Alexander Lukaschenko im Gespräch mit Journalisten. Minsk, nach den Parlamentswahlen, 23. September 2012.

Lukaschenko: „Ihr seid demokratische Banditen“

Weißrusslands Präsident hat den ehemaligen sowjetischen Staat zu einem isolierten und geächteten Außenseiter gemacht. In einem der wenigen Interviews, die Lukaschenko gibt, versicherte der Staatschef gegenüber dem Independent- Eigentümer Jewgenij Lebedew, dass sein Volk lieber in Sicherheit als in Freiheit lebt.

Veröffentlicht am 23 Oktober 2012 um 11:24
Alexander Lukaschenko im Gespräch mit Journalisten. Minsk, nach den Parlamentswahlen, 23. September 2012.

Angeblich kann man einen Mann danach beurteilen, wie er sein Unternehmen führt. Sollte dies stimmen, sendet Alexander Lukaschenko, der seit 18 Jahren das Amt des weißrussischen Staatspräsidenten innehat, besorgniserregende Signale aus.

Den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, dessen Regime Massaker in Hula und Daraya beaufsichtig, beschreibt er als „großartigen“ und „ausgesprochen europäischen Kulturmenschen“. Die Namen von Oberst Gaddafi und Saddam Husseins fallen mehrere Male.

Lukaschenko sitzt in der falschen Pracht seiner Amtszimmer in Minsk und ruft sich die lauschigen Plaudereien mit dem ehemaligen libyschen Despoten in Erinnerung: „Ich sagte ihm: ,Muammar‚ du musst die Angelegenheiten mit Europa selbst ins Reine bringen!‘ Dann verriet er mir, welche Beziehung er zu Sarkozy unterhielt“ — und wie sich der Westen plötzlich gegen seinen alten irakischen Vertrauten wandte.

„Vor der Irak-Krise traten Gesandte aus Amerika an mich heran. Ich sollte bestätigen, dass der Irak Atomwaffen besitze. Das lehnte ich ab. Sie versprachen mir sogar, dass sich die Investitionslage in Weißrussland verbessern würde, usw. Alles, was ich zu tun hätte, wäre sie zu unterstützen. Ich erklärte ihnen, dass ich das nicht könne, weil ich wusste, dass es dort keine Atomwaffen gab.“

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„Daraufhin antworteten sie: ‚Wir glauben Ihnen. Aber die Kriegsmaschinerie läuft schon auf Hochtouren.’ Ich schwöre Ihnen, dass diese Unterhaltung stattgefunden hat, dass ein Mann Kontakt zu mir aufnahm und wir dieses Gespräch in genau diesem Raum führten.“

Mit diesen Worten lehnte er sich zurück und sah mich eindringlich an. Ein künstliches Feuer flackerte im Kamin. Die Holzklötze aus Kunststoff tauchten seine linke Gesichtshälfte in ein fiebrig glänzendes Licht.

Maulkörbe und Schlagstöcke

„Man nennt das Doppelmoral“, beharrte er nicht ganz ohne Grund. „Die Amerikaner wollen Demokraten aus uns machen. Macht doch erstmal aus Saudi-Arabien eine Demokratie! Sehen wir Saudi-Arabien etwa ähnlich? Weit gefehlt! Warum sollte man keine Demokraten aus ihnen machen? Weil er ein Hurensohn ist. Aber er ist unser Hurensohn.

Ihr seid Banditen. Demokratische Banditen. Ihr habt das Leben von Tausenden, ja vielleicht Millionen Menschen [im Irak und in Afghanistan] zerstört.“ Er wurde lauter: „Der über meinem Kopf schwingende Schlagstock des Westens macht mich an jedem einzelnen Tag meines Lebens demokratischer. Wer braucht eine solche Demokratie?“

In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind autoritäre Regime noch immer weit verbreitet. Lukaschenko hat seine Macht in all den Jahren seit seiner Wahl 1994 nicht ohne politisches Geschick rücksichtslos gefestigt und ausgebaut. Dafür entmachtete er das Parlament und die Justiz und legte den Medien einen Maulkorb an.

Ende 2010 machte sich ein Hoffnungsschimmer auf eine Eisschmelze breit. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Dezember wurden die Beschränkungen gelockert und neun Oppositionskandidaten erstmals zur Wahl zugelassen. Allerdings überdauerte diese Hoffnung den Wahltag nicht. Als sich Demonstranten versammelten, um gegen Lukaschenkos Wahlsieg zu protestierten, den internationale Beobachter als Betrug brandmarkten, wurden Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken eingesetzt.

So etwas wie Reue kennt Lukaschenko nicht. „Im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich oder Amerika haben wir noch nie Wasserwerfer eingesetzt, um tobende Menschenmengen auseinanderzutreiben. Selbst als sie das Regierungsgebäude stürmten, die Tür aufbrachen, Fensterscheiben einschlugen und versuchten, das Gebäude zu besetzen, setzten wir weder Wasserwerfer noch Tränengas ein. Wir setzten auf Polizei- und Sondereinheiten. Daraufhin flüchteten die Schaulustigen und es blieben die Aktivisten übrig: 400 Menschen wurden festgenommen – diejenigen, die die Tür aufbrachen.“

Geschniegelt, gebügelt und leer: Straßen in Minsk

In seinem letzten Jahresbericht hob Amnesty International unlängst Vorwürfe über Folter und Misshandlung in Weißrussland hervor und machte auf die Inhaftierung hunderter Menschen für „Schweigemärsche“ aufmerksam, während der sie sich aus Protest auf öffentlichen Plätzen versammelten und entweder applaudierten oder ihre Mobiltelefone klingeln ließen. Laut Human Rights Watch werden Studenten, die das Regime Lukaschenkos kritisieren, nun sogar von der Universität geworfen und Beamte für dasselbe Vergehen gefeuert.

Der Wirtschaft Weißrusslands tat [Lukaschenkos] Herrschaft eigentlich ganz gut. Auf der Entwicklungsskala der Vereinten Nationen spielte [das Land] als einer der leistungsstärksten ehemaligen Sowjetstaaten durchgängig ganz oben mit. Bereits 2005 bestätigte der IWF, dass [Lukaschenkos] Regierung die Zahl der in Armut lebenden Menschen in den vorangegangenen sieben Jahren halbiert hat und sein Land eines der gerechtesten und stabilsten Einkommensverteilungssysteme der Region besitzt. Die medizinische Versorgung war kostenlos und jeder hatte das Recht auf Bildung.

Um dies zu erreichen hielt der Staat seine schützende Hand ganz nach sowjetischer Art über 80 Prozent der Industriebetriebe und 75 Prozent der Banken. Das ging – ebenfalls nach sowjetischem Vorbild – natürlich zu Lasten der Freiheitsrechte. Kommt man nach Minsk, so ist das so, als betrete man eine Welt, die es – zumindest in den übrigen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion – seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gibt.

Als die UdSSR zusammenbrach war ich zwar ein Kind, kann mich aber noch sehr genau daran erinnern. Insbesondere dann, wenn ich es mit dem vergleiche, was danach kam. Wie sauber die Straßen doch waren und wie wenige Autos darauf fuhren. In Minsk sieht es noch genau so aus: Geschniegelt, gebügelt und leer. Nachdem [die Stadt] im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, hatten deutsche Kriegsgefangene sie fast vollständig wieder aufgebaut. Reihenweise stehen hier Wohnblocks aus der Stalin-Zeit. Und es gibt breite und ausladende Prachtstraßen. Irgendwie sieht alles wie auf den Bildern aus einem der bejahrten Fotoalben meiner Eltern aus.

„Ein bisschen der Verdienst des Diktators...“

Die Ähnlichkeit ist aber nicht nur rein kosmetischer Natur. Der ganze Ort strahlt etwas extrem Politisches aus: Die Sicherheitsbeamten in Zivil am Flughafen, öffentlichen Plätzen und sogar in einigen Bars, die zentrale Lage des – in Weißrussland noch immer KGB genannten – Geheimdienstes mit seinem neoklassizistischen Hauptquartier-Block im Herzen der Hauptstadt, und die städtebaulich prominent gelegene Lenin-Statue.

Die internationale Wirtschaftskrise hat das Land schwer getroffen und das „weißrussische Wunder“ gefährdet, das Lukaschenko so viele Jahre herumposaunte. Er wollte eines der besten Gesundheits-, Bildungs- und Sicherheitssysteme der Region schaffen. Was er als Gegenleistung forderte? Dass die Menschen auf ein paar politische Rechte verzichteten. Dieser Gesellschaftsvertrag bildete seit langem die Grundlage seiner Herrschaft und diente ihrer Rechtfertigung. Inzwischen wurde die Währung aber bereits dreimal abgewertet und die Inflation stieg deutlich an.

Die Zuschüsse für die Gaslieferungen aus Moskau sind ein zentraler Bestandteil der Strategie, mit der die Wirtschaft das Landes über Wasser gehalten wird. Würde Russland aber plötzlich die Preise erhöhen, würde das Ganze wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Um sich auch in Zukunft Preisnachlässe zu sichern, musste Lukaschenko folglich dem Verkauf der Anteile des Pipelinebetreibers Beltransgas an Gazprom zustimmen – womit der weißrussische Staat so etwas wie sein Kronjuwel einbüßte.

Die daraus resultierende Unzufriedenheit machte die zunehmende Repression in den schwierigen Zeiten nur noch schlimmer. Als Reaktion auf das schwindelerregende Tempo, mit dem die Behörden brutal jedwede Demonstration niederknüppelten, flüchtete sich die Opposition wieder in Schweigemärsche. Die Sicherheit hat sich dadurch nicht verbessert. Auf Youtube kann man sich ansehen, wie Polizisten solche Zusammenkünfte auseinandertreiben. Ein angenehmer Anblick ist das nicht.

„Lukaschenko ist also ein Bösewicht!“ Fragt man Lukaschenko nach einem solchen Verhalten, erwidert er scharf: „Gehen Sie auf die Straße und schauen sich um: Alles ist sauber und gepflegt. Es laufen normale Menschen umher. Wenn das nicht wenigstens ein bisschen der Verdienst des Diktators ist...“

Ob Fehler gemacht wurden? Ob er in seiner fast zwei Jahrzehnte dauernden Amtszeit gern irgend etwas anders gemacht hätte? „Es wurden keine systematischen Fehler gemacht“, wurde mir gesagt. „Zumindest keine, an die ich mich erinnern würde.“

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