Vergleich auszudrücken, welchen Einfluss das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ausübte: Es war als wäre Spanien zum Fußballspielen gekommen, hätte jedoch in letzter Minute erfahren, dass es Basketball spielen sollte. Abgesehen davon hat sich der spanische Vorsitz trotz des besonders schwierigen Kontexts relativ gut aus der Affäre gezogen. Insbesondere bei der Frage, ob diejenigen Mitgliedsstaaten, welche die für 2020 in den Bereichen Arbeitsmarkt und Wachstum festgelegten Zielsetzungen nicht erreichen, sanktioniert werden sollen oder nicht, waren Winkelzüge erforderlich. Wir sind gespannt darauf, was nun passiert, wenn Belgien mit seiner neuen Regierung (frühestens im September) das übernimmt, was vom wechselnden Vorsitz übrig geblieben ist. Es geht also nicht darum, sich vom spanischen Vorsitz, sondern vielmehr darum, sich endgültig vom Turnus-System zu verabschieden. Die ultimative Ironie: Mit dem spanischen Halbjahr ist der wechselnde Vorsitz nun zur Geschichte geworden. (pl-m)

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