Albanische und kosovarische Flagge flattern zum zweiten Geburtstag der Unabhängigkeitserklärung, 17. Februar 2010

Kosovo auf dem Weg ins Nirgendwo

Am 22. Juli erklärte der Internationale Gerichtshof die Unabhängigkeit der ehemaligen jugoslawischen Provinz für rechtens. Sie habe nicht gegen das Völkerrecht verstoßen. Einfluß auf die Zukunft des Embryonenstaates hat es aber nicht, und die wird den Europäern weiterhin geopolitisches Kopfzerbrechen bereiten.

Veröffentlicht am 22 Juli 2010 um 14:41
Albanische und kosovarische Flagge flattern zum zweiten Geburtstag der Unabhängigkeitserklärung, 17. Februar 2010

Ein Staat existiert nicht allein, weil er international anerkannt wird. Vielmehr ist es die Existenz dieses Staates, die für seine Anerkennung ausschlaggebend ist. Selbst wenn die kosovarische Unabhängigkeit nun [vom Internationalen Gerichtshof] bestätigt wird, so ist es der Kosovo selbst – und niemand anderes –, der sich dieser Herausforderung stellen muss. Wenn die Abspaltung des Kosovo als illegal beurteilt wird, wird vor allem Serbien ein Problem haben. Schließlich bedeutet eine hypothetische Wiedereingliederung der separatistischen Region in die serbische Ordnung nahezu unerträgliche Kosten. Um endlich kein Semi-Protektorat [der UNO und der EU] mehr zu sein, muss der Kosovo in beiden Fällen zeigen, dass er mehr als ein fast-gescheiterter-Staat ist.

Gerichtshof kann nicht anders, als juristische Sackgasse zu bestätigen

Unabhängig vom Urteil des Gerichtshofes ist es unwahrscheinlich, dass sich die Haltung der internationalen Gemeinschaft verändert. Die Staaten, die den Kosovo anerkannt haben, werden nicht davon Abstand nehmen – zumal sie sich auf die Idee stützen, dass es sich nicht um ein juristisches, sondern ein politisches Problem handelt. Da die legale Lösung ohnehin sui generis ist, kann sie nicht zum Präzedenzfall werden. Diejenigen, die die Anerkennung abgelehnt haben [innerhalb der EU die Slowakei, Rumänien, Spanien, Zypern und Griechenland, sowie Russland und China], werden dies auch weiterhin tun. Zudem werden sie dem hinzufügen, dass es keinen Grund dafür gibt, ein Gebilde anzuerkennen, welches nicht die objektiven Kriterien für einen Staat erfüllt.

Jedoch ist es wahrscheinlicher, dass der Internationale Gerichtshof im Wissen, dass er nur eine konsultative Funktion hat, einen neutralen Standpunkt formulieren wird, in dem jeder auf seine Kosten kommt. Damit würde man die juristische Sackgasse bestätigen, in der wir uns befinden – auch wenn man diese anlässlich der Unabhängigkeitserklärung [vom 17. Februar 2008] völlig ignorierte. Damals machte der gesunde Menschenverstand der politischen Agenda der transatlantischen Mächte Platz.

Land voll Korruption und organisierter Kriminalität

Diese heute überholte Agenda sah in der Zerschlagung Jugoslawiens und der Albanisierung des West-Balkans eine Art Garantie für die unipolare Weltordnung, bzw. eine Möglichkeit, das multikulturelle Europa wiederherzustellen (im Gegensatz zum Europa des Versailler Vertrages). Vor Ort hat sich die Situation verändert. Fünf Mitgliedsstaaten der EU haben den Kosovo nicht anerkannt und übrigens auch keinen einzigen Grund dazu – was die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen des Kosovo zur EU unmöglich macht.

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Gleichzeitig hat sich im Kosovo ein von Korruption und organisiertem Verbrechen beherrschtes Regime entwickelt, das die Zivilgesellschaft und die Opposition einschüchtert, auf Günstlingswirtschaft baut, die Grenzen zwischen Politik und Geschäftswelt verwischt, und das Vertrauen in die Führungselite und die Zukunft zerstört. Aus Liebe zur "Stabilität" sehen die Ausländer darüber hinweg. Serbien hingegen hat aufgrund des kosovarischen Mythos – vielmehr noch als aufgrund des territorialen Integritätsprinzips – derart den Verstand verloren, dass jeder glückliche Ausgang in unerreichbar weite Entfernung gerückt ist.

Zukunftsoptionen zwischen unrealistisch und inakzeptabel

Um aus der – vom Internationalen Gerichtshof bestätigten – Sackgasse herauszukommen, sollten wir über die Einberufung einer West-Balkan-Konferenz unter der Schirmherrschaft der EU und der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nachdenken. Dort könnten die verschiedenen Gebilde, die nach der Zerschlagung Jugoslawiens entstanden, miteinander diskutieren und definieren, wie ihre Beziehungen im Rahmen der EU in Zukunft aussehen sollen. Eine Rückkehr zum Status quo ist nicht realistisch.

Die Aufrechterhaltung des momentanen Zustandes dagegen inakzeptabel. Demnach müssen wir gemeinsam einen Status quo für die Zukunft festlegen, der anders ist, aber auf post- und transnationalen Prinzipien aufbaut. Aus dem gescheiterten Ahtisaari-Plan [als damaliger Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für den Kosovo schlug Martti Ahtissari 2007 vor, einen kosovarischen Staat unter der Aufsicht der internationalen Gemeinschaf zu schaffen] kann da eine neue Gelegenheit werden; jedoch nur, wenn die Vorraussetzungen für einen Neuanfang geschaffen sind. (jh)

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