Es ist schon bizarr: Da beugen sich seit Jahr und Tag Wirtschaftsexperten und Mentalitätsforscher über die Krisenländer des europäischen Südens, um uns alsdann ihre Hiobsbotschaften mitzuteilen, eine beunruhigender als die andere. Und während der ganzen Zeit hielt das Gerede von „Kerneuropa“ an, am Laufen gehalten vom „deutsch-französischen Motor“, der nicht „stottern“ dürfe. Inzwischen, angesichts Frankreichs stetig nachlassender Wettbewerbsfähigkeit und horrender Staatsverschuldung (derzeit sind es gar neunzig Prozent seines BIP), stellt sich eine Frage: Haben wir es hier mit einem Kommunikations-Gau zu tun, einer naiven Blindheit auf allen Seiten – oder mit dem vielleicht letzten Pyhrrus-Sieg in der französischen Kunst des Nebelwerfens?
An etwaigen deutschen Schuldkomplexen liegt es jedenfalls nicht, dass Frankreichs Dauer-Malaise bislang kaum in den Blick geraten ist. Wie viel Steuerzahlergeld für unsinnige Routine-Tagungen und Forschungsprojekte zur „deutsch-französischen Aussöhnung“ auch hierzulande verschleudert wurden – das stets so pathetisch Beschworene ist längst im allerbanalsten Sinn zu Realität geworden. Will heißen, man ist sich gegenseitig herzlich egal. Das ist, ganz ohne Konferenztheater die gegenwärtige Lage, und wenig gäbe es daran auszusetzen, wäre nicht das Nachbarland der nächste Wackelkandidat.
Noch einmal also: Weshalb sah niemand genauer hin? Eine unfreiwillig indirekte Erklärung lieferte vor zwei Wochen der ehemalige EADS-Chef mit dem sprechenden Namen Louis Gallois, welcher der französischen Wirtschaft ein vernichtendes Urteil ausstellte und einschneidende Reformen forderte. Ein „Schock des Vertrauens“ sei nötig, poetisierte der Mann, der einst selbst dank lukrativer Staatsaufträge Karriere gemacht hatte. Sein Krisen-Tremolo war erneut halb bolschewistisch, halb talmi-elegant, perfekt passend zum Arbeitsbereich des erklärt globalisierungsfeindlichen Arnaud de Montebourg, seines Zeichens „Minister zur Wiederaufrichtung der Produktion“.
Aus Frankreich
Der Verlust des AAA ist eine gute Nachricht!
In der Nacht vom 19. auf den 20. November stufte die Ratingagentur Moody’s die Bewertung der französischen Staatsanleihen herab. Frankreich hat sein „Triple-A“ verloren und hat jetzt die Note „Aa1“. „Ist das wirklich eine schlechte Nachricht?“, fragt sich die Editorialistin von Les Echos. „Es mag überraschen und vielleicht paradox oder zynisch klingen, doch ich halte das auch für eine gute Nachricht“:
Wichtig ist, dass Frankreich durch die Entscheidung von Moody’s dazu gezwungen wird, etwas zu tun und sich anzupassen. Moody’s prangert den Wettbewerbsverlust unserer Wirtschaft an, sowie die Starrheit des Arbeitsmarkts, der Güter und Dienstleistungen, die Haushaltslage und die Schwierigkeiten, die wir bei erneuten Erschütterungen der Eurozone hätten, weil wir nicht genug Handel mit den Schwellenländern treiben. [...] Darüber hinaus zeigt Moody’s unsere Unfähigkeit auf, langfristig zu halten, was wir versprechen (30 Jahre Arbeitslosigkeit und Haushaltsdefizite).
Die Regierung dachte, sie hätte Zeit. Sie hat keine mehr. Sie wollte keinen Schock, nun hat sie einen Elektroschock bekommen. [...] Seit zehn Tagen ging sie auf Wolken: gute Kritik für den Gallois-Bericht [über die Konkurrenzfähigkeit der französischen Industrie] und die darauf folgenden Maßnahmen, gute Wachstumszahlen im dritten Quartal. [...] Gut, das ist jetzt vorbei!