Irgendwo auf dem ungarischen Land.

Der Kampf ums Land



Ab 2014 können Ausländer Agrarflächen erwerben, die heute den Ungarn vorbehalten sind. Viktor Orbans Regierung versucht die von der EU gesetzte Frist aufzuschieben. Bis zu ihrem Ablauf konkurrieren Landwirte und reiche, oft regierungsnahe Persönlichkeiten um die interessanten Grundstücke.

Veröffentlicht am 30 Oktober 2012 um 16:28
Irgendwo auf dem ungarischen Land.

Ein hohes weißes Tor mit brandneuem Gitter: Man fühlt sich wie am Eingang zu einem Landgut der legendären Familie Ewing in Texas. Nur die Klingel, made in Florenz, weist darauf hin, dass das ehemalige Jagdgut der Grafen Széchényi im Südosten Ungarns heute Carlo Benetton von der italienischen Textildynastie gehört. Benetton besitzt riesige Ländereien in Argentinien und bewirtschaftet hier 7000 Hektar, die mit Mais, Weizen und Pappeln bepflanzt sind.

„Die Leute nennen das Schloss ‚Dallas‘“, schmunzelt Harri Fitos, Gemeindesekretär des südlich vom Plattensee gelegenen Dorfs Görgeteg. Das Dorf hat 1200 Einwohner und ist von Zäunen umringt, die die Felder vor Wildbefall schützen. Manche nennen es „Alcatraz“, wie das frühere amerikanische Gefängnis: Die Arbeitslosenquote liegt hier bei 50 Prozent, mit wenig Hoffnung auf einen Arbeitsplatz außerhalb des Grundstückschutzes.

Ungarn hat kein Erdöl. Aber es hat Ackerland – über fünf Millionen Hektar –, das Gelüste weckt. Denn das Kaufverbot, das seit 1994 für alle Ausländer in Ungarn gilt und beim EU-Beitritt 2004 verlängert wurde, soll im Mai 2014 auslaufen. So sieht es zumindest Brüssel vor.

Nun hat das Rennen begonnen, damit diese Reichtumsquelle so weit wie möglich in ungarischen Händen bleibt. Das neue Agrargesetz, das im Juli auf Initiative der konservativen Regierung von Viktor Orban verabschiedet wurde, verbietet Ausländern, auch in Zukunft Agrarland zu erwerben, und macht die Gefälligkeitsverträge, die im Hinblick auf die Öffnung des Marktes unter der Hand abgeschlossen wurden, null und nichtig.

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58 Prozent der Abgeordneten besitzen Land

„Alle Experten sagen, dass Ungarn ein starkes Potential hat“, erinnert Peter Roszik, Vorsitzender der Landwirtschaftskammer von Györ-Moson-Sopron an der österreichischen Grenze. „Alle lechzen nach Land, die Kandidaten sind sechs bis acht Mal zahlreicher als die verfügbaren Grundstücke.“ Und es gibt nicht mehr viel auszuteilen, mit Ausnahme der halben Million Hektar bestellbaren Grunds in Staatsbesitz. Die regierende Partei Fidesz hatte dieses Land während ihrer Wahlkampagne von 2010 bevorzugt den Familienbetrieben versprochen.

Heute steigt die Spannung zwischen den kleinen ungarischen Bauern, die keine Kredite bekommen, und den „Oligarchen“ – oft Personen aus Orbans Umfeld, die die Hauptgewinner der jüngsten Grundstückszuteilungen sind (rund 100.000 Hektar), die ihnen der Staat sehr günstig auf 20 Jahre verpachtet. Dabei sind sie buchstäblich Gold wert: „In Ungarn wird Grundbesitz in notariellen Urkunden immer noch in Goldkronen aus Kaiserin Maria Theresias Zeiten bewertet.“

Landwirtschaftsstaatssekretär Jozsef Angyan, der Verfechter der kleinen Landwirte, trat Ende Januar mit großem Getöse zurück, aus Protest gegen diese Günstlingswirtschaft. Angyan ist immer noch konservativer Abgeordneter und hat seither ununterbrochen Zahlen veröffentlicht, die bezeugen, dass die „grünen“ oder „orangenen Barone“ (die Farben der Fidesz) den Löwenanteil einheimsen.

Die Landwirtschaft ist ein ausgezeichnetes Geschäft, dank der europäischen Fördergelder von rund 200 Euro pro Hektar und der mindestens fünfjährigen Befreiung von Steuern auf die Einkünfte der Betriebe. Schlaue Leute streichen somit für 1000 Hektar bis zu 75 Millionen Forint [knapp 264.000 Euro] pro Jahr ein.

Wenn Ausländer nach Belieben investieren dürften, würden die Preise der Grundstücke steigen, doch diese würden weniger einbringen – das sei die prosaische Wahrheit hinter diesem nationalistischen Eifer, so die Analyse des österreichischen Juristen Peter Hilpold in der Tageszeitung Die Presse.

Die ungarischen Medien betonen, dass 58 Prozent der Parlamentsabgeordneten in Budapest selbst Land besitzen, das sie meist an Dritte verpachten. Der Anreiz der Grundspekulation ist so hoch, warnt Jozsef Angyan, dass Ungarn riskiert, bald einer „Bananenrepublik“ zu ähneln: mit Stacheldraht und bewaffneten Wächtern, um eine galoppierende Kriminalität in Schach zu halten.

Budapest setzt auf die fremdenfeindliche Karte

Es sind schon kurzzeitige Grundstücksbesetzungen zu sehen – ein Zeichen für die Verschlechterung des Klimas. „Hier ist schon Lateinamerika“, bekräftigt in Görgeteg Ander Balasz, Bezirksvertreter der rechtsextremen Partei Jobbik, der drittgrößten im Parlament. Anders Balazs hat sich zu einer Gruppe von muskelstarken Aktivisten gesellt, die gekommen sind, um das Tor zu einem der Grundbesitze von Carlo Benetton zu demontieren.

Warum wird Benetton anvisiert, der seinen Grundbesitz Anfang der 1990er Jahre ganz legal erwarb, bevor er den der ehemaligen kommunistischen Genossenschaft pachtete? „Weil das Italiener sind, keine Ungarn“, erwidert Enikö Hegedüs, eine Vollblut-Abgeordnete der Jobbik, die an diesem Tag zur Verstärkung nach Görgeteg gekommen ist.

Die Behörden in Budapest haben selbst auf die fremdenfeindliche Karte gesetzt, indem sie die Annullierung der zweifelhaften Taschenverträge ankündigten. „Manche dieser Verträge“, so erklärt uns der aktuelle Landwirtschaftsstaatssekretär Gyula Budai, „sind schon bei einem Notar oder einem Rechtsanwalt erfasst. Aber ohne Datum, bis die Nachfrist ausläuft.“ Sie bräuchten dann nur noch vervollständigt zu werden, um den Namen des neuen Eigentümers im Grundbuch zu vermerken.

Im Visier stehen Italiener, Belgier, Deutsche, Slowaken und vor allem die Österreicher: Den Behörden zufolge haben die Österreicher allein schon zwei Millionen Hektar bei ihren ungarischen Nachbarn unter Kontrolle. In Wirklichkeit seien es zehnmal weniger, protestiert der Agrar- und Umweltattaché in Budapest, Ernst Zimmerl.

Entlang der Wege von Görgeteg enthüllt Harri Fitos die diskreten Arrangements, die auf dem ungarischen Land Gesprächsstoff liefern: Hier 50 Hektar der staatlichen Forstgesellschaft, die einem gut eingeführten „Oligarchen“ kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Dort ein Grundstück, das im Prinzip für Wild reserviert ist, auf dem aber Mais angebaut wurde. „Das ist in keinem Grundbuch und in keinem Bruttoinlandprodukt vermerkt“, bemerkt er. „Im Vergleich dazu machen die Benettons alles ganz legal.“

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