Die "Fuckparade" in Berlin. Photo Zeitrafferin.

Subkultur verlässt das Ghetto

Sie werden von der Mehrheit toleriert, von Kleidungsmarken instrumentalisiert, und sind Objekt der Wiedererweckung - alternative Lebensweisen gehören heute zum Straßenbild. Kann man da noch von Subkultur sprechen, fragt die rumänische Wochenzeitung Dilema Veche.

Veröffentlicht am 17 Juni 2009 um 14:47
Die "Fuckparade" in Berlin. Photo Zeitrafferin.

"Subkultur: soziale, ethnische, regionale oder wirtschaftliche Untergruppen mit spezifischen Verhaltensmustern, die sie von der herrschenden Gesellschaft oder Kultur abgrenzen". So die Definition im Online-Wörterbuch Merriam Webster.

Normalerweise denkt man beim Begriff "Subkultur" gleich an "Underground" oder Widerstand. Randgruppen, die sich von der Mehrheit der Bevölkerung unterscheiden, gab es schon immer. Dennoch: von 1960 bis heute - seit der Hippie-Bewegung bis ins Kommunikationszeitalter – wurden Protest und Revolte, Anti- und Alternativbewegungen immer populärer. Sogar die Industrie nahm sich ihrer an und machte sie zum Entertainment.

Ende der 80er Jahre gab der französische Soziologe Michel Maffesoli der klassischen Definition des Begriffs "Subkultur" eine neue Interpretation. In seinem Werk Rückkehr der Stämme in der Postmoderne schuf er den Begriff der "urbanen Stämme". Das Werk sah das Phänomen aus einer neuen Perspektive: Obwohl die Zugehörigkeit zu einer urbanen Subkultur vor allem vom Individualismus geprägt ist, kann sie zu einer Art Neo-Tribalismus führen.

Im Laufe der Jahre wurde es immer offensichtlicher, dass Toleranz gegenüber diesen Gruppen, die sich durch Lebensstil, Kleidung, Musikgeschmack usw. unterscheiden, von der Ausnahme zur Regel wurde. Die Gruppen selbst fühlen sich auch nicht mehr am Rand der Gesellschaft. In den europäischen und amerikanischen Großstädten sieht man händchenhaltende Pärchen von Punks, Grunges, Gothics und Emos [aus dem engl. "Emotional Hardcore"], die Museen besuchen, ins Theater gehen oder in die Oper.

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Die einzige Gruppe, die noch mit ihrer gewaltverherrlichenden Pose für gewissen Aufruhr sorgt, sind die Hip-Hopper. Doch selbst da haben sich die Dinge entwickelt: In seinem Artikel "Europäer aus der Sicht der Jugend", der in unserer Zeitung erschien, erzählte der finnische Journalist Tommi Maitio, wie er bei seiner Rückkehr aus den USA feststellte, dass man der Rap-Musik auf dem alten Kontinent ein – manchmal vom Ursprung sehr weit entferntes — Lokalkolorit verliehen hat. In Deutschland, dem Lande, in dem ihre Eltern arbeiten, sind es die jungen Türken, die Rap-Musik machen. Holländer, Österreicher und Portugiesen rappen im Dialekt. Und die jungen Polen reimen patriotische Verse. Mehr noch: Fashionlabels, Medien und sogar öffentliche Einrichtungen setzen auf die ehemalige Protestmusik Hip-Hop, um ein immer jüngeres Publikum zu erreichen.

Die Frage also, ob Subkulturen von der Mehrheit toleriert werden können, oder ob sie noch ein Symptom des Generationskonfliktes sind, ist somit überflüssig geworden. Das einzige Problem, was sich noch stellt, — vor allem in den osteuropäischen Ländern, wo sich Bildungssystem und die Sorge um die Zukunft der Jugend in der ewigen Devise "Die sollen sich mal auf eigene Faust durchschlagen, so wie wir das auch mussten" zusammenfassen ließe — ist es, herauszufinden, ob die Subkultur für die jungen Menschen nun eine Alternative unter anderen darstellt oder schlicht und einfach ihre einzige Chance.

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